Kapitel 18 - Lupus memoria

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Doch die politischen Fronten hatten sich für alle verhärtet, jeden Tag protestierten mehr Fatuiten vor dem Ratsgebäude. Selbst im Rat hatte sich eine Opposition gebildet. Mile selbst war bei der Schicksalsdebatte so überfordert, dass er dem Beispiel von Generalin Fluc und Königin Amiéle gefolgt war und sich enthalten hatte. Der Rest des Rats war in zwei Lager gespalten. Orion, Löwenherz und Muhme Trude forderten, dass jede Verletzung der Prophezeiung umgehend und so weit wie möglich nichtig gemacht wurde. – Eine Haltung, die auch die Protestierenden vor dem Rathaus vertraten. Die Opposition bildeten die Barbaren und Ikarus, die darauf beharrten, die Situation auszunutzen und lieber an mehr Informationen über die Pläne der Antagonisten herauszubekommen. - Doch an ihrer letzten Sitzung hatte Drosselbart sein Veto eingelegt, die Diskussionen beendet und die Entscheidung allein getroffen.

Und ausgerechnet in diesen Krisenzeiten mussten die Werwölfe und Hybriden sich auf einen neuen, gemeinsamen Anführer ihrer Truppen einigen, um ein neues Ratsmitglied zu stellen... Es hätte kaum komplizierter sein können.

»Warum sind die Fatuiten mit einem Mal so radikal?«, fragte Mile seine Begleiterin in Samt, die gerade eine der Wyrselstein-Laternen von den Wandhalterungen nahm.

»Jetzt weisst du, was ich damals in LaRuh meinte, als ich sagte, dass die Ramos Fanatiker sind«, antwortete sie nüchtern und trat durch den geräumigen Empfangssaal an ihn heran. Der Schutt knirschte unter ihren Stiefeln, als sie sich neben ihn setzte. »Lass dich von den Idioten dort draussen nicht verunsichern, du hast dein Bestes gegeben.« Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

Unterdessen hatte Mile das dicke, handgeschöpfte Papier des Flugblatts glatt gestrichen, um es sich genauer anzusehen. Stirnrunzelnd entzifferte er die gotischen Lettern. »Hast du das gelesen? ›Ruhm den Rebellen! – Ruhm dem Spinnenbezwinger! – Ruhm den Chaosgöttern!‹« Er liess das Blatt sinken. »Das ist ein diplomatischer Albtraum, Azzarro und Rosanna werden mich umbringen!«

Die Rote gluckste. »Und genau deshalb halte ich mich lieber raus aus Politik.«

»Aber es stimmt, Red«, flüsterte er mit trockenem Mund. »Ich habe nicht das gemacht, was in der Prophezeiung steht. Das behaupten nicht nur die Ramos, auch Drosselbart hat das an der letzten Ratssitzung zugegeben! Ich verstehe nur nicht, was falsch gelaufen ist!«

Der Blick ihrer Mondaugen flackerte. Dann schüttelte sie den Kopf. »Erstens solltest du mir nicht verraten, was ihr an euren Ratssitzungen besprecht«, wies sie ihn zurecht und stellte die Laterne neben ihnen auf den staubigen Boden, um ihm die Hände auf den Arm zu legen. »Und zweitens: Wäre es dir lieber gewesen, du wärst wie dein jähzorniger Vorfahr Aodhan in den Flammenhass verfallen, um wahllos jeden zu Asche zu verbrennen, der dir in die Quere kommt?«

Müde schüttelte Mile den Kopf. »Nein, aber darum geht es mir auch nicht. Feivel hat überlebt, dabei sollte er eigen-«

»Uuund nicht weiter!«, unterbrach Red ihn und ertappt klappte er den Mund zu. »Das sollst du nicht mit mir, sondern mit dem Rat besprechen«, erinnerte sie ihn erneut und richtete sich auf. »Du grübelst zu viel vor dich hin. Selbstzweifel hilft dir nicht weiter. Ausserdem wüsste ich es, wenn du ein Trickster wärst.«

»Also schlägst du mir vor, ich soll dieselbe Strategie nutzen wie du und einfach alles vermeiden, was mit dem Schicksal zu tun haben könnte?«, schnaubte er belustigt, was sie mit einem schuldbewussten Lächeln erwiderte. Fast hatte er ein schlechtes Gewissen, denn seit die Fatuiten unter den Rebellen so durchgedreht waren, war Red weniger distanziert und verbrachte viel Zeit mit ihm. Sie beschützte ihn, wann immer die Proteste ihm zu sehr auf die Pelle rückten. Ihre Zeit als Roter Kommandant, als sie in Aramesia stationiert gewesen war, machten sich nun bezahlt, da sie genau wusste, wie man sich auf dem Brückensystem der Stadt orientierte. So konnten sie dem Pöbel meist ausweichen. Ausserdem blieb sie neuerdings bis zum Morgen, wenn sie bei ihm schlief. Egal, ob man sie gemeinsam das Zelt verlassen sah oder nicht. - Immerhin ein Vorzug, von religiös Verwirrten belagert zu werden.

Twos - Ein Märchen von Sommer und Winter  - Neue Fassung (3)Where stories live. Discover now