•1• Schmerzen

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Schlucken tut weh. Denken tut weh. Atmen tut weh. Selbst jetzt noch am Leben zu sein tut weh. Es hatte plötzlich alles keinen Wert mehr.

Ich machte meine hölzerne Haustüre zu und schmiss den Autoschlüssel auf die weiße Komode. In meinen Gedanken war fast nichts anderes außer Karl, meine Augen taten weh und meine Kehle war ausgetrocknet.

Ich zog meine Schuhe aus und stolperte die Treppen hoch in mein Schlafzimmer. Dort angekommen ließ ich mich kraftlos auf mein Bett fallen und fing wieder an zu weinen. Gerade fühlte sich alles so wertlos an, so sureal. Ich kam mir vor, als wäre ich in einem Alptraum. Gott, ich wünschte ich wäre in einem Traum. 

"Er hat es leider nicht geschafft"

Ich weiß nicht mehr genau wie es dazu gekommen ist, denn alles ging so schnell und meine Gedanken flogen im Moment nur so durch meinen Kopf. Erst der Anruf des Notarztes, dann das ewig lange gewarte auf das aufwachen und jetzt- die Todesnachricht.

Als ich daran dachte, wurde mir schlecht und ich spürte einen erneuten Schub an Tränen. Der Schmerz stach mir gerade zu in die Brust und ich bekam fast keine Luft mehr. "Warum...", flüsterte ich vor mir her, bis ich immer lauter wurde.

Das vorher noch sonnige Wetter hatte sich verschlimmert und es wurde dunkler. Wahrscheinlich würde es in den nächsten Tagen sehr viel regnen, vielleicht kommt sogar ein Unwetter. Tatächlich kommt das gerade fast zu passend. So hatte ich wenigstens eine Ausrede, falls jemand mit mir reden will. Denn das ist echt das letzte was ich im Moment tuen will.

Noch niemand wusste was passiert war, ich war dabei und der einzige, der es bis jetzt wusste. Allerdings hatte ich auch nicht die Kraft, irgendwem zu schreiben und es nochmal zu formulieren. Denn ich kann es selbst immernoch nicht fassen. Und die Worte in meinem Kopf will ich erst gar nicht aussprechen, doch immer wieder höre ich sie mit der Stimme des Arztes...

"Er ist tot"

Weil ich langsam den Schmerz nicht mehr aushielt griff ich hektisch zu meinen Airpods und ließ irgendeinen Song aus einer Playlist laufen. Es war mir gerade ziemlich egal, welches es war, hauptsache es lenkt mich ab.

Ich hörte das Klavierspiel und entspannte mich etwas, wenn man das so nennen konnte. Meine Brust bewegte sich immernoch schnell auf und ab, meine Hände lagen immernoch zitternd auf meinen Beinen und ich saß immernoch auf dem Boden gegen die Wand gelehnt. Nacheinander kullerten Tränen meine Wangen hinunter und ich schluchtze. Ich studierte die Worte in meinem Kopf und dachte nach.

>>"Nein Nick gibs her", lacht Karl und versucht seinen Controller wieder zubekommen, den ich allerdings  so hoch halte, das er niemals ran kommt. "Versuchs doch", forderte ich ihn auf und streckte mich noch mehr in die Höhe. Karl, der sowieso schon einen Kopf kleiner als ich war, stieg nun auf seinen Stuhl und versuchte den Controller zu greifen. Dabei verlagerte er allerdings das Gewicht so sehr auf mich das ich nach hinten umkippte und ins Bett fiel. Nun lag Karl auf mir, sah mich an. Nervös lachte er und nahm mir den Controller aus meiner Hand. "Haha, ich hab ihn", lächelte er weiter verlegen und ging wieder von mir runter.<<

Während ich daran dachte lächelte ich wieder etwas. Dennoch zerbrach ich immernoch. Niemand konnte mir helfen, niemand konnte ihm jetzt noch helfen. Und das war die harte Realität.

Ich wünschte ich könnte noch einmal mit ihm reden. Die letzten Monate machten wir fast nichts mehr zusammen und dann finde ich es plötzlich heraus. Ich hasse mich dafür, das ich es nicht schon früher gemerkt habe. Wenn ich wenigstens noch einmal, ein einzigstes Mal mit ihm reden könnte und er mir sagen würde was los war.

Diese Ungewissheit was wirklich passiert ist, was wirklich mit ihm los war und die Schuldgefühle erdrücken mich. Er hatte mir nie gesagt wie schlecht es ihm ging. Ich hatte keine Ahnung, warum er das getan hat, und das machte alles schlimmer. Je mehr ich darüber nachdachte, desto größer wurde meine Verzweiflung.

War ich daran schuld? Hatte ich irgendwas falsches gesagt? Berührte ihn der ganze Hate doch, auch wenn er mir versicherte, dass es ihm egal ist? Hatte er vorher schon ein Zeichen gegeben?
Ich ging alle meine Erinnerungen der letzten Wochen durch, jedoch waren es wenige. Viel zu wenige.

In meinem Kopf wiederholte sich die ganze Zeit eine einzigste Frage, warum? Dazu ging mir der Moment im Krankenhaus nicht mehr aus dem Kopf.

>>Schon seit Stunden warte ich neben dem Krankenhausbett auf irgendein Anzeichen von Leben. Niemand ist bei mir, da es viel zu spät ist. Bald müsste ich auch gehen und auf ein weiteres hoffen, das er die Nacht überlebt. Ich drehe meinen Kopf zu Karl rüber und betrachte seinen Hals. Unter den vielen Schichten von dem Verband, sieht man immernoch das leichte rot. Lächelnd sehe ich ihn an, beobachte wie seine Brust sich langsam auf und ab bewegt und hoffe, das diese Bewegung nicht aufhört. Über die Zeit, die ich schon hier bin, habe ich das piepen des Herzmonitors ausgeblendet. Deswegen schrecke ich auch hoch, als sich das regelmäßige piepen in ein langgezogenes, hohes Geräusch verwandelt. Mein Kopf schnellt zu der Anzeige hoch und ich werde direkt panisch, als ich nur eine gerade Linie sehe. Die Zimmertür wird ruckartig und unsanft aufgemacht und mehrere Ärzte, gefolgt von vielen Helfern, stürmen aufgeregt herein. Ich stehe auf und mache einen Schritt zurück, dann noch einen, bis ich die Wand berühre. An ihr versuche ich halt zu finden und gehe langsam vor in Richtung Bettkante. Die Ärzte haben sich über den Körper gebeugt und reden durcheinander, sodass ich kaum was verstehe. Nur Bruchteile von Sätzen werden nicht verschluckt und ich versuche mir daraus Informationen zu holen.
"... stabilisieren..." "...immernoch kein Atem..." "...werden ihn verlieren...".
Ich konzentriere mich so sehr, das ich nicht merke, wie sich jemand neben mich stellt. Eine Helferin lächelt mich an und nimmt meinen Arm. In einer viel zu ruhigen Stimme flüstert sie mir "kommen Sie mit, ich bringe Sie in einen anderen Raum" zu. Meine Augen liegen immernoch auf Karl, allerdings nicke ich. Langsam lasse ich mich raus führen und verfalle dann in Panik.<<

Viele Emotionen bildeten sich in mir. Dieser Moment war gerade mal eine Stunde her und doch fühlte er sich so weit weg an.

Ich hoffe ihn geht es gut, da, wo er jetzt ist.

1067 Wörter

ily<3
stay safe
~kimi

you left, but I still love you || KarlnapWhere stories live. Discover now