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Finn begann von seinem alten Rudel zu erzählen. Der Alpha dort duldete keine männlichen Welpen außer seine eigenen. Deshalb floh ihre Mutter mit Darron und Finn in die nächst größere Stadt in der Hoffnung, die Massen der Stadt würden sie verbergen. Doch sie wurden gefunden. Finn glaubte, dass sie erst drei oder vier Jahre alt gewesen waren. Die Wölfin packte damals ihre Jungen und floh über die Grenze. Der erzählende Wolf konnte sich an eine sehr lange Schiffreise erinnern. Nach der Flucht landeten sie auf katakorischem Boden. Von da an hatten sie in den Wäldern um die Hauptstadt gelebt. Bis das Wild allmählich durch die menschliche Bejagung zu wenig wurde. Die Mutter wagte sich tagsüber in die Stadt um unter den Menschen zu arbeiten.

Eines Tages wurden die Brüder beim Spielen im Wald entdeckt und in einen Wildtierpark gebracht. Aus Angst behielten sie ihre Wolfsgestalt bei. Tage später konnte ihre Mutter die beiden ausfindig machen. Sie konnte den Besitzer überreden ihre Kinder freizugeben. Er blieb lange der Einzige, der die wahre Identität der kleinen Familie kannte. Damit es sich nicht wiederholte, sperrte die Wölfin ihre Jungen tagsüber in einen Zwinger. Als Wachhunde getarnt, konnte ihnen nichts geschehen. Samu atmete scharf ein. „Mutter hat das nur getan um uns zu schützen. Aber es half nichts. Sie tauchten wieder auf."

Es war abends gewesen. Ihre Mutter schloss wie immer die Zwinger auf und die Brüder konnten ihre menschliche Gestalt annehmen. Sie wirkte beunruhigt, blickte öfter aus dem Fenster als sonst. „Mutter?", fragte Darron mit brüchiger Stimme. „Wir gehen in den Wald." Ihre Jungen folgten ihr geduckt nach draußen. Es war nichts Außergewöhnliches für die beiden, sich nachts die Beine zu vertreten. Im Wald angekommen liefen die Brüder zum Fluss und plantschten ausgelassen im kühlen Nass. Ihre Mutter setzte sich unweit auf ihren Hinterläufen und spitzte bei jedem Geräusch die Ohren.

Plötzlich passierte es. Drei ausgewachsene Werwölfe brachen aus dem Dickicht. Ihre Mutter forderte sie sofort auf zum Wildpark zu laufen und sich auf keinen Fall umzudrehen oder gar stehen zu bleiben bis sie dort angekommen waren. Die Brüder rannten los. Ängstlich warf Finn einen Blick über seine Schulter. Seine Mutter, deren Fell weiß wie Schnee war, kämpfte verbittert gegen die dunkel gefärbten Artgenossen.

„Wir haben sie danach nie wiedergesehen." Finn klang so traurig. Ich musste an mich halten um nicht zu laut schluchzten. „Der Mann aus dem Wildpark hat uns in ein Wildschutzgebiet gebracht, weil wir dort nicht sofort aufgefallen sind." Finn erzählte, dass sie von dem dort lebenden, wilden Wolfsrudel verjagte wurden. „Wir haben es bis hierher, in den Wolfswald, geschafft. Da haben uns Logan und Darwin aufgespürt." Minuten lang herrschte betroffenes Schweigen. „Wie lange seid ihr auf der Flucht gewesen?" „Mein halbes Leben." Ich rechnete nach. Finn sah nicht älter als zwanzig aus, aber das passte irgendwie nicht. Ich hörte den Wolf lachen. „Du hast dich nicht verrechnet. Darron und ich sind älter als Darwin", lachte Finn ausgelassen, „Wir waren sechszehn als uns Logan aufgenommen hat." Interessant. Ich hatte genug gehört und schlich mich zurück in die Halle.

Darwin knabberte gerade an einer XXL-Tafel Schokolade. „Wie lange beißt er schon an dem Korb?", murmelte ich Taylor zu. Er sah auf und stoppte die Umrundung des Kelchrands. „Zehn Minuten bestimmt." Gelangweilt drehte der Vampir mit den Fingern weiter Runden um den Kelchrand. „Habe ich was verpasst?" Er schüttelte den Kopf und gähnte. Plötzlich tippte mich jemand von hinten auf die Schulter. „Kommst du mit ins Fußvolk?", fragte der deutlich angeheiterte Werwolf, dessen Name mir nicht einfallen wollte. Ein kurzer Blick nach links und rechts. Ich nickte.

Am nächsten Morgen hatte ich einen Kopf größer als die Zugbrücke dieser Burg. Ich lag alleine in Darwins großem Bett. Meine beiden Liebsten mussten vor noch nicht allzu großer Zeit hier gewesen sein. Ich witterte ihren Duft im Bettzeug. Wankend kam ich auf die Beine. Meine Füße führten mich nach Draußen auf den Verteidigungsring.

Dort stand bereits jemand und betrachtete das Tal. Es war Finn. Ich stellte mich schweigend neben ihm. Er wirkte frustriert. „Guten Morgen.", nuschelte ich und gähnte. Finn schwieg, grinste mich wissend nur an. „Du hättest dich gestern nicht auf das Trinkspiel einlassen sollen." Verlegen kratzte ich mich am Hinterkopf. Oh je. Ich musste einen ziemlichen Filmriss haben.

„Trinkspiel?" Er nickte. „Darwin hat dich dann weggeholt, aber da warst du kaum mehr in der Lage auf eigenen Beinen zu stehen." Autsch. Megapeinlich!

„Keine Sorge. Deine Mitspieler können sich bestimmt ebenfalls nicht mehr erinnern. So blau wie die waren." Dafür wusste es sicher genug andere, fügte ich in Gedanken an.

„Das ist sicher nicht der Grund für deine schlechte Laune.", versuchte ich das Thema zu wechseln. Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß, dass du gestern auf dem Plato gestanden hast als ich mit Samu gesprochen habe." Ich versuchte mir nichts ankennen zu lassen. Auffordernd schaute er mir in die Augen. „Es war nicht meine Absicht zu lauschen. Ehrlich!" Finn lächelte wieder. „Da bin ich sicher. Versprich mir einfach, dass die Geschichte gut bei dir aufgehoben ist." Eilig nickte ich eifrig. Eine angenehme Stille entstand zwischen uns. Finns Blick kehrte ins Tal zurück. Ich tat es ihm gleich.

„Da bist du ja!" Hätte sich Samu nicht vorher mit seinem Geruch angekündigt, wäre ich sicherlich total erschrocken. Er legte seine Arme um die Hüfte seines Gefährten und küsste dessen Nacken. „Wolltest du wieder alleine sein?" Finn drehte seinen Kopf und lächelte zweideutig. „Vielleicht versuche ich das. Vielleicht verstecke ich mich auch." Ich machte ein paar Schritte zurück und versuchte mich unsichtbar zu machen. Diese ganzen Herzchen und Blümchen – einfach nicht mein Ding. Die beiden im Blick, stieß ich gegen etwas. Jemand. Das sagte meine Nase. Darwin um genau zu sein. „Willst du wieder fliegen lernen?", raunte er mir zu, „Hinter dir ist die Treppe." Mir war nicht aufgefallen wie viele Schritte ich gelaufen war. Der Alpha legte seine Hände um meine Schulter. So schob er mich ins Innere der Burg. Er brachte mich zum Speisesaal. Dort hockten ein paar Werwölfe. Ein paar lagen sogar stöhnend mit dem Kopf auf ihren verschränkten Armen. Man. Denen ging es eindeutig dreckiger als mir.

„Was genau ist gestern passiert? Bei diesem Trinkspiel?" Darwin grinste nur wissend und drückte mir einen Becher Wasser in die Hand. „Willst du das wirklich aufwärmen?" „Wenn du das so sagst. Ja, dann auf jeden Fall!" Schallend begann Darwin zu lachen. Ich schwöre. Das ist reine Bosheit und feige Absicht von ihm! Auch die lädierten Wölfe hielten sich lieber die Ohren zu. Augenrollend setzte ich mich zu meinen offensichtlichen Saufkumpanen von gestern und trank einen Schluck Wasser. Mein Schädel dröhnte nach Darwins Gelächter mehr denn je. Ich rieb mir die Schläfen um den Schmerz zu vertreiben. Ein halblautes Klatschen hallte durch den Raum. Endlich verstummte der Alpha.


Das Leben zwischen den StühlenWhere stories live. Discover now