☆Moritz☆ ☆8☆

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Weg ist er.
Verschwunden im dunklen Flur, hinter der Türe gefangen.
Abschied?
Hatten wir nicht.

Ich fühle mich schlecht und miserabel.
Die Stimme des Vaters klingt in meinen Ohren, das begrüßende Geschrei hat mir eine Gänsehaut verschafft.
'GEH IN DEIN ZIMMER' statt 'Hallo mein Sohn'.
Böse Blicke, statt warmer Empfang.
Meine Nase kribbelt.
Mein Herz schmerzt.

"Moritz?" Alex mustert mich besorgt, seinem Gesichtsausdruck nach, weiß er, was los ist.
"Nicht jetzt!"
Ich starte den Motor und fahre mit dem Ziel los, Alex nach Hause zu bringen.
In ein Zuhause, in das er gerne geht, sich wohl fühlt.
Nicht so wie Oskar, der zuhause einfach nur geduldet wird.

Oskar
Der letzte Blick.
Leer und für mich trotzdem lesbar.
Hilflos, traurig, einsam.
Das Bild wird sich in meinen Kopf einbrennen, bis in alle Ewigkeit.

"Wir versuchen zu helfen. Kopf hoch! Leider kennst du doch unsere Bürokratie".
Ich werde getröstet, doch wer tröstet Oskar?
Er ist einsam, alleine.
"Ich melde mich. Den Bericht bekommst du so schnell wie möglich!" Mein Kumpel lächelt mir zu, klopft mir auf die Schulter.
Simple Geste, für mich Normalität.
Für Oskar wäre es so viel mehr.
Sein Blick.
Ich atme tief durch, werfe Alex eine flüchtige Verabschiedung zu und fahre aufs Revier.
Mein jetziges Ziel ist es, mich unbedingt abzulenken.

~○~○~○

"Moritz? Was machst du noch hier?" Paul steht neben mir und überfliegt mit seinen Augen die ganzen Papiere.
"Arbeiten!"
Ich will nicht reden, will stumm sein.
Wie Oskar.
"Du hast längst Feierabend. Schon seit Stunden eigentlich!"
Mein Kopf nickt automatisch wissend auf die Frage.
"Der Junge?", will mein Kollege wissen.
Stütze meinen Kopf mit den Händen ab, er kennt mich zu gut.
"Du kannst sie nicht alle retten, Moritz!"
Nein, kann ich nicht, aber Oskar vielleicht.
"Nimm es dir nicht so zu Herzen!"
Simple Worte, für ihn ist der Fall abgehakt.
"Du hast nicht gesehen, was ich gesehen habe", nuschele ich vor mich hin.
"Du darfst nicht immer alles so nah an dich ranlassen!"
Innerliches Auflachen.
Der Kleine hat sich innerhalb dieser kurzen Zeit in mein Herz geschlichen, mir vertraut, sich an mir orientiert.
Er ist schon viel näher, als Paul denkt.
"Geh heim. Ruh dich aus. Du hast nochmal Nachtschicht!"
Paul sammelt die Blätter auf meinem Schreibtisch ein, sieht mich bedeutungsvoll an.
Schüttle den Kopf, stehe auf, ziehe mich um.

~○~○~○~

Zuhause lege ich mich in mein Bett, schließe die Augen.
Rede mir ein, dass ich das Kind vergessen muss.
Wälze mich nach links.
Dieser Blick.
Wälze mich nach rechts.
GEH IN DEIN ZIMMER!
Lege mich auf meinen Bauch, summe ein Lied vor mich hin.
Mein Kopf weiß nichts besseres zu tun, als mir die Textzeilen 'Ich bin dabei, du bist dabei, wir sind dabei uns zu verlier'n' in Dauerschleife abzuspielen.
Wer der wirkliche Verlierer ist, ist offensichtlich.

Öffne die Augen, starre die Decke an.
Kann es nicht zulassen.
Ich bin fest überzeugt, dass es einen Grund hat, dass ich auf diesem Einsatz war.
Muss helfen, alles versuchen.
Für das Kind.
Für Oskar.

"Hallo, Breuer mein Name. Ist Frau Karrenführ zu sprechen?", frage ich die Frau am anderen Ende des Telefons.
"Natürlich, einen Moment!"
Warteschleifenmusik dröhnt in meinen Ohren.
Ich hasse es heute noch viel mehr als sonst.
"Herr Breuer?" Frau Karrenführ klingt genervt und abschätzig.
"Ja. Hallo. Es wurde angeordnet, sie zu den Besuchen bei Oskar zu begleiten!"
LÜGE. LÜGE. LÜGE.
Aber es ist mir egal.
"Hatte ich mir fast gedacht. Geht in Ordnung. In drei Tagen um zwei Uhr mittags!"
Ich bin überrascht, das ging einfach.
"Gut. Ich bringe Herrn Hetkamp mit. Bis dann!"
"Tschüss Herr Breuer!"
Erleichterung durchfährt mich.
Wenigstens ein kleiner Erfolg.
Drei Tage.

Oskar; Only human - but a little bit differentWhere stories live. Discover now