Der Bus

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Wir umarmen uns ein letztes mal. Er hält mich fest. Die Verbindung ist immer noch so tief..  Aber warum ist er plötzlich so verschwommen? Warum ist alles auf einmal so verschwommen?
Es wird mir hell ums Auge. Das Licht trifft meine Pupille. Wieso musste es so enden?
Schnell noch alles zusammenpacken und dann los. Ich bin eine Stunde zu spät. Wie konnte ich den ganzen Lärm überhören?
Ich ziehe fix meine weiten Jeans und meinen übergroßen Pullover an, das Outfit, dass mich seither irgendwie begleitet. Es ist das einzige, was alles bei mir abdeckt. Ich habe so eine Angst, dass Mama das Ganze sieht. Ich fühle mich irgendwie so schwach. Fürs Essen bleibt mir keine Zeit. Schnell noch das MakeUp von gestern Abend auffrischen, aber es verwischt gleich wieder. Warum musste ich so viel weinen? Es ist doch schon ein halbes Jahr her. Meine Augen sind geschwollen, es brennt förmlich. Ich sollte aufhören, daran zu denken, sonst klapp' ich noch zusammen.
Noch ein Schluck Wasser, eine Ibuprofen für die Kopfschmerzen und ein Kaugummi. Los! Sonst schaffe ich den Bus nicht! Kopfhörer auf volle Lautstärke, Rucksack aufsetzen und ab zur Haltestelle. Ich hoffe, mich sieht niemand. Das wäre irgendwie demütigend.
So ein Mist... Ich muss doch den anderen Bus nehmen. Der Busfahrer sieht mich komisch an. So viele kleine Kinder hier drin. Sie schauen auch seltsam, aber nicht so wie der Fahrer. Er wirkt so aufdringlich.. Ich bilde es mir bestimmt wieder nur ein. Ich will nicht, dass er mich so auffällig durch den Spiegel beobachtet. Mama, ich hab Angst. Warum grinst er so? Ich trage doch nichts auffälliges...
Nächster Halt: Kindergarten. Eine Mutter steigt hier mit ihrem Sohn aus. Vor 14 Jahren wäre ich hier auch ausgestiegen. Der Junge lächelt mich freundlich an. Er scheint gut erzogen zu sein.
Die Fahrt geht weiter. Diese Buslinie fährt anders als die, die ich normalerweise nehme.
Der Fahrer bremst ab, nächster Halt: Grundschule. Wow, hier war ich das letzte mal vor 7 Jahren. Wie einfach die Erinnerung doch verfliegen kann, wenn man keinerlei gute davon hat. Aber wir beide hatten so viele schöne Momente. Ich kann das nicht einfach so hinter mir lassen.
Alle restlichen Kinder steigen hier aus. Ich bin ganz allein. Der Fahrer zwinkert mich an und fährt weiter. Nächster Halt: Das Unternehmen, indem ich in den Ferien gearbeitet hab. Es war richtig schön dort. Ich habe so viel mit meinen Kolleginnen gelacht. Wir hatten super viel Spaß bei der Arbeit, es hat sich richtig gelohnt. Ich war wenigstens bis zum Abend abgelenkt. Schöne Erinnerungen bleiben meistens im Gedächtnis. Warum kann ich das nicht kontrollieren? Warum nicht einmal ein kleines bisschen steuern? Ich halte es bald nicht mehr aus.
Nach einem weiteren ekelerregenden Schulterblick des Fahrers, geht es schließlich weiter. Warum ist diese Fahrt so langwierig? Kann das nicht schneller gehen? Ich will hier raus.
Nach einer ganzen Weile erreichen wir die Endstation. Bin ich hier wirklich richtig? Ich weiß nicht, ob ich hierher gehöre. Muss das wirklich sein, Mama? Ich will doch einfach nur nach Hause. Bist du dir sicher, dass diese Ärzte mir helfen können, bevor es zu spät ist?

Der BusWhere stories live. Discover now