2. Unter der Eibe

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»Kann ich den Herren sonst noch etwas bringen?«

»Etwas Pane carasau, Antonelli. Wie immer«, erwiderte Mervyn. Er setzte sich auf den Sessel mit dem Rücken zum Fenster, griff nach der Tageszeitung, die auf dem Beistelltisch lag und begann zu lesen. Wie er da saß, sah er aus wie das Ebenbild seines Vaters.

Nachdem der Schaffner ihnen einen Korb mit Hirtenbrot gebracht, den Wein entkorkt und ihnen eingeschenkt hatte, verabschiedete er sich. Raban ließ sich seitlich seines Cousins in einen der Polstersessel fallen. Sie waren angenehm weich.

»Was sollte das eigentlich vorhin am Brunnen?«, unterbrach er ihr Schweigen.

Es dauerte einige Sekunden, bis Mervyn sich dazu herabließ, eine Antwort zu geben. Sein Blick war noch immer auf die Zeitung in seinen Händen gerichtet. »Verzeih mir, aber da müsstest du konkreter werden.«

»Dreckige Familie, Schande für die Silurer. Das ist nicht unbedingt die feine Art, die ich von deiner Familie gewohnt bin.«

»Als würdest du anders über solche Hexen denken«, sagte Mervyn. Das Wort Hexe spuckte er aus, als wäre es eine eklige Schnecke in seinem Mund.

Raban seufzte ob der Beharrlichkeit seines Cousins. »Hinter vorgehaltener Hand vielleicht. Du weißt, wir leben in Zeiten der Toleranz, Aufgeschlossenheit und Mischblüter. Nach außen wahrt unsereins Haltung.«

»Du klingst wie Mutter.« Mervyn ließ die Zeitung in seinen Händen sinken. Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. »Findest du nicht auch, dass die Qualität hier nachlässt? Früher gab es Oliven zum Brot dazu, der Geruch von Tomaten-Ciabatta lag in der Luft und die Gläser sahen nicht aus wie von der dritten Klasse übernommen.«

»Ich bin nicht viel aus dem Haus gekommen, wie dir bewusst sein dürfte«, erwiderte Raban, ohne den Missmut darüber aus seiner Stimme halten zu können. Er nippte an seinem Glas, woraufhin sich ein prickelnd süßer Geschmack auf seiner Zunge ausbreitete. »Mit was hast du den Schaffner bestochen, damit er uns Apfelwein eingießt?«

Über Mervyns Gesicht huschte ein Grinsen. »Einer unserer Vorfahren hat das Brunnenfahren erfunden. Ich brauche keine Bestechung, damit mir die Welt zu Füßen liegt. Für ein paar Hexen hat unser Name noch immer einen Wert.«

Die restliche Fahrt war sein Cousin wieder hinter der Tageszeitung vom Syndikat verschwunden. Raban störte sich nicht daran. Das Wasser floss an ihren Fenstern vorbei. Obwohl er Mervyn sehr schätzte, immerhin war er einer der wenigen in seinem Alter, mit denen seine Großmutter ihm damals Kontakt erlaubt hatte, stieß ihm dessen Sturheit gelegentlich sauer auf. In der Öffentlichkeit gab sich ein Mitglied aus dem ehrwürdigen Zirkel N'Branáin stets höflich und scharfsinnig, immer an das Ansehen der Familie denkend. Seine Großmutter hatte ihm von klein auf gelehrt, was es hieß, von einer der letzten uralten Blutlinien abzustammen. Der Familienname wurde klassischerweise von den Frauen an ihre Nachkommen weitergegeben, doch da Raban der einzige Erbe war, wurde ihm diese Aufgabe zuteil. Von ihm wurde erwartet, das riesige Vermächtnis des Namens N'Branáin weiterzuführen, bevor es ausstarb – wie so viele keltische Zirkelfamilien vor ihm. Versunken in der Dunkelheit. Verdrängt von der Regierung, von der Romanisierung ihrer Traditionen und Kultur.

Ein Klingeln ertönte, dann schallte die Stimme des Bahnführers durch den Waggon: »Als nächstes erreichen wir Alt-Thierstein. Allen aussteigenden Fahrgästen wünschen wir eine angenehme Nacht.«

Mervyn faltete die Zeitung zusammen, um sie auf dem Beistelltisch abzulegen. Sein Glas leerte er in einem Zug. »Wollen wir?«

Signor Antonelli zog einen schweren Samtvorhang, der sich neben dem Becken zum Einstieg befand, zur Seite und offenbarte einen schmalen Brunnen aus weißem Marmor um den sich goldene Blätter rankten. »Arrivederci, signori miei!«

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