Kapitel 10 - Stock und Schirm

Beginne am Anfang
                                    

Und so gab ich unter seinem Blick schliesslich nach und wechselte auf die andere Seite.

Eine Sache musste ich aber noch loswerden. Ich rutschte an ihn heran und suchte einen Moment nach Worten. „Danke, d-d-d-dass du etwas gegen ihn gesagt hast. Das war n-nett von dir."

Überrascht schaute er mich an und nickte dann langsam. „Nimm dir seine Worte nicht zu Herzen, okay?" Er zog sein Heft heran und sagte leise: "Menschen sind Scheisse. So ist das nunmal."

Nicht alle, wollte ich sagen, aber die Antwort blieb mir im Hals stecken, als er seinen Arm um meine Schultern legte. Er zog mich an sich und im nächsten Moment war meine Nase praktisch im Stoff seines Pullis vergraben.

Mein Herz setzte einen Schlag aus und schlug dann doppelt so schnell weiter. Seine Hand rutschte an meine Hüfte und ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen.

Ich liess mich gegen ihn sinken und tat so, als wäre nichts dabei. Aber mein Bauch machte komische Dinge und mir stieg die Hitze in die Wangen, als ich feststellte, dass Nia ganz anders roch, als ich gedacht hatte.

Nach frischer Wäsche und irgendwie nach ... Regen. Nicht der stickige Geruch nach Sommerregen und nassem Asphalt, sondern mehr wie ein kühler Morgen an einem verregneten Herbsttag.

Ich verspürte den überwältigenden Drang, mein Gesicht darin zu vergraben und einzuatmen und der Gedanke schockierte mich so sehr, dass ich hastig nach meinem Manuskript angelte, um das Hämmern meines Herzens zu übergehen.

Oh mein Gott, was dachte ich hier nur? Hatte ich den Verstand verloren?

Das hier war ein Theaterstück und ich würde mir sicher keine Blösse geben.

Selbst wenn diese Haltung bequemer war, als ich gedacht hatte und sich irgendwo in meinem Hinterkopf der Gedanke einschlich, dass ich irgendwie ... irgendwie genau in Nias Arm passte.

„Geht das so, oder möchtest du bei mir mitlesen?", sagte er und seine Stimme so dicht an meinem Ohr schickte einen warmen Schauer über meinen Rücken.

Ich schüttelte den Kopf und nuschelte etwas halb in seinen Pullover. Peinlich berührt hob ich den Kopf und wiederholte: „Alles okay. Soll ich a-anfangen?"

„Wenn du nichts dagegen hast."

Ein amüsierter Ton lag in seiner Stimme und mir wurde im selben Moment bewusst, was ich da gerade gesagt hatte. Natürlich sollte ich anfangen, Lisbeth hatte schliesslich die erste Zeile im Dialog, oh mein Gott!

Mein Gesicht glühte unterdessen und ich beeilte mich, den ersten Satz zu lesen.

Der Text selbst löste zu meinem Erstaunen kaum Nervosität in mir aus so fiel es mir ziemlich leicht in den Dialog einzusteigen.

„Wieso g-g-g-gehst du denn fort? Du ka-kannst uns doch nicht alle zurücklassen!"

Ich lauschte Nias Antwort, bevor ich erneut einsetzte und ehe ich mich versah, waren wir mitten in einem Gespräch zweier miteinander vertrauter Figuren.

Es war seltsam mich so mit Nia zu unterhalten, als hätten wir eine gemeinsame Geschichte und würden einander schon seit vielen Jahren kennen.

Es war also kein Wunder, dass wir dabei ein bisschen hölzern klangen und es noch viel Übung brauchen würde, bis wir natürlich rüberkämen. Doch nachdem wir den Dialog ein zweites Mal durchgegangen waren, zeichnete sich immer stärker ein noch viel grösseres Problem ab.

Wir fanden nämlich einfach keinen Rhythmus.

Eigentlich hatte ich angenommen, dass ich uns ins Stocken bringen würde und die Dynamik mit meinen Wiederholungen ruinierte, weil ich ständig zum Anfang des Satzes zurückkehrte. Doch zu meinem Erstaunen hatte Nia ebenfalls Mühe mit seinem Part.

Hinter der Bühne (AT)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt