Ich kann es kaum erwarten, aufs Revier zu kommen und meinen Dienst anzutreten.
Heute werde ich Oskar wiedersehen und hoffe, dass es ihm gut geht.
"Morgen, Moritz!" Paul hängt hinter dem Empfang herum und scheint nicht ganz auf der Höhe zu sein.
"Morgen!"
"Alex hat angerufen. Du musst ihn nicht holen, er kommt direkt hierher. Er wird bis in zehn Minuten da sein. Geht es um diesen Jungen?"
Eine Antwort bekommt Paul nicht, denn er würde es sowieso nicht verstehen.
Verschwendete Zeit.
In Rekordzeit landet die Uniform an meinem Körper.
Klaus erscheint in der Türe der Umkleide und mustert mich.
"Wer hat das Mitwirken der Polizei bei den Jugendamt Besuchen angefordert? Sie wissen schon... Der Suizidfall."
Ich erstarre kurz und denke an meine Eigeninitiative bei dem Telefonat mit Frau Karrenführ.
Klaus ist sicherlich kein Unmensch, doch eigenmächtiges Handeln ohne Absprache mit dem Chef wird von ihm nicht gerne gesehen.
Ein tiefes Seufzen dringt an mein Ohr.
"Breuer. Ich habe die Berichte von Hetkamp, Funke und Sindera bekommen und durchgelesen. Ich verstehe ihren Tatendrang. Setzen Sie alle Hebel in Bewegung, die sich lösen lassen, vergessen Sie aber nicht, Ihrer regulären Arbeit nachzukommen. Sicherlich werden eigenmächtige Dienstentscheidungen nicht mehr vorkommen, oder?"
"Nein, Chef. Tut mir leid!"
"Sie haben einfach zu viel Herz!"
~○~○~○~
Punkt neun Uhr klingelt Frau Karrenführ an der Türe.
Nervosität macht sich in mir breit.
Alex merkt es, schüttelt unauffällig mit dem Kopf.
Nach dem zweiten Klingeln öffnet Oskars Vater verärgert die Türe.
"Was ist denn?"
"Guten Morgen! Wir würden uns gerne mit Ihnen unterhalten und sehen, wie es Oskar geht. Dürfen wir reinkommen?"
Sein Gesicht schreit uns förmlich an, dass wir verschwinden sollen, doch aus seinem Mund bekommen wir zu hören, dass wir eintreten dürfen.
Der Unterton in seiner Stimme ist abweisend und kühl.
So, wie wenn er mit Oskar spricht.
Wir nehmen alle im Wohnzimmer Platz, der Hausherr mit offensichtlich abwehrender Haltung.
Ich schaue mich kurz um, von den Kindern fehlt jede Spur.
Lediglich die Dusche ist zu hören.
"Herr Bold. Ich möchte gerne über Oskar sprechen. Wären Sie dazu bereit?"
"Meine Frau ist tot. Darüber spricht niemand!"
"Ich verstehe, dass sie inmitten der Trauerphase stecken. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber Oskar lebt und um ihn muss sich, genauso wie um Steven, gekümmert werden!"
"Das mache ich doch!"
"Machen Sie denn irgendwelche Übungen mit ihm?" Die Frau vom Jugendamt entnimmt ihrer Tasche einen Notizblock und einen Stift und nimmt den Herrn ihr gegenüber scharf ins Visier.
"Hat meine Frau gemacht!", blafft er ihr entgegen.
"Und Sie? Führen Sie diese Übungen weiter?"
"Wozu?"
Leichtes Entsetzen macht sich in mir breit, denn es sollte nicht zur Debatte stehen, sein Kind zu unterstützen.
"Damit er die Chance hat zu lernen!", bringt der weibliche Part in das Gespräch ein und notiert etwas auf einem Blatt Papier.
"Bringt doch nichts!"
Ein verachtender Blick trifft auf Frau Karrenführ, Alex und mich.
Ich schnaube auf, schüttle meinen Kopf.
"Wenn Sie solch einen Narren an ihm gefressen haben, dann machen Sie es doch!", keift mir der Vater entgegen.
Damit habe ich nicht gerechnet und schaue wohl etwas schockiert aus, denn sofort fühlt sich Herr Bold bestätigt:
"Sehen Sie. Sie glauben auch nicht daran!"
"Doch. Man merkt, dass er bereit ist mehr zu geben. Er kann nur nicht!"
Ein belustigtes Lachen ertönt.
"Ach, einen Scheiß kann er!"
Frau Karrenführ versucht das Gespräch wieder in richtige Bahnen zu lenken:
"Wohin wird er gebracht, wenn Sie arbeiten? Geht er auf eine Schule?"
Schulterzucken. Ratlosigkeit.
"Er geht in so eine Einrichtung. Meine Frau hat ihn immer gebracht!"
In mir braut sich eine unbändige Wut zusammen.
Der Vater weiß überhaupt nichts von seinem Sohn und bemüht sich kein Stück.
"Was ist das für eine Einrichtung?"
"Weiß ich nicht. Meine Frau hat das immer gemacht!"
Dieses Mal schüttelt die Frau der Runde den Kopf.
"Wo ist Oskar?" Meine Frage sorgt für ein spöttisches Lächeln:
"Duschen."
Genau in diesem Moment kommt Steven in das Wohnzimmer gelaufen und stellt sich dicht vor Alex.
Er ist sichtlich nervös.
"Hi. Alles gut bei dir?" Alex lehnt sich dem Jungen leicht entgegen und und lächelt ihn an, damit er die Anspannung, die diesen Raum beherrscht, nicht allzu sehr mitbekommt.
Steven wirft einen Blick hinter sich, dann wieder zu dem Notarzt.
Ein leises Flüstern dringt an unser Ohr:
"Kannst du mal kommen? Oskar ist ganz kalt."
Sowohl Alex als auch ich springen vom Sofa auf und lassen uns von dem Jungen in das Badezimmer führen.
Dort sitzt Oskar in der Wanne, hat seine angewinkelten Beine mit den Armen umfasst und zittert erbärmlich.
Alex legt sofort die Wasserzufuhr der Duschbrause lahm, während ich ein Handtuch von dem Stapel der Kommode nehme und dem Notarzt reiche.
Steven verschwindet plötzlich.
Man hört eine Türe knallen.
"Nimm du ihn. Dir vertraut er mehr!"
Herr Hetkamp tritt zur Seite, damit ich mich dem in das Handtuch eingewickelten Kind annehmen kann.
Auf meinen Armen transportiere ich Oskar so schnell wie möglich in sein Zimmer und lege ihn in seinem Bett ab.
Der Junge zittert am ganzen Leib.
Alex checkt den Kleinen mit so wenig Körperkontakt wie möglich durch.
Als der Vater den Raum betritt, möchte ich ihm gerne an den Hals springen.
"Was soll das?" Mein Finger deutet auf den zitternden Jungen.
"Wenn er die Dusche nicht ausstellen kann, ist er doch selbst schuld. Außerdem will er es immer kalt!"
Aussage gegen Vermutung.
Wir wissen, dass Oskar Kälte bevorzugt.
Wir wissen nicht, ob er die Abkühlung dringend benötigt hat oder ob das ein Verschulden des Vaters war.
Der Notarzt kommandiert den Vater ab und geht mit ihm zurück in das Wohnzimmer.
Ich setzte mich neben Oskar und ziehe die Bettdecke bis zu seiner Körpermitte nach oben.
Traurig dreinblickende, braune Augen fixieren meine blauen.
Die kleine zierliche Hand des Jungen platziert sich in unmittelbarer Nähe zu meiner auf der Matratze, bevor Oskar seine Augen schließt und tief durchatmet.
Am liebsten würde ich ihn mir schnappen und von hier wegbringen.
Hier gibt es keine Zukunft für ihn.
Niemanden, der sich um ihn kümmert.
Keine Liebe.
Kein richtiges Leben.
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Oskar; Only human - but a little bit different
FanfictionDer Suizid einer Mutter verschafft dem Polizisten Moritz Breuer einen Einsatz. Doch dieser Einsatz läuft nicht routinemäßig ab und zieht noch weitere Kreise. Das Gefühlsleben des Polizisten und auch das eines besonderen Jungen wird auf den Kopf gest...
