2 - Gill

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Willow saß im Schneidersitz auf der Rückbank, und zog an einem Joint. Ich lehnte am Fahrersitz und ließ ein Bein aus dem Auto baumeln. Die Ärztin im Krankenhaus hatte mir einen Verband um den Oberschenkel gewickelt, welcher unter meiner Schwimmshorts zu sehen war. Ich hatte Alfie neben eine Landstraße geparkt und zusammen starrten wir drei auf ein Kornfeld. "Was sagst du deiner Mom?", unterbrach Will die Vergiftung ihrer Lunge. Gott, wie ich es verabscheue, wenn sie sie sich das antut. Robin hatte einfach einen verdammt schlechten Einfluss auf sie. Ich zuckte zusammen, als mich Will aus meinen Gedanken riss. Eben haben wir einfach nur da gesessen, die in abendlichen Sonnenstrahlen getränkte Landschaft beobachtet und uns angeschwiegen. Für einen Moment fühlte ich mich fremd. Fremd in einem Moment. Einfach die Ruhe genießen, irgendwo im Nirgendwo. Und auf einmal bringt Will so was. Als ob sie es nicht schon oft genug versucht hatte, mir mein "ach so spannendes" Geheimnis zu entlocken. "Flugzeugabsturz, ich bin die einzige Überlebende. Sie sollte froh sein, dass ich nur mit ein paar Kratzern davon gekommen bin.", lallte ich, doch Will zog nur genervt die Augenbrauen hoch. "Das nennst du ein paar Kratzer? Sag mir lieber gleich, wer dir das angetan hat-", "Und dann? Willst du bei ihr aufkreuzen und deine verstaubten Ballett-Künste gegen sie verwenden?", ich rutsche vom Sitz und humpelte vor Gill. Ich fuchtelte mit meinen Armen, als würde ich Wellen bilden wollen. "Ein eleganter Sauter hier, ein gewagter Assamblé da.", ich warf ein paar Fachbegriffe aus und ernte dafür einen ernsten Blick. Ich hingegen setzte mein Schauspiel fort. "Na immerhin. Jetzt weiß ich wenigstens, dass es sich um eine sie handelt.", shit. Will musterte mich mit ihren tief grünen Augen also wollte sie mich mit ihnen abstechen wollen. Interessante Vorstellung, wohl bemerkt. "Gibst du dann jetzt wenigstens Ruhe?", ich pflanzte mich zurück auf den Fahrersitz und kreuzte die Arme vor der Brust. "Du glaubst doch nicht im ernst, dass -",sie hielt inne und ich drehte mich zu ihr. Will kramte mit einer Hand ihr Handy aus der Latzhose und starrte auf eine Nachricht. Nachdem sie eine halbe Ewigkeit auf den Bildschirm gestarrt hatte, hob sie den Kopf; "können wir zu dir fahren?", "Klar.", ich setzte mich gerade auf meinen Platz und beobachtete sie im Spiegel, wie sie den Joint unachtsam auf den Boden schmiss und aus dem Auto stieg. Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, watschelte sie vor Alfie herum und setzte sich schließlich neben mich. "Alles gut?", fragte ich sie, woraufhin sie schwer schnaufend reagierte. "Ok, wie du meinst. Du weißt jetzt ein Stück mehr über mein Geheimnis. Ist es da nicht fair, wenn ich auch was über deins erfahre?", ich starrte geradewegs an den Bäumen vorbei. "Jasper hat mich gerade darüber informiert, dass Robin bei uns daheim wieder eine Party schmeißt.", Jasper Goodins. Will's und Robin's Nachbar. Seit unsere Beziehung vor einigen Wochen in einem Streit mitten auf dem Flur vor seiner Haustür ausgeartet ist, habe ich ihn nicht mehr gesprochen. An diesem Tag hatte er die Kokainpäckchen im Kopfkissen gefunden. Ein kurzer Aufbewahrungsort, den ich damals als absolut Bombensicher erachtet hatte. Mir war schließlich nicht klar, dass er das Bettzeug kurz darauf wechseln würde. Ich konnte froh sein, dass er es seinen Kollegen bei der Polizei nicht gemeldet hatte. Wenn das auch überhaupt nicht für ihn als Polizeibeamten spricht. Wenigstens hat er mich nicht verpfiffen, das war die Hauptsache.

Ich startete den Motor und fuhr hinaus auf die Landstraße. Mit raschen Blicken sah ich zu Willow, die ihren Kopf auf ihren Arm gestützt hatte und die Gegend beobachtete. Obwohl sie direkt neben mir saß, war mir klar, dass sie in ihren Gedanken ganz weit weg schwelgte.

Der Schlüssel klickte und ich lehnte meinen Körper gegen die Eingangstür, damit Will an mir vorbei ins Treppenhaus huschen konnte. Ich folgte ihr, wobei mir bei jedem Schritt ein pochender Schmerz durch mein Becken fuhr. Ein klares Zeichen dafür, dass die Medikamente nachließen. Will hielt vor dem ersten Eingang, an dem ein pinkes Klingelschild mit dem Namen "Hale" angebracht worden war. Aus dem fahlen Gang stach es vollkommen hervor. Es machte einen Eindruck, als würde einen hinter der Tür ein gemütliches Paradies erwarten. Fehlanzeige. Denn mein Zuhause war alles andere als ein Wohlfühlort für mich. Doch nach dem Rausschmiss aus Jasper's Wohnung war dies die einzige Möglichkeit gewesen, mir nicht als einer der unzähligen Obdachloser hier in London den Arsch abzufrieren. Zudem wäre ein Wiedereinzug in die WG nach wie vor keine Option gewesen, seit sich dort dieser Aasgeier von einem Robin eingenistet hatte. Ich schloss auf und ließ Willow eintreten. Sie hinterließ braune Dreckklumpen auf dem rosigen Teppich. Tatsächlich war ich in dem Moment froh über ein wenig Abwechslung, was die Farbe betrifft. Ich streifte meine Schuhe ab und schloss mich ihr an. "Mom, bist du zuhause? Ich hab Will mitgebracht.", hallte meine Stimme durch die pinkfarbenen Räume. Alles war sauber und aufgeräumt, ganz im Gegensatz zu Willow's Zimmern. Dennoch hatte meine Mutter hier alles in ihrer - wie nannte sie es noch gleich? - Bestimmungsfarbe, der Farbe, die ihre Seele laut sogenannten Wissenspodcasts ausstrahlte, dekoriert. Die Küche, die Böden, die vielen Vasen, sogar die geblümten Tapeten mussten ihrem, ach so grellen Inneren entsprechen. Es kotzte mich an, wirklich. Jedes mal wenn ich diese verdammte Bude betrat verschaffte sie mir aufs neue Kopfschmerzen. Oder vielleicht waren dafür auch die klimpernden Töne verantwortlich, die aus den Lautsprechern schallten. Mom hatte die Wohnung quasi bis auf den Wandschrank damit verwanzt. Damit man ja auch auf der Toilette dem Schrott ausgesetzt war. Kein Wunder, dass uns seit dem Niemand mehr besuchen wollte. Wer auch? Mom ist die einzige Verrückte, die mir bis dato bekannt war. Sie war meines Wissens nach die einzige Person in unser beider Umfeld, die die schrillen Laute als "Musik" betitelte. Ich fragte mich immer wieder, wie sie selber das Gedudel aushalten konnte, dennoch legte sie tagtäglich eine ihrer tollen CD's ein und quälte mich und die Nachbarn damit über Stunden hinweg. Wobei diese höchstwahrscheinlich dachten, dass sich irgendwas die Rohre entlang zog.

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⏰ Last updated: Apr 02, 2023 ⏰

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Gill & WillWhere stories live. Discover now