--------------------------------------------------------------
𝐀𝐕𝐎̂𝐍𝐓𝐎𝐂

| 05.10.2014 | fast fünf Jahre zuvor |

"Ni?", höre ich die zitternde Stimme meiner Schwester und die Sorge lässt mich tief einatmen, aber meine Brust zieht sich zusammen. Sie weint. "Mi pequeño[Meine kleine], was ist passiert?", frage ich sie und ich höre ihr schluchzen, was mir das Herz bricht.

Sie antwortet mir nicht.

"Mi pequeño[Meine Kleine]?", frage ich sie leise und sie schweigt.

Am Telefon ist es leise bis ihr bitterliches Schluchzen und Geschrei im Hintergrund dann höre ich ihre schnellen Schritte. Das Geschrei folgt ihr, das Geschrei unseres Vaters.

Er schreit nie, nicht wenn Myra zu Hause ist ...

"Ni", schluchzt sie und ich höre das Klicken eines Schlosses, was sie zu schließt, ich atme ruhig aus. "Mi pequeño[Meine Kleine]?", versuche ich so ruhig wie Möglich zu antworten, mein inneres zieht sich zusammen, das atmen wird schwer.

"Están muertas, Mamá y Myra están muertas.[Sie sind tot, Mama und Myra sind tot.]", schluchzt sie und mein Herz zerbricht in dem Moment als sie ihre Worte ausspricht. "Was?", hauche ich und ich höre Kylian und Louis Schritte, die mir gefolgt sind, ich sehe sie an.

"Sie wurden erschossen. Es war ein missglückter Raubüberfall, sie wollten in der Stadt einkaufen und da war ein Mann, der eine Waffe hatte. Mamá wollte Myra beschützen und ist zu ihr gerannt, der Mann hat sie erschossen während alle Leute aus dem Laden geflohen sind. Die Polizisten konnten nur noch die Leichen finden, keine Spur vom Täter. Die Schüsse gingen alle ins Schwarze, sie waren sofort Tod", weint sie und ich hätte beinah mein Handy fallen lassen.

"W-Was?", murmele ich leise und merke wie mein Kopf anfängt alles zu realisieren.

"Sie sind Tod", wiederholt sie sich schluchzend und es ist als würde eine Welt um mich herum zusammenbrechen. Die beiden Zwillinge halten meinen Augenkontakt, als ich langsam aber sicher die Fassung verliere.

"I-Ich rufe dich später zurück", schlucke ich und drehe mich um als die Jungs meinen Namen rufen. Ich laufe durch den Gang, nein,  renne ich schon fast als ich die Tore des Internats hinter mir lasse und geradewegs auf den Wald vor mir zu laufe.

Die Sonne brennt auf meiner Haut, sie brennt so sehr, dass sie meine fließenden Tränen trocknet, bevor sie überhaupt für andere sichtbar sein könnten. Die Baumkronen schirmen mich von ihr ab, sobald ich unter sie trete, die Blätter rascheln, ich höre die Stimme der Zwillinge in der Ferne.

Ich renne weiter bis ich auf die große Lichtung komme, bewachsen von Lilien in verschiedenen Farben, aber vor allem die Weißen. Seit dem ich hier bin, habe mir immer vorgenommen, Myra diesen Ort zu zeigen, sobald sie auch hier herkommt.

Jetzt wird mir schlagartig klar, dass ich es ihr niemals zeigen kann, dass ich sie verloren habe.

Sie ist Tod.

Meine Kleine Schwester ist Tod.

Mom war krank, sehr krank schon seit Jahren, als ich eingewilligt habe hier herzugehen habe ich ihr einen Gefallen getan. Ich habe Penelope und Myra alleine mit ihnen gelassen, doch, Papá hat den beiden nie was getan, es waren immer nur Elijah und ich.

Ich schmeiße mein Handy gegen den Baum und sinke auf die Knie.

Ich habe versagt, ich wollte sie beschützen.

Mein Versprechen, sie zu beschützen. Ich habe es gebrochen.

Ich habe noch nie ein Versprechen gebrochen, noch nie in den letzten 12 Jahren habe ich ein Versprechen gebrochen.

"Nein, Nein, Nein", die Worte hallen in meinem Kopf wieder.

Ein schmerzhaftes Schluchzen verlässt meinen Körper, als sich das Wort "Nein" immer wieder den Weg über meine Lippen bannt. Der Sauerstoff findet seinen Weg nicht mehr in meine Lungen, ich kann nicht mehr atmen, ich höre jemanden meinen Namen sagen.

Aber alles klingt so fern.

Nichts ist wie es mal war, niemals wird es wieder so sein wie früher.

Nie wieder, werde ich sie zurückbekommen.

Die Gedanken rauben mir den Atmen, ich kann nicht atmen.

Luft.

Ich brauche Luft.

Ich höre jemanden erneut meinen Namen sagen, erneut, erneut und erneut.

Immer und immer wieder.

Ich versuche erneut zu atmen, als würde jemand an mir schütteln.

Mein Körper wird geschüttelt und die Lichtung um mich herum verblasst ins Schwarze.

Ich höre die Stimme deutlicher und ich öffne meine Augen.

"Δόξα τω θεώ [Gott sei danke]", höre ich jemanden murmeln.

Doch ich nehme nichts klar wahr als das dunkle Zimmer, das kleine Licht auf meinem Nachtisch, die Person, die sich neben mir hingekniet hat, verschwimmt. Mein Atem geht schnell und ich höre meinen Puls in meinen Ohren pulsieren, ich spüre eine Hand an meiner Wange.

"Hey", höre ich die Person sagen und mein Gesicht wird in zwei warmen Handflächen eingerahmt als mein Kopf gedreht wird.

Meine Sicht wird klarer und meine Augen finden ihre.

"Atmen", sagt sie und sieht mir direkt in die Augen.

"Myra"...

"Myra"

Oops! This image does not follow our content guidelines. To continue publishing, please remove it or upload a different image.
Twisted Desire | Cenicienta inocente ✔︎Where stories live. Discover now