Lege mich wieder hin, versuche erneut zu schlafen.
Vier Stunden später wache ich wieder auf, mein schlechtes Gewissen plagt mich.
An manchen Tagen ist es normal, dass einen die Fälle des Tages heimsuchen und nicht loslassen wollen.
Doch in Oskars Fall schwingt die leise Ahnung mit, dass ich sehr lange daran zu knabbern habe.
Warum es so ist, weiß ich nicht.
Vielleicht ist es die Tatsache, dass er noch ein Kind ist und derart schlecht behandelt wird.
Eventuell gebe ich auch nur wieder meinen Gefühlen zu viel Spielraum.
Jedoch liegen mir die Worte des Psychologen und seine erstaunte Art immer noch in meinen Gedanken.
Als wenn er überrascht wäre, dass sich wirklich jemand um den Jungen sorgt und ihn verstehen will.
Ich versuche meine Gedanken etwas abzuschütteln und begebe mich in die Küche.
Dort suche ich die Küchenschränke nach etwas essbarem ab, obwohl ich kaum Hunger verspüre.
Ein leichtes Grinsen huscht über mein Gesicht, als eine Packung Salz in mein Blickfeld gerät.
Oskars leicht verzogene Gesichtszüge, als er eine zu große Menge des Brezelsalzes erwischt hat, waren einfach zu göttlich.
Ob er wohl viel mehr von sich preisgeben würde, wenn der Vater liebevoller mit ihm umgehen würde?
Könnte er mehr Emotionen zeigen, wenn man sich mit ihm beschäftigt und ihn regelmäßig unterstützt?
Wie sich wohl seine Stimme anhört?
Als mir bewusst wird, dass ich wieder total in meine Gedanken abdrifte, atme ich tief durch und versuche mich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
Meine Hand greift automatisch nach der Notfalldose Ravioli, da ich nicht wirklich in der Lage bin, mir etwas Anständiges zu kochen.
Die daneben stehende Packung Kabapulver lässt ein leises Stöhnen aus meinem Mund entweichen.
Wenn ich bedenke, wie oft ich als Kind ein solches Getränk zubereitet bekommen habe und Oskar das heute zum ersten Mal überhaupt probiert hat, kann ich nur mit dem Kopf schütteln.
Natürlich ist es nur ein Getränk, aber wenn er schon solch eine banale Sache nicht kennt, wie sieht es dann mit anderen Dingen, die für eine Kindheit meiner Meinung nach normal sind, aus?
Ob er Pudding und Eis kennt?
Hat sein Vater jemals mit ihm Marshmallows gegrillt oder seine Mutter mit ihm gebacken?
Moritz, hör doch auf damit.
Es bringt dir nichts, dich derart fertig zu machen!
Du kannst an der Vergangenheit nichts ändern.
Vielleicht aber an der Zukunft, denke ich mir und stelle die blöde Dose wieder in den Schrank.
Da ich mir hier nur zu viele Gedanken mache und mich keineswegs ablenken kann, beschließe ich irgendwo etwas essen zu gehen.
Menschliche Ablenkung und sei es nur durch Beobachtung anderer, könnte mich vielleicht auf andere Gedanken bringen.
Dreißig Minuten später sitze ich in einem kleinen Restaurant, nicht unweit der Wache.
Aus meinem Vorhaben, etwas ordentliches zu essen, ist nicht viel geworden.
Allein eine Suppe hat es in meinen Magen geschafft, da mir schon beim Lesen deftiger Mahlzeiten die Übelkeit versichert hat, dass das keinesfalls in meinem Magen erwünscht ist.
Mein Vorhaben, ein paar Menschen zur Ablenkung zu beobachten, entpuppt sich eher als weiterer Gefühlskiller.
Am Nebentisch sitzt eine Mutter, die trotz der unzähligen Tobsuchtsanfälle ihrer beiden Kinder ihre liebevolle und ruhige Art beibehält.
Oskar zeigt keinerlei Gegenwehr oder trotziges Verhalten und wird von seinem Vater trotzdem mies behandelt.
An dem Tisch daneben sitzt eine vierköpfige Familie, deren Kinder ohne Punkt und Komma reden, weshalb die Eltern ab und zu ihre Augen verdrehen.
Was würde ich dafür geben, Oskar einmal reden zu hören.
Es wäre so viel einfacher für ihn, wenn er sich mitteilen würde.
Ob er es aufgegeben hat, da ihm eh niemand Gehör schenkt?
Tja Moritz, was würdest du tun, wenn sich keiner für dich interessiert und du für alle nur eine Last darstellst?
Seufzend ziehe ich mein Smartphone aus der Hosentasche und stelle ein paar Nachforschungen zu dem Asperger-Syndrom an.
Zu meinem Erstaunen gibt es keine klare Struktur, die sich wie ein roter Faden durchzieht, sondern viele verschiedene Formen dieser Krankheit.
Was mir nach den ersten paar gelesenen Zeilen ins Auge sticht, ist die Nennung einer Inselbegabung.
Das durfte ich bei dem Besuch des Psychologen schon im Bereich der Mathematik, bei Oskar, feststellen.
Genauso taucht hier die Problematik mit der Emotionserkennung und der gestörten Wärmeempfindlichkeit auf.
Auch, dass Asperger Kinder oft berührungsempfindlich sind, wird in vielen Artikeln erwähnt und als äußerst schwierig deklariert.
Ein weiterer Punkt, der berücksichtigt werden sollte, ist ein strukturierter Tagesablauf, der dem Kind Sicherheit gibt.
Da stellt sich mir die Frage, ob Oskar das vor dem Suizid seiner Mutter hatte oder ob auch darauf keiner Rücksicht genommen hat.
Mir ist bewusst, dass es schwierig ist, jeden Tag in gewisser Hinsicht gleich ablaufen zu lassen, aber wenn ihm eine gewisse Gewohnheit Sicherheit vermittelt und ihn dann besser fühlen lässt, dann setzt man das doch auch für sein Kind um, oder?
Ach Moritz, was weißt du denn schon...
Du lebst alleine und ziehst dein eigenes Ding durch.
Du weißt doch gar nicht, wie es ist, wenn man ein Kind hat und dann auch noch so ein besonderes.
Ich lasse das Display meines Handys wieder verdunkeln und lehne mich in meinem Stuhl zurück.
Meine Gedanken kreisen jetzt noch stärker um Oskar und sein familiäres Umfeld, das keinerlei Interesse an dem Jungen zu haben scheint.
Warum bin ich als Außenstehender gewillt, Oskars Leben in positiver Hinsicht auf den Kopf zu stellen und sein Vater nicht?
Ist das nur dieses unbeschreibliche große Mitleid und mein feinfühliges Herz, das einfach nie gewisse Tatsachen akzeptieren kann?
Warum lässt mich ausgerechnet dieses Kind nicht mehr los?
Warum habe ich diesen unbändigen Drang für Oskar da zu sein?
Ganz einfach Moritz...
Weil der Kleine es verdient hat und das Schicksal es so will!
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Oskar; Only human - but a little bit different
FanfictionDer Suizid einer Mutter verschafft dem Polizisten Moritz Breuer einen Einsatz. Doch dieser Einsatz läuft nicht routinemäßig ab und zieht noch weitere Kreise. Das Gefühlsleben des Polizisten und auch das eines besonderen Jungen wird auf den Kopf gest...
☆Moritz☆ ☆8☆
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