1 - Gill

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Oh fuck.
Als ich in das Gesicht starrte, das mir aus dem Spiegel entgegen wippte, war das mein einziger Gedanke. An meiner Stirn prangte ein glänzende Platzwunde, mein blaues Auge verlieh dem ganzen den gewissen Kontrast. Ein Wunder, dass ich noch halbwegs gerade stehen konnte, nachdem was sie mit mir angestellt hat.

Ich riss an einem Griff und kramte im Inneren des Wandschranks nach etwas Brauchbaren. Vodka vielleicht. Nur, um den Schmerz ein wenig erträglicher zu machen. Zum Desinfizieren meiner Wunden wäre es sicher auch hilfreich gewesen. Aber ich zweifelte, dass jemand wie sie Alkohol im Bad aufbewahrte. Schließlich galt es nach außen hin einen gewissen Ruf zu wahren.

Endlich ertastete ich etwas, das sich nach einem Verband anfühlte. Fehlanzeige. Als ich meine Hand zurückzog, entpuppte er sich als Slip. Na vielen Dank auch. Ich konnte nicht mal ein Pflaster finden. Äußerst unpraktisch, wenn man bedenkt dass ich sicher nicht die Erste bin, die sie hier zusammen schlagen hat lassen. Und dann wurde ich auch noch verwundet zurückgelassen. Einen Anstand hat die Dame! Ich humpelte zum Wäschekorb und schmiss ihre Klamotten auf den Boden. Als Notlösung musste daraufhin eine graue Socke herhalten, die ich mir nach einer kleinen Katzenwäsche um mein linkes Handgelenk knotete. Jetzt kniff ich die Zähne zusammen und humpelte geradewegs aus der Tür hinaus, über den Flur, zur Treppe. Ich bin schon früher zur Erkenntnis gelangt, dass die Frau nicht gerade obdachlos ist. Marmorstufen, perfekt glänzende Holzwände und Fenster, so riesig wie das Haus selbst. "Ja, sie muss ein Doktor sein!", war einer meiner Gedanken als ich hier das erste mal eintraf. Außer dass sie Leuten Lösungen spritzt hat sie keine große Ähnlichkeit mit einer Ärztin, die Gutes für ihre Patienten will. Weiß Gott, was die Alte mir vorhin alles verabreicht hat!

Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Alle ausgeflogen. Sie war bestimmt schon auf dem Weg zu ihrem nächsten Projekt. Also hinkte ich weiter bis zur Eingangstür. Aus Glas, was sonst. Doch als ich an dem Knauf rüttelte, bewegte sie sich keinen Zentimeter. Ich stemmte meine Arme in die Hüfte und wedelte daraufhin wie wild um mich. Scheiße, ganz vergessen, dass mich einer ihrer Typen ins Becken getreten hat. Vermutlich waren neben meiner Nase auch andere Teile meines Körpers angeknackst. Von nun an war ich also ein wandelndes Wrack.

Als wäre es nicht schon Strafe genug, lahmte ich jetzt auch noch auf der Suche nach einem Ausgang durch die Villa. Ich spielte mit dem Gedanken, mir einfach eine ihrer teuren Vasen zu schnappen und gegen eines der Fenster zu werfen. Allerdings würde das mein geliebtes Konto nur unnötig belasten. Ich zog mich quasi durch das Haus, bis hinüber in die Küche. Ich betete vor mich hin, dass sie wenigstens ihre Hintertür für mich offen gelassen hatte. Und siehe da; man hat mich erhört. Als steckte eine Absicht dahinter. Als würde sie geplant haben, dass ich mich hinausschleife. Denn wieso eine Person wie sie einen Eingang in ihre Villa unverschlossen ließ, war mir schleierhaft. Und auch draußen war keine Wache zu sehen.

Hauptsache ich konnte endlich aus diesem gläsernen Drecksloch entfliehen.

Alfie stand noch an Ort und Stelle. Willow hätte mich definitiv umgebracht, wenn ihrem Fahrzeug auch nur das kleinste Unglück widerfahren wäre. Ich war heil froh, dass diese Schweine immerhin den roten VW Polo in Frieden gelassen haben. Das ersparte mir einigen Stress mit seiner Besitzerin. Ich keuchte vor mich hin. Nach einem Rundumcheck ließ ich mich auf den Fahrersitz fallen. Es wäre bekanntlich nicht das erste mal gewesen, dass sie einen ihrer Schuldner in die Luft gejagt hätte. Angesichts meines aktuellen Zustandes konnte ich nur darauf hoffen, dass sie als Ausgleich wenigstens Alfie keine Sonderausstattung verpasst hatte. Ich drückte die Kupplung durch und legte den ersten Gang ein.

Erst auf der Fahrt in die Stadt wurde mir bewusst, dass ich Willow trotz allem etwas zu erklären hatte. Denn da ich sie bisher nicht von meinem... Nebenjob in Kenntnis setzten konnte, würde sie mir nur schwer Glauben schenken wenn ich ihr die Geschichte als Fahrradunfall verkaufe. Ich drehte vor ihrem Wohnblock eine extra Runde und ging all meine Hobbies durch. Dass ich in der Schwimmhalle ausgerutscht sei, würde nicht wirklich die ganzen Verletzungen erklären. Also beschloss ich ihr die Wahrheit zu erzählen. Aber die besten Details ließ ich dann sicherheitshalber aus.

Ich schloss Alfie ab und steckte den Schlüssel in meine Hosentasche. Meine Jacke konnte ich seit meinem Erwachen auf der Toilette vorhin nicht wiederfinden. Es schien früh am Morgen zu sein, da sich außer mir noch keiner der Nachbarn in der Tiefgarage befand. Da man mir auch das Handy abgenommen hat, war ich sowieso nicht auf dem neusten Stand. Ich hinkte das Treppenhaus hinauf bis in den 5. Stock. Mehr Krafttraining benötigte ich für die nächsten paar Wochen definitiv nicht mehr. Tür auf, den Gang entlang und schließlich stand ich vor Willow's Wohnung. Ein hölzernes Herz mit einem Willkommensschriftzug prangte an der Tür. Ich atmete tief aus und presste den Schalter. Ich musste dreimal klingeln, bis ich ein hastiges Trampeln vernahm. Die Tür wurde aufgerissen und Willow, eingewickelt in ein weißes Laken und einem Handtuchturban auf dem Kopf trat hervor. Es dauerte nicht lange, bis ihr meine Verschönerungen auffielen und ihr der Schreck im Gesicht stand; "Gill? Oh mein Gott. Was ist mit dir passiert?", ich presste meine Lippen aufeinander und gab mein Bestes, Willow ein beruhigendes Schmunzeln zu schenken. "Kann ich rein kommen?", fragte ich sie während ich mich ohne zu zögern an ihr vorbei wandte. Ich bahnte mir einen Weg durch die Unordnung und versuchte ihr Sofa zu finden. Obwohl Robin einen gewaltige Saustall in ihr Zuhause gebracht hatte, wagte ich zu bezweifeln, dass durch all die Pizzakartons und dreckigen Klamotten das Sofa verschwunden war. Trotz meinem Glauben an die Logik gab ich auf und setzte mich auf einen Campingstuhl. Willow war mir bereits dicht auf den Fersen und kniete sich vor mich; "Erzähl schon.", ich räusperte mich und griff nach meiner Geschichte; "Also... ich wurde verprügelt.",

"Ja, das sehe ich.",

"Ich konnte nicht viel gegen die machen."

"Wer? Wer hat dir das angetan?"

"Weiß ich nicht.", log ich.

"Du solltest sofort zur Polizei gehen, Gill.",

"Willow, ich habe nicht gesehen wer das war, ok? Und nachverfolgen kann man das auch nicht. Leider.", bestätigte ich ihr und bat sie stattdessen nach ihrem Erste-Hilfe-Kasten.

Willow verschwand im Badezimmer. Dort hin, wo normale Menschen eben ihr wichtiges Zeug aufbewahren. "Aber Alfie geht's gut!", rief ich ihr zu. "Ach, sollte mich das überraschen oder was?", hörte ich sie. Manchmal, ja vielleicht auch öfter, sollte ich einfach mal die Klappe halten. Doch bevor wir noch weiter in die Geschichte eintauchen konnten, drehte sich ein Schlüssel und Robin hievte zwei Plastiktüten in den Gang. Von meinem Sitzplatz aus stand er nur ein paar Meter von mir entfernt. Er stellte die Taschen neben die anliegende Küchentür. "Krass. Was hast denn du gemacht?", lallte Willow's Mitbewohner relativ unbeeindruckt und hing seinen Mantel an einen freien Haken. Von allen Menschen auf der Welt wollte ich ihm am liebsten eine klatschen. Damit er endlich mal aus seiner vernebelten Welt erwacht. Bevor er hier eingezogen ist, konnte man übrigens noch unfallfrei durch die Wohnung spazieren. "Hab wen abgeknallt. Kam mit ein paar... Andenken davon.", scherzte ich und behielt einen neutralen Ausdruck. "Was, echt?", Robin hingegen machte große Augen, klang aber immer noch so leblos wie zuvor. "Klar.", raunte ich ihm zu. "Haha, sehr witzig.", Robin machte einen unsicheren Eindruck und verschwand in seinem Zimmer. Für ihn war die Sache erledigt. Ihm hätte ich auch die Wahrheit erzählen können. In weniger als zehn Sekunden würde es ihn nämlich nicht mehr interessieren.

Schade, dass Willow da etwas hartnäckiger ist als Robin.

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Das erste Kapitel von "Gill & Will" - by @enolaluisa

Gill & WillWhere stories live. Discover now