- Kapitel 3: Falsche Jahreszeit -

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»Nein, ich meine nicht die Hüllen.«

Es war ein sehr dehnbarer Begriff für das, was die Engel zurückließen, wenn sie einem Menschen die Seele aus dem Körper geschlürft hatten. Immer noch menschlich und dennoch völlig anders. Die Leichen verrotteten nicht, kein Tier wagte sich an das langsam aushärtende Fleisch, das sich eher verhielt wie der heruntergebrannte Glutherd eines Kamins. Irgendwann zerfielen die von Engeln getöteten Menschen zu nichts weiter als Asche.

Zar öffnete ihr die Beifahrertüre und sie stieg zögerlich ein. »Danke.«

»Wessen Leichen hast du denn dann gesehen?«, fragte Zar weiter, seine hellgrauen Augen ruhten neugierig auf ihrem Profil, als er selbst einstieg und den Zündschlüssel herumdrehte.

Asavi kniff die Lippen zusammen. Sie hob eine Schulter und drückte ihre Tasche fest an die Brust. Das Hello-Kitty-Motiv fühlte sich rau unter ihren Fingern an, so zerfranst war es mittlerweile.

Zar bohrte nicht weiter nach, legte den Rückwärtsgang ein und lenkte aus der überwucherten Ausfahrt. Auf der Landstraße wandte sich Asavi ein letztes Mal um und betrachtete die schweigende Stadt, die langsam immer kleiner wurde.

~

In Zars Auto roch es nach Staub und Holz, nach Schießpulver und Polierwachs. Vielleicht auch ein wenig nach Mensch. Asavi war, seit sie den Bauernhof verlassen hatten, in keinem Auto mehr gesessen. Sie hatten ihren Truck stehen lassen und die Pferde genommen in der Hoffnung, dass man sie dann nicht verfolgen würde. Ein Wagen würde liegen bleiben, wenn ihm der Sprit ausging, ein Pferd hatte in dieser Welt des ewigen Sommers genügend davon.

Dass sie beide Gäule im Endeffekt dennoch schlachteten, war anderen Umständen zuzuschreiben. Sie hatte an der Hand ihres Großvaters geweint, während ihr Vater auf der staubigen Straße voranging. Er hatte ihr nie alles erzählt, bis zum Ende nicht.

Der Brief in Asavis Tasche umfasste zwei Seiten. Eine zu Tränen rührende Bitte ihrer Mutter, zu ihr zu finden und eine zweite voller Zahlen. Über die Bedeutung hinter diesen hatte ihr Vater nie ein Wort verloren und Asavi hatte nicht nachgefragt. Jetzt, da er nicht mehr da war, wünschte sie sich, sie hätte ihn zu seinen Lebzeiten darauf angesprochen.

Der zweiseitige Brief hatte sich als ironischer und dennoch passender Vergleich zur Welt entpuppt. Auf den ersten Blick war sie verständlich und nachvollziehbar, wie der sehnliche Wunsch einer Mutter ihre Familie bei sich zu haben, ehe alles endete. Auf den zweiten Blick jedoch, verschlüsselte sich die wahre Bedeutung dieser simplen Welt. Flucht war nicht mehr gleich Flucht, die Sicherheit in den Klanstädten, wider der menschlichen Natur, ein Trugbild. Nähe wurde gleichbedeutend mit Gefahr und das, was die menschliche Zivilisation über Jahrzehnte vernetzt hatte, zum Sinnbild ihrer Vernichtung.

Sicherheit, so hatte sie gestern festgestellt, war relativ und schändlich situationsbedingt. Was heute als vernünftig galt, konnte morgen der letzte Fehler sein.

Sie saß mit angewinkelten Beinen auf dem Beifahrersitz und ließ ihren Blick über die endlose Landschaft der pannonischen Tiefebene schweifen. In weiter Ferne erkannte sie flache Hügelketten und lichte Wälder, einsame Baumgruppen und verwilderte Weinbaugebiete. Eine verfallene Winzerei, ein Farmhaus oder ein überwucherter Ziehbrunnen zwischen den ehemaligen Feldern.

Wenngleich der Ursprung der Brachwiesen kein schöner war, konnte sich Asavi dennoch nicht an den bunten Schwertlilien, Küchenschellen und glänzenden Pfriemengräsern sattsehen, welche die ebenfalls verwitternden Straßen umgaben. Als wäre hier nicht der Weltuntergang hereingebrochen, sondern das Artenschutzprogramm und die Förderung der Biodiversität zur Gänze umgesetzt worden.

Die Sonne kletterte höher und immer höher und tauchte die staubige Luft voller Pollen in blendendes Licht.

Wieso hatte ihre Mutter nicht schon früher Bescheid gegeben? Vielleicht hätten sie es dann rechtzeitig geschafft, den Truck zu nehmen, weil sie nicht fürchten mussten, durch Kriegsgebiete zu ziehen, in denen Sprit teurer war als Essen.

[Sci-Fi/Fantasy] Starfall - Wenn der Himmel fällt ✓Où les histoires vivent. Découvrez maintenant