Louis, der ehemalige, unsichtbare Freund.

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»Rede mit mir.«

Wir sitzen uns gegenüber und starren uns schon gefühlte Stunden an. Er hat noch kein Wort gesagt, aber seine Gestalt ist fester geworden, was so viel heißt, dass ich nicht mehr durch ihn hindurch die Wand anschauen kann.

»Mit deinem Erscheinen hast du mir bestätigt, dass du Louis heißt.«

Louis schaut mich weiterhin einfach nur an. Es wäre mir viel lieber, wenn er mit mir reden würde.

»Hast du die Person oben getötet?«

Er schüttelt langsam seinen Kopf, was mich zum Lächeln bringt.

»Wirst du mich gehen lassen?«

Schon wieder schüttelt er den Kopf und mein Lächeln verrutscht etwas.

»Wirst du mich töten?«

Der Geist vor mir zuckt mit den Schultern und langsam schenke ich der Aussage meiner Mutter Glauben.

»Soll ich also daran glauben, was man mir gesagt hatte?«

Louis legt den Kopf schräg und weiß anscheinend nicht, was ich meine.

»Man sagte zu mir, dass ich hier nicht lebend herauskomme. Stimmt das?«

Er zuckt wieder mit den Schultern und ich atme mir einmal tief durch.

»Warum habe ich von dir geträumt?«

Schon wieder zuckt er mit den Schultern. Dass er nichts sagt macht mich verrückt.

»Verdammt, rede mit mir!«

Wieder einmal schüttelt er den Kopf und ich seufze frustriert auf.

»Du bist nicht böse, dessen bin ich mir bewusst, ich meine–«, ich breche meinen eigenen Satz ab und denke nochmal kurz nach. »Ich hasse es, wenn es still wird. Normalerweise rede ich nicht viel, aber ich würde alles machen, damit die Stille verschwindet, also muss ich wohl oder übel mit dir reden. Versteh es nicht falsch, ich würde ja mit dir reden, aber du sagst einfach kein Wort.«

Er zuckt mit den Schultern. Schon wieder. Es macht mich wahnsinnig.

»Weißt du, was fürchterlich ist? Dass man keine Kindheitserinnerungen hat. Ich weiß nicht, wie meine früheren Freunde heißen, oder wo ich mal gewohnt habe. Aber wo ich gewohnt habe, habe ich mittlerweile herausgefunden.«

Ein bitteres Lachen kommt über meine Lippen und ich erschrecke mich selbst dabei. Ich hätte nicht gewusst, dass ich so etwas drauf habe.

»Ich bin kein normales Kind«, sage ich dann ohne irgendeinen Zusammenhang. »Zumindest habe ich das Gefühl. Mein ganzes Leben lang hatte ich das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Dieses Etwas schien eine Person in meiner Kindheit gewesen zu sein.«

Ich wende meinen Blick ab und schaue auf meine Hände, um nicht irgendwie fassungslos loszuheulen, dass ich so etwas denke. Wie kann ich so etwas behaupten, wenn ich nichts von meiner Kindheit weiß?

»Ich würde gerne in die Vergangenheit reisen. Nicht um Fehler zu vermeiden, sondern um Jemanden zu umarmen, der heute nicht mehr da ist«, sage ich dann leise. »Vielleicht ist diese Person noch da. Ich weiß es nicht. Diese Geschichte ist eigentlich total absurd, aber ich will meinen Glauben nicht daran verlieren. Meine Mutter hatte mir erzählt, dass ich als kleines Kind einen unsichtbaren Freund hatte. Zuerst konnte ich es kaum glauben, weil es sich völlig absurd, so, als wäre ich als Kind auf den Kopf gefallen. Als ich klein war waren mal Dinge passiert, die meine Eltern nicht so toll fanden, aber was genau weiß ich nicht. Sie reden nicht mit mir über die Vergangenheit. Sie verheimlichen Dinge und als ich sagte, dass ich hierher fahren will, da stritt ich mich mit meiner Mutter. Sie sagte, ein Geist würde hier sein und mich töten, ich werde nicht lebend aus diesem Haus kommen. Sie sagte, sie mache sich Sorgen und sie habe Angst mich zu verlieren. Sie verbat mir zum See zu gehen. Ich habe dir doch gesagt, dass ich von dir geträumt habe. In meinem Traum war ich fast ertrunken und dann tauchtest du auf. Du hast mich gerettet, aber dann wurde ich wach. Ich bin auf irgendeiner Weise so verwirrt, sodass ich gerade nicht wirklich den Zusammenhang von meinem Gerede verstehe. Es ist einfach... durcheinander, schwammig, nicht klar.«

Langsam erhebe ich meinen Blick und sehe ihn an. Er starrt mich immer noch einfach an, aber seine blaugrauen Augen scheinen mehr zu leuchten, so als würde es ihm gefallen, dass ich ihm erzähle, was gerade durch meinen Kopf vorgeht.

»Meine Erinnerungen sind einfach... verschwommen. Nichts, aber auch wirklich gar nichts, ergibt Sinn. Es macht mich halbwegs verrückt«, murmle ich und fahre mir durch die braunen Haare. »Aber dieses Durcheinander beschreibt mein ganzes Leben.«

Meine Augen wandern kurz seinen Körper entlang und ich erkenne an seinen Armen viele Tattoos. Ich stehe auf Tattoos, wenn ich ehrlich bin. Er trägt ein einfaches, schwarzes Tank Top und an seinen Beinen trägt er eine schwarze Skinny Jeans. Mein Kleidungsstil ist seinem sehr ähnlich. Ich trage eine schwarze Skinny Jeans, ein schwarzes Top und eine schwarze Lederjacke.

»Ich stehe auf Tattoos...«, sage ich leise und schaue mir nochmal jedes Tattoo an. »Sie stehen dir, wirklich.«

Er legt wieder mal seinen Kopf schräg und ich schenke ihm ein zaghaftes Lächeln. Diesmal verändert sich seine Mimik und ein ganz leichtes Lächeln bildet sich auf seinen Lippen ab. Man muss dreimal hinschauen, um zu erkennen, dass er leicht lächelt. Aber nur ganz leicht.

»Als kleines Kind wäre ich beinah im See ertrunken«, sage ich dann und seine Mimik versteinert sich plötzlich. »Mein unsichtbarer Freund soll laut meiner Mutter Louis heißen. Ich habe oben ein Bild in einer Kommode gefunden. Ich bin auf diesem Bild und man sieht dich auch, aber nur ganz verblasst. Mein Name ist Raven Lee. Vor 15 Jahren habe ich hier gewohnt.«

DemonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt