2 - Linnea

10 0 0
                                    

Der Fremde führte mich über den Hof, bis wir vor einem kleinen Wohnwagen zum Stehen kamen. Das Zirkuszelt ragte direkt daneben breit in Richtung des Bewölkten Himmels. Es stellte mit seiner gewaltigen Größe alles Andere hier in den Schatten, und wirkte wie das Herzstück dieses Orts.

"Ich warte", Durchbrach plötzlich die Stimme des Mannes mit einem leichten Schmunzeln die Stille, während er mir die Türe zu seinem Reich aufhielt.

"Entschuldigen Sie bitte, ich war etwas abgelenkt von den vielen neuen Eindrücken", antwortete ich gespielt verlegen. Entgegen meiner Erwartungen fiel es mir um einiges schwerer, diese Rolle zu spielen, als ich ursprünglich erwartet hatte.

"Ein einfaches du reicht völlig aus. Wir pflegen hier alle einen sehr familiären Umgang miteinander"
Ich nickte nur, bevor ich letztendlich eintrat, was ich schon im nächsten Moment bereute, in dem mein Gesprächspartner die Tür hinter uns schloss.

Der Wohnwagen war zugestellt, und wirkte von innen tatsächlich noch kleiner, als ohnehin schon von außen. Auf der einen Seite befand sich ein völlig zerwühltes Bett, die andere wurde von einer kleinen Essecke ausgefüllt.
Die Wände wurden von einigen Joker Karten geziert und über dem Kopfteil des Bettes prangte ein großes umgedrehtes Kreuz.
Das für mich mit Abstand schlimmste in diesen Räumlichkeiten waren jedoch die vielen Terrarien, welche überall verteilt standen, und zahlreichen Schlangen als zu Hause dienten.

Der Typ ist doch absolut gestört!

"Setz dich doch, Kleines" Der Mann legte seine dürren Finger auf meine Schultern, was mir einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte, und schob mich so zu der Bank, auf welcher ich mich anschließend niederließ, und meine Tasche direkt neben mir platzierte. Natürlich nicht, ohne mich im Voraus davon überzeugt zu haben, dass hier nicht irgendwo eines seiner Haustiere frei herumkroch.
Der Fremde setzte sich ebenfalls, bevor er mir seine Hand entgegenstreckte, und sich damit bei mir als "Joker" vorstellte. Ich nahm sie widerwillig im meine, und spürte daraufhin seinen sachten, warmen Händedruck, der ein mehr als ungewolltes Kribbeln in mir auslöste.

Ja, Joker war attraktiv. Das waren aber tausende andere Männer auch, gegen die ich nicht ermitteln musste. Also bat ich meinen Körper innerlich inständig darum, sich einfach im Zaum zu halten.

Als mir der Kopf der Schlange plötzlich wieder erschreckend nah kam, zog ich schnell meine Hand zurück und ließ sie unter dem Tisch verschwinden. Ich vertraute weder diesem Tier, noch diesem Mann.

"Hab doch keine Angst. Milo ist mit Abstand der Liebste, den ich hier hab" Erneut zuckten die Mundwinkel meines Gegenübers nach oben. Wollte er sich über mich lustig machen, oder war diese Dauergrinsen einfach seine Art?

Verdammte Scheiße, der gibt dem Viech auch noch einen Namen!

"Du kannst mir trotzdem nicht erzählen, dass der ungiftig ist", entgegnete ich nur gespielt gleichgültig, während sich meine Fingernägel in den Saum meines Rockes bohrten.
Machten mich die Schlangen nervös? Die Angst aufzufliegen? Dieser Mann? Ich wusste es nicht, aber dieses Gefühl gefährdete unsere Ermittlungen, und hatte hier und jetzt keine Daseinsberechtigung.

"Milo ist eine Todesotter. Sein Gift verursacht Lähmungen" Joker wirkte ebenso unbekümmert, wie ich es gerade versucht hatte, jedoch war es bei ihm mit Sicherheit nicht gespielt.

Perfekt. Ich sitze im Wohnwagen von irgendeinem Weirdo, der sich Joker nennt, unter einem verfickten Satanskreuz pennt und Schlangen sammelt, wie andere Briefmarken. Ich werde hier eine tolle Zeit haben.

"Aber kommen wir nun zum Geschäftlichen", schlug er mir nach einigen Sekunden der unangenehmen Stille vor. "Hier gibt es einiges zu tun in letzter Zeit, und mit uns leben viele Tiere, wie du sicher schon mitbekommen hast."

Er hielt kurz inne, während ich schluckte. Das Grinsen war noch immer nicht von seinem Gesicht verschwunden, vermutlich wartete er auf irgendeine Reaktion meinerseits, die er jedoch nicht bekam.

"Die anderen Tiere können größtenteils von meinen Brüdern versorgt werden, aber wie du hier sehen kannst, besitze ich sehr viele Schlangen, die alle in sauberen Terrarien mit ausreichend Futter leben wollen. Kümmere dich um sie, und du bist eingestellt" Er hatte seinen Kopf inzwischen auf einer seiner Handflächen abgelegt, und sah mich abwartend an. Der Ärmel seines Hemdes rutschte etwas nach unten, und legte so ein großes Tattoo auf seinem Unterarm frei. Es handelte sich um den fucking Joker, dessen Fresse ein ähnliches Grinsen zierte, wie die des Mannes mir gegenüber.

Ich überlegte noch einen kurzen Moment, ob es wirklich eine gute Idee war, dieses Angebot anzunehmen, doch willigte schließlich ein.

"Schön. Für heute Nacht kannst du hier in meinem Bett schlafen, da ich nicht hier seine werde. Für morgen und die kommenden Tage müssen wir uns dann etwas anderes überlegen" Er sah mir die ganze Zeit ins Gesicht und jedes Mal, wenn sich unsere Blicke trafen, fühlte ich mich so, als würden seine leuchtend grünen Iriden tief in meine Seele blicken und hätten mein Schauspiel schon längst durchschaut.

Ich schluckte bei dem Gedanken daran, heute Nacht zwischen so vielen Schlangen schlafen zu müssen.

Reiß dich zusammen, Linn!

"Ich muss dann auch los. Morgen zeige ich dir alles, was es hier zu tun gibt. Das Bad ist da hinten" Joker zeigte auf die Einzige Tür, die zu einem anderen Raum führte, bevor er sich wieder erhob und direkt auf den Ausgang zusteuerte. "Dann gute Nacht, Willow" Und damit verschwand er auch schon aus dem Wohnwagen. Das folgende Geräusch des Schlüssels verriet mir, dass dieser Bastard mich gerade hier eingesperrt hatte.

So ein verdammtes Arschloch!

Ich blieb noch kurz sitzen, um die ganzen Geschehnisse der letzten Minuten zu verarbeiten, bevor ich meine Tasche auf den Boden schob und wieder aufstand. Dabei sah ich immer misstrauisch in Richtung der Terrarien.
Ich hatte nicht viel Kleidung eingepackt, aber wenigstens Schlafshorts und ein großes, hellgrünes T-Shirt.
Den Rock und das weiße Top, das ich zuvor trug, legte ich über die Duschwand im Bad.

Danach zog ich mein Handy heraus und setzte mich damit auf das Bett von Joker. Auf das Bett von einem völlig fremden Mann, der womöglich ein kranker Mörder war.
Ich wollte meinem Vater vor dem Schlafengehen noch eine Nachricht schreiben, immerhin wollte ich ihn ja immer auf dem Laufenden halten. Jedoch stellte ich schnell fest, dass ich hier nirgendwo Empfang hatte.
Ich legte mein Smartphone seufzend zurück in die Tasche, und holte mein kleines Taschenmesser heraus, dass ich für Notfälle in meinem BH verschwinden ließ.
Danach legte ich mich nach kurzem zögern ins Bett, und zog mir die Decke tief ins Gesicht. Zu meiner Überraschung duftete es hier angenehm nach Äpfeln und Zimt, was wahrscheinlich maßgeblich dazu beitrug, dass ich nach einigen unruhigen Minuten einschlafen konnte.

You've reached the end of published parts.

⏰ Last updated: Oct 03, 2023 ⏰

Add this story to your Library to get notified about new parts!

Enjoy the ShowWhere stories live. Discover now