Elizabeth

136 9 18
                                    

Als wir den Pausenhof betraten, wimmelte es schon vor Leuten, obwohl die Schule erst in zwanzig Minuten begann. Freunde, die sich lange nicht mehr gesehen hatten, fielen sich gegenseitig in die Arme und erzählten freudig von ihren Ferien. Was sie alles erlebt hatten, wenn sie neues kennengelernt hatten und wie das Wetter war. Gelächter und Gekreische war zu hören.

Helene und ich drängelten uns durch die Menschenmasse in die Schule rein. Lope, der den ganzen Schulweg schweigend hinter uns gelaufen war, bog ab und ging in Richtung Sekretariat. Helene nutzte sofort die Chance und zupfte aufgeregt an meinem T-Shirt.

"Erzähl! Woher kennt ihr euch?", fragte sie. Ihre Stimme war mehrere Tonlagen nach oben gerutscht und klang wie ein Fiepen. 

"Nicht hier", zischte ich ihr zu und zog sie am Arm in Richtung Mädchentoiletten. Auch da war ordentlich was los, aber deutlich weniger als auf den überfüllten Gängen. Es wurde gelästert und gekichert, während man sich gegenseitig schminkte oder sich die Haare machte.

"Wer war das?", flüsterte Helene leise, damit nur ich sie verstand.

"Er heißt Lope. Ich habe ihn auf der Party kennengelernt, als du mit Ryan geflirtet hast", antwortete ich. "Er hat mir geholfen, dich nach Hause zu bringen, als du auf meiner Schulter eingeschlafen bist."

"Das ist so aufregend", quietschte meine beste Freundin begeistert und ihre Wangen verfärbten sich rot. "Endlich gibt es außer Simon einen Jungen in deinem Leben", freute sie sich und rüttelte mich an den Schultern.

"Nein, Ele. Da lief nichts und wird auch nichts laufen", sagte ich streng und ignorierte die skeptisch hochgezogene Augenbraue von ihr. "Ich mag keine Herzensbrecher und er ist einer von der üblen Sorte, also mag ich ihn noch weniger."

Die Toilettentür klapperte und man hörte das Klackern von mehreren hohen Schuhen, die sich in unsere Richtung bewegten. Ich wusste sofort, wer das war und bereitete mich vor. Tief holte ich Luft, dann kam auch schon der unnatürliche Duft, der so beißend war, dass er mir Tränen in die Augen trieb. Helene sah aus, als versuche sie krampfhaft das Husten zurück zu halten und ihr Kopf verfärbte sich knallrot. Das hieß, dass sie die Luft anhielt. 

"Ah der Freak mit ihrer Nerdfreundin", ertönte auch schon Claires Stimme. Ich drehte mich zu ihr herum und sah zu, wie sie mich angewidert von oben bis unten musterte.

"Ich habe gehofft, dass deine Altkleidersammlung sich über die Sommerferien verändert, aber wie ich sehe ist sie noch schlimmer geworden", sie rümpfte angeekelt ihre Nase und betrachtete das große T-Shirt.

"Was willst du?", fragte Helene genervt und verdrehte ihre Augen.

"Ihr steht auf unserem Platz", antwortete eine Freundin von Claire, die hinter ihr stand und die Arme verschränkt hatte.

"Ich habe zwei gesunde Augen und ich sehe nirgendwo ein Schild auf dem euer Name steht", erwiderte meine beste Freundin und funkelte sie angriffslustig an.

"Egal", murmelte ich und schnappte die vor Wut kochende Helene am Arm und zerrte sie aus der Toilette raus. Claire schaute uns siegesreich nach und zwirbelte an ihren glänzenden Haaren.

"Ich hätte sie sowas von besiegt", knurrte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen, während sie ihre Finger knacken ließ und die Hände dann zu Fäusten ballte. 

"Das weiß ich doch. Aber der Direktor würde es nicht so gerne an seiner Schule sehen", beruhigte ich sie. Dann packte ich meinen Stundenplan aus dem Rucksack aus und hielt ihn Helene entgegen. 

"Ich habe gleich eine Doppelstunde Biologie, und du?"

"Ich habe gleich Mathe", stöhnte sie und ließ ihren Kopf in den Nacken fallen.

"Das überlebst du schon", ich tätschelte mitleidig ihren Arm. Sie umarmte mich kurz und ging in Richtung ihres Klassenzimmers, während ich den Biologiesaal anschlug. Ich freute mich schon auf den Unterricht, denn wir hatten eine sympathische, ältere Frau, die jede Unterrichtsstunde spannend gestaltete. Biologie war eines der wenigen Fächer, bei dem viele Schüler aufpassten. Zwar sah Frau Quinn sehr nett aus, mit ihrem rundlichen Gesicht und den geröteten Wangen, aber sie konnte auch sehr streng sein, wenn sie wollte. 

Ich beeilte mich, damit ich einen guten Sitzplatz ergattern konnte. Mein Lieblingsplatz war in der zweiten Reihe am Fenster, wo man gut aufpassen konnte, aber ab und zu aus dem Fenster sehen konnte.

Frau Quinn war noch nicht da, als ich den Raum betrat und mich auf meinen gewünschten Platz setzte. Nur zwei weitere Schüler waren schon da, die sich in den vorderen Reihen niedergelassen hatten und nun aufgeregt miteinander tuschelten. Wenigstens jemand war mit seinen Freunden in einer Klasse.

Ich holte meine Schulsachen heraus und zog einen Roman aus der Seitentasche meines Rucksackes. Dann versank ich drinnen. Nur mit einem Ohr hörte ich die Schüler, die nach und nach in den Saal hereintrudelten. 


The taste of your lipsHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin