12. Nächtlicher Besucher

114 7 0
                                    

Hörempfehlung: Resting Soul von Adrian von Ziegler (ja, es reicht langsam mit den Shiki Osts)

„Ellie, da bist du ja!“, rief ihre Mutter erleichtert, als Ellie durch die Eingangstüre kam. „Ich habe mir schon ein wenig Sorgen gemacht.“
„Entschuldigung.“ Ellie schlüpfte hastig aus ihren Schuhen und wollte sich schon an ihrer Mutter vorbeidrängen, doch sie wurde zurückgehalten. 
„Ellie, ist alles in Ordnung bei dir?“ Ihre Mutter sah sie besorgt an. „In letzter Zeit wirkst du immer so abwesend.“
„Natürlich“, sagte Ellie und zwang sich ein Lächeln auf. Unter keinen Umständen wollte sie sich etwas anmerken lassen. Sie konnte ihrer Mutter nicht von Jeff erzählen. Ellie schob sich an ihrer Mutter vorbei und lief weiter zu ihrem Zimmer. Die skeptischen Blicke ihrer Mutter entgingen ihr dabei allerdings nicht. Aber Ellie konnte es ihr einfach nicht erzählen. 
In ihrem Zimmer schloss sie hinter sich die Tür und ließ sich auf ihr Bett fallen. Den Kopf in die Hände gestützt, saß sie dort für eine Weile. Sie wusste nicht, was sie jetzt tun sollte. In Ellie tobten Gefühle von Angst, Hilflosigkeit und Sehnsucht. Sie vermischten sich zu einem schmerzenden Knoten, der Ellie nicht mehr losließ. Sie hob den Kopf und sah zu ihrem Schreibtisch, auf dem die Dose mit den Stiften stand. Dort befand sich immer noch Jeffs alter Bleistift. Ellie stand auf und ging hinüber zu ihrem Schreibtisch. Vorsichtig holte sie den roten Stift heraus und betrachtet ihn. Dieser Stift war für Ellie die Quelle des Gefühlschaos, das seit wenigen Tagen in ihr herrschte. Jedes Mal, wenn Ellie ihn ansah, erinnerte sie sich an den alten Jeff, der einmal ihr Freund gewesen war. Plötzlich keimte in ihr eine unbestimmte Wut auf, die sich mit der Verzweiflung vermischte. War sie wütend auf Jeff? Auf sich selbst? Auf diese hoffnungslose Situation? In Ellie kam der Wunsch auf, diesen Bleistift an Ort und Stelle zu zerbrechen. Doch sie tat es nicht. Sie konnte es nicht. Seufzend steckte sie den Bleistift zurück in die Dose.
Im selben Moment ertönte hinter ihr das leise Knarren ihres Fensters. Ellie hielt in ihrer Bewegung inne. Ein Schauder lief ihr über den Rücken, gefolgt von einem Déjà- vu Gefühl. Ihr ganzer Körper begann zu zittern. Dieses Gefühl hatte sie bereits einmal verspürt. Einige Tage zuvor in der Küche, als Jeff aufgetaucht war. Ellie wagte es nicht, sich umzudrehen und hinter sich zu sehen. Plötzlich spürte sie etwas Kaltes, dass ihre Schulter streifte. Es war eine Hand. 
„Ellie“, wisperte eine raue, kratzige Stimme, die Ellie nur zu gut kannte. Genau diese Stimme hatte ihr vor kurzem eröffnet, dass sie bald sterben würde. 
„Jeff“, flüsterte Ellie heiser. Ihr ganzer Körper bebte. Sie hatte Angst vor ihm. Doch nicht so viel Angst, wie sie hätte haben sollen. 
Ellie ergriff Jeffs Hand auf ihrer Schulter und drehte sich um. Nun stand sie Jeff genau gegenüber, nicht einmal eine Armlänge entfernt. Seine kalten blauen Augen durchbohrten sie und sie konnte die Kälte spüren, die er ausstrahlte. War er überhaupt noch ein Mensch? 
„Warum bist du hier?, fragte Ellie mit fester Stimme und sah Jeff tief in die Augen. „Bist du gekommen, um mich zu töten?“
Jeff lachte nur leise und entzog seine Hand ihrer, bevor er sich näher an Ellie heran beugte. Er war nur noch wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt. „Nein, dafür ist es noch zu früh.“
„Warum tötest du mich nicht einfach jetzt?“, fragte Ellie und versuchte, das Beben in ihrer Stimme zu unterdrücken. 
„So etwas braucht Zeit. Du sollst schließlich mein Meisterwerk werden.“ Bei Jeffs Worten verkrampfte sich Ellies Magen. Er war wirklich ein kaltblütiger Serienmörder. Entschlossen griff Ellie wieder nach Jeffs Hand und zog ihn noch näher zu sich. Sofort wich er einen Schritt zurück. Ellies Mut schien ihn zu überraschen. „Hast du keine Angst vor mir?“
Ellie schüttelte den Kopf, obwohl das nicht ganz stimmte. Sie hatte in der Tat Angst vor ihm. Aber immer wieder flammte vor ihrem inneren Auge der alte Jeff auf. Sie konnte ihn einfach nicht vergessen. 
Jeff legte den Kopf schief und sah sie an. Dann kam er wieder einen Schritt näher. Er umschlang Ellies Rücken mit seinem Arm und zog sie ganz nahe zu sich.
„Du solltest aber Angst haben“, flüsterte er ihr ins Ohr und über Ellies gesamten Körper lief eine Gänsehaut. Mit beiden Händen umfasste sie Jeffs Rücken und schloss ihn in eine Umarmung. „Vielleicht“, flüsterte sie. 
Jeff löste sich aus ihrer Umschlungenen Position und trat wieder zurück. Seine Miene war kühl und ernst. „Ich werde dir zeigen, was es heißt, Angst vor mir zu haben.“ Mit diesen Worten drehte Jeff sich um und verschwand durch das Fenster, hinaus in die stockdunkle Nacht. Ellie blieb allein in ihrem Zimmer zurück. Erst als einige Minuten verstrichen waren, konnte sie sich wieder bewegen und taumelte benommen zu ihrem Bett zurück. Diese Begegnungen mit Jeff schienen alle so unwirklich. Aber sie waren real. Ellies Körper zitterte immer noch. Jeffs letzte Worte wiederholten sich unaufhörlich in ihrem Kopf. Was hatte er damit gemeint?

Jeff ist einfach eine walking red flag.

We'll Meet Again | Jeff the Killer x OCWhere stories live. Discover now