Nervosität

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"Ellen, wie sieht es denn nun aus mit einer Verabredung." fragt Jakob sie, als sie am nächsten Tag gemeinsam in der Teeküche stehen. Die Frage könnte völlig harmlos wirken, wäre da nicht der durchdringende Blick, den er ihr zu wirft und der ihr ganz genau zu verstehen gibt, dass das keine nett gemeinte Frage, sondern eine Forderung ist. "Heute Abend?" bietet Ellen ihm an. "Ja, heute Abend, 19 Uhr, bei dir Zuhause." legt er fest. Ellen schluckt schwer. Der Termin steht. Einerseits ist sie froh, dass dann heute Abend alles vorbei sein wird, andererseits ist sie nun noch nervöser.

Ellen stützt sich den restlichen Dienst über in die Arbeit und versucht sich Jakob gegenüber nicht anmerken zu lassen, dass sie in Gedanken ständig beim Abend ist. Sie ist froh als sie endlich nach Hause gehen kann. Doch dort weiß sie nichts mit sich anzufangen. Plötzlich scheint die Zeit still zu stehen. Nervös tigert sie in ihrer Wohnung auf und ab. Immer wider wirft sie einen Blick auf die Uhr. Um achtzehn Uhr werden die Kollegen kommen um letzte Absprachen und Vorbereitungen zu treffen und die Plätze einzunehmen. Aber bis dahin sind es auch noch fast zwei Stunden. Wie soll sie die Zeit nur herum bekommen. In ihre Gedanken hinein klingelt es an der Tür. Das wird doch wohl hoffentlich nicht schon Jakob sein? Bitte nicht! Mit klopfendem Herzen betätigt sie den Türöffner und wartet darauf, wer da nun zu ihr kommt. Sie ist in Alarmbereitschaft. Wenn das wirklich schon Döring ist, dann muss sie ihm schnell die Tür vor der Nase zuschlagen, aber dann ist ihr sorgfältig zurechtgelegter Plan hinüber, denn dann ahnt er bestimmt, dass was im Busch ist, wenn sie ihm nicht öffnet, bloß weil er zu früh da ist. Aber einfach rein lassen, ohne den Rückhalt der Kollegen kann sie ihn auch nicht. Wer weiß, was er von ihr erwartet heute. Fast schon verzweifelt und mit abgehaltenem Atem hofft sie, dass es jemand anderes ist. Der Postbote, mit einem Päckchen, für jemanden der nicht da ist, die Nachbarin, die mal wieder den Haustürschlüssel vergessen hat oder sonst wer. Es ist ihr ganz egal, so lange es nur nicht Döring ist.

Ellen atmet auf, als sie durch das Geländer der Treppe hindurch die hellen Haare von Richard Block erkennt, der da gerade die Stufen hinauf steigt. Erleichtert lehnt sie ihren Kopf gegen den Türrahmen und schaut ihm lächelnd entgegen. "Was machen sie denn schon hier?" will sie erfreut von ihm wissen. "Ich dachte, dass sie vielleicht ein wenig Gesellschaft und Ablenkung vertragen könnten." erklärt er den Grund seines Besuches. "Sie kennen mich einfach zu gut." antwortet sie und gibt ihm damit zu verstehen, dass seine Vermutung genau richtig ist.

In der Wohnung setzt Ellen Wasser auf. "Möchten sie Kaffee oder Tee?" fragt sie ihn, froh, endlich etwas sinnvolles zu tun zu bekommen. "Egal, was auch immer sie trinken nehme ich auch. Machen sie sich bloß keine Umstände wegen mir." antwortet Richard höflich. "Dann Tee." legt Ellen fest. "Ich bin auch ohne Kaffee schon nervös genug." erklärt sie noch. Doch das hätte sie gar nicht sagen müssen, Richard hat es sowieso schon bemerkt, so unruhig wie sie ist und so fahrig wie ihre Bewegungen gerade sind. Aufmerksam tritt er hinter sie und legt ihr die Hand auf die Schulter. "Machen sie sich keine Sorgen. Ich bin da und nachher kommen ja auch noch Rolf, Dietmar und Neidhardt. Wir passen auf sie auf, das verspreche ich ihnen." gibt er ihr dabei sanft zu verstehen. Ellen dreht sich zu ihm herum und schaut ihn an. "Danke." sagt sie dann einfach nur und lässt dabei offen, ob sie ihm dafür dankt, dass er auf sie aufpassen wird, oder dafür, dass er jetzt da ist und ihr Mut macht.

Mit ihrem Tee sitzen die beiden sich kurz darauf im Wohnzimmer gegenüber. Eine Weile unterhalten sie sich, wobei sie sowohl die bevorstehende Aktion, als auch Richards Schichtwechsel geschickt umschiffen. Doch je leerer die Tassen werden und je weiter die Zeit voranschreitet, um so nervöser wird Ellen. Das entgeht Richard natürlich nicht. Ein Blick auf die Uhr zeigt ihn aber, dass noch etwas Zeit bleibt, bevor es los geht. Also beschließt er nicht länger herum zu sitzen, sondern ihr etwas zu tun zu geben. Und so machen sie sich gemeinsam an die Arbeit und waschen und trocken ihre Tassen und das Geschirr von Ellens Frühstück ab und unterhalten sich dabei über den Alltag und die Fälle der letzten Wochen. Als alles Geschirr ordentlich verstaut ist, schnappt Ellen sich den Lappen und wischt gründlich über die Arbeitsflächen der Küche und weil sie schon Mal dabei ist, auch gleich noch über den Tisch. Beides war eigentlich überhaupt nicht schmutzig, aber wenn sie sich ablenken muss, dann soll sie das eben machen. Richard wird sie jedenfalls nicht auf die Sinnlosigkeit ihres Tuns hinweisen. Immerhin vergeht die Zeit bis zum Eintreffen der Kollegen so dann doch relativ schnell.

"Also noch Mal zusammengefasst: Frau Wegener wird sich mit Herrn Döring vorzugsweise in der Küche, gegebenenfalls auch im Wohnzimmer aufhalten, wobei bei letzterem die Gefahr besteht, dass er uns entdeckt. Richard und ich verstecken uns nämlich wie geplant auf dem Balkon, Dietmar und Neidhardt dann im Schlafzimmer. Es sind Aufnahmegeräte versteckt und wir hören von unseren Positionen aus alles mit was hier drinnen gesprochen wird. So bald wir die Erpressung auf Band haben, gebe ich das Stichwort für den Zugriff." erklärt Rolf noch einmal den Plan. Alle Nicken. So schwer ist das ja nun auch nicht zu verstehen. Aber auch der Chef der Gruppe ist eben doch etwas nervös. Alles noch Mal zu besprechen und sich so rückzuversichern beruhigt ihn.

Da alles vorbereitet ist und noch etwas Zeit bleibt, bis Jakob eintreffen wird, unterhalten sich Rolf, Dietmar und Neidhardt miteinander. Richard fällt auf, dass Ellen jedoch sehr schweigsam ist. Als sie sich von den Anderen absetzt und im Nebenraum ans Fenster tritt, folgt er ihr.
Ohne etwas zu sagen stellt er sich zu ihr. "Ich habe schiss." gibt sie leise zu, ohne ihn anzusehen. Sie weiß auch so, wer da neben ihr steht. "Im Kopf spiele ich die Begegnung mit Jakob immer wieder durch. Ich überlege wie ich ihn möglichst schnell, aber dennoch unauffällig dazu bringen kann die Erpressung auszusprechen. Aber er ist einfach zu unberechenbar. Mir bleibt nur abzuwarten und mir spontan etwas einfallen zu lassen." erklärt sie ihm ungefragt, was in ihr vorgeht. "Das schaffen sie. Genau diese Dinge sind doch ihre Stärke." meint Richard, aber er sieht, dass sie weiterhin unzufrieden ist. "Nun kommen sie Mal her." sagt er, dreht sich leicht zu ihr und breitet ein wenig die Arme aus. Dankbar lässt Ellen sich von ihm in den Arm nehmen. Den Kopf an seine Schulter gelegt stehen sie am Fenster und schauen auf die still da liegende Straße hinunter, bis es an der Zeit ist die Plätze einzunehmen.

Als Rolf sich mit Richard auf den Balkon begibt kann er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, auch wenn die Situation eigentlich alles andere als lustig ist. Aber im Gegensatz zu den beiden anderen Kollegen hat er gesehen, wie Richard Ellen eben im Arm gehalten hat. Das sah so vielversprechend aus, dass er durchaus darauf hoffen kann, das Richard in die Schicht zurück kommt. Außerdem glaubt er zu wissen, das da nicht nur Beschützerinstinkt, sondern auch ziemlich viel Gefühl im Spiel ist. Bei Richard und bei Ellen. Und das würde er den beiden von ganzem Herzen gönnen, wenn das mit ihnen etwas wird. Doch erstmal müssen sie diesen Einsatz hier hinter sich bringen, das ist vorerst das wichtigste.

Entscheidung mit FolgenOnde histórias criam vida. Descubra agora