Warm.
Mir ist viel zu warm, will raus, aber Papa hat das Auto abgeschlossen.
Ziehe meinen Pullover aus und drücke mich gegen die Scheibe.
Schließe die Augen und genieße die Erfrischung, die Kälte des Glases.
Es klopft an dem Fenster, ich nehme Abstand.
Eine Frau sieht mich mit großen Augen an, sie bewegt ihren Mund, doch ich verstehe sie nicht.
Setze mich ordentlich hin und schaue sie genauer an.
Braune Haare.
Braune Augen.
Kleine Nase.
Fast wie Mama, nur anders.
Die Frau rüttelt am Türgriff des Autos, versucht die Türe zu öffnen.
Du kommst hier nicht rein, Papa hat abgeschlossen.
Was sie wohl will?
Lippen zu einem Strich gezogen, Augen zu Schlitzen geformt.
Sie hält ein Handy am Ohr, redet ganz viel.
Papa sagt nie viel am Telefon, nur das Nötigste.
Wenn Oma anruft, legt er sogar immer auf, nachdem er komisch getreten hat.
Warm.
Klettere wieder zurück in meinen Kindersitz, schließe die Augen.
Die Frau stört mich, sie soll weggehen.
Ich habe schrecklichen Durst und muss etwas trinken.
Aber es ist nichts da, muss auf Papa warten, vielleicht bringt er mir was mit.
Öffne wieder meine Augen, um Ausschau nach Papa und Steven zu halten.
Die Frau steht immer noch da, dreht dauernd ihren Kopf in alle Richtungen.
Ob sie auch auf die beiden wartet?
Woher sie meinen Papa wohl kennt?
Warm.
Drücke meine Stirn gegen die Scheibe.
Warm.
Die Sonne hat die Glasscheibe erhitzt, sie bietet keine Erfrischung mehr.
Wende mich wieder ab und zähle die Fussel an dem Autositz vor mir.
Meine Stirn wird nass.
Wenn ich meinen Mund auf und zu mache, entstehen komische Geräusche.
Fast so, wie wenn meine Schuhsohlen durch zähen, dicken Matsch laufen, nur etwas anders.
Neben unserem Auto hält ein anderes Auto.
Ein blau/weißes.
Streifenwagen.
So schnell wie möglich klettere ich wieder auf den Fahrersitz und schaue gespannt auf die Türen.
Kommt Moritz?
Als die Türen aufgehen, kommt auch ein Krankenwagen angefahren.
Was machen die hier?
Zwei Männer steigen aus dem Wagen der Polizei aus.
Schwarze Haare und blonde Haare.
Nicht so blond wie Moritz.
Wische mir den Schweiß von der Stirn.
Der Blonde geht zu der Frau, redet mit ihr.
Der mit den schwarzen Haaren stellt sich vor mein Fenster.
Seine Mundwinkel wandern in die Höhe.
Er lächelt mich an und sucht das Auto mit seinen Blicken ab.
Was sucht er?
Ein weiterer Mann taucht auf.
Braune Locken.
Er winkt mir zu, trägt Klamotten wie Alex, als Mama tot war.
Arzt.
Mein Körper ist viel zu warm und überall feucht.
Schließe die Augen, da ich müde bin.
Wildes Gehämmer gegen die Glasscheibe ertönt und lässt mich nicht schlafen.
Der mit den Locken schreit ganz laut.
Diesmal höre ich, was auf der anderen Seite gesagt wird.
Warum muss ich die Augen auf lassen?
Meine Augenlider sind so schwer.
Will die Männer nicht anschauen, Moritz ist nicht da.
Papa kommt mit Steven.
Der blonde Polizist läuft auf Papa zu, zeigt mit dem Finger auf mich.
Augendrehen von Papa, Klackern vom Auto.
Die Türe geht auf.
Der Arzt packt mich unter den Armen, zieht mich aus dem Auto und setzt mich auf dem Boden ab.
Hier draußen ist es nicht so heiß wie im Auto und ich kann besser atmen.
Der Blonde redet sehr laut mit Papa.
Papa schreit.
Mein Körper versteift.
Die Hände an meinem Körper, von dem Mann mit den Locken, machen die Wärme nicht besser.
"Was ist los? Hast du Schmerzen?"
Durst habe ich.
Kann kaum noch schlucken, mein ganzer Mund ist trocken.
"Komm, rede mal mit mir. Wie geht es dir?"
"DER IST GERSTÖRT. DER REDET NICHT! ANFASSEN LÄSST ER SICH AUCH NICHT GERN!"
Alle schauen zu Papa, keiner sagt etwas.
Große Augen, Mund leicht offen.
Weiß nicht, was sie fühlen, was diese Gesichter bedeuten.
"Stimmt das, dass du nicht redest und du nicht angefasst werden möchtest?" Der Arzt ist nett, so wie Alex.
Ich nicke ihm zu und bekomme ein Lächeln geschenkt.
Warum lächelt er und sagt nicht, dass ich reden muss?
Sein Blick haftet sich an meinen blauen Flecken im Gesicht.
"Wer hat dir da weh getan?"
Schaue zu Papa.
Er fuchtelt mit den Händen herum, hat wieder einen ganz roten Kopf.
Ich bin schuld.
Beide Polizisten stehen jetzt bei ihm, der eine schreibt etwas auf, der andere redet.
Neben mir setzt sich Steven auf den Boden, mit kleinem Abstand zu meinem Körper.
Er gibt mir eine große Wasserflasche, die sich sehr kühl anfühlt.
"Steven!"
Steven hört nicht auf Papa, bleibt bei mir sitzen und sieht nur mich an.
Ich öffne die Flasche und trinke so viel ich kann, bis mein Bauch weh tut.
Den Rest leere ich über meinen Körper, da mir immer noch viel zu warm ist.
"Stopp! Das ist zu kalt!" Der Arzt nimmt mir die Flasche weg und sagt, dass mein Kreislauf oder mein Herz schlapp machen könnten.
"Er mag es kalt!" Steven weiß, was ich brauche und lächelt mich an.
"Wer hat ihm weh getan?" Der Arzt wendet sich meinem Bruder zu, doch der bleibt stumm.
"War es euer Vater?" Der Arzt dreht seinen Kopf zu Papa.
Der blonde Polizist schüttelt den Kopf und deutet mit dem Zeigefinger zu uns.
"Tut er dir auch weh?"
Wieder ein komischer Blick, den ich nicht verstehe.
Für einen kurzen Moment lege ich meine Hände vors Gesicht, damit ich nichts mehr sehen muss.
"Papa tut mir nicht weh, niemals!"
Steven sagt die Wahrheit und doch ist der Arzt irgendwie böse, denke ich.
Um mich zu vergewissern, spickele ich durch meine Finger hindurch.
Kopfschütteln, zugekniffene Augen, Lippen zu einem Strich gezogen.
Böse oder nicht böse?
Steven steht auf und geht zu Papa, der ihm einen Arm um die Schulter legt.
Der schwarzhaarige Polizist kommt kopfschüttelnd zu uns und geht neben mir in die Hocke.
"Na, Kleiner, alles okay?"
Ich nicke, mit frischer Luft und Wasser ist alles besser.
"Sag mal, ist dein Papa oft so laut und sagt böse Worte zu dir?"
Laut ist er nicht immer und böse Worte sagt er auch nicht jeden Tag.
Er sagt nur, was ich bin.
Gestört.
"OSKAR! WIR GEHEN!"
Mein Kopf wendet sich Papa zu, der auf das Auto zu gestampft kommt.
"Ich muss ihn erst noch untersuchen!" Der Arzt hat eine zischende Stimme, anders als bei mir zuvor.
"Er lebt, er atmet, was will man mehr? Auf, Oskar, steig ein!"
Ich mühe mich auf meine Füße, die ein bisschen wackelig sind, und klettere über den Fahrersitz nach hinten.
"Das ist verantwortungslos. Sie müssen..."
"Ich muss gar nichts. Das ist mein Kind und meine Entscheidung. Auf Wiedersehen!"
Der Polizist macht Platz, damit Papa einsteigen kann und wirft einen Blick zu mir nach hinten.
Ich drehe meinen Kopf weg und schaue aus dem anderen Fenster.
Neben uns steht ein blaues Auto.
Blau.
So blau wie die Augen von Moritz.
YOU ARE READING
Oskar; Only human - but a little bit different
FanfictionDer Suizid einer Mutter verschafft dem Polizisten Moritz Breuer einen Einsatz. Doch dieser Einsatz läuft nicht routinemäßig ab und zieht noch weitere Kreise. Das Gefühlsleben des Polizisten und auch das eines besonderen Jungen wird auf den Kopf gest...
☆Oskar☆ ☆9☆
Start from the beginning
