2 - DIE BESSERE KLASSE

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Leider bohren sie immer weiter nach. »Stehen Sie auf ihn?«, ruft Mika aus der letzten Reihe.

Was zur-? Wie kommen sie denn auf diese Idee? Haben diese Schmatzgeräusche etwa mir und Julian gegolten? »Hassliebe wie sie im Buche steht«, säuselt Liana.

»Unsinn«, brumme ich. Sie genießen diese Sticheleien, weil Junis im Raum sitzt. Andernfalls wäre ihnen diese absurde Fantasie nicht mal eingefallen.

»Nun sagen Sie schon. Zur Belohnung lesen wir dann auch Goethe«, schlägt Mika vor. Im Erpressen sind sie Meister.

»Junis Vater ist single, sagt er.« Dieser Kommentar von Rio ist vollkommen unnötig. Was glaubt er, wie wenig wir Lehrer wissen? Selbstverständlich besitze ich Kontaktdaten von Junis und habe sofort gecheckt, dass dort nur ein Erziehungsberechtigter eingetragen ist. Seine Freundin ist wahrscheinlich vor ihm geflohen.

Ich ertrage diese Liebesunterstellung nicht länger und fürchte, Schweigen verschlimmert das alles nur. Zum Glück kommt im richtigen Moment der passende Konter zu mir, ohne Julian in seiner Lehrerkompetenz bloßstellen zu müssen. »Herr Schwab ist der Überzeugung, seine Klasse wäre besser. Schlauer, arbeitswilliger. Ich sehe das nicht so, aber jetzt gerade schaut er rüber und denkt, er hat recht.«

»Dein Vater is ja n richtiger Pisser, Junis!«, brüllt Pius aus der letzten Reihe. Damit legt Junis sich wie Ben auf den Tisch. Das hat nicht die Wirkung gezeigt, die ich mir erhofft habe. Statt sich zu wehren, verschließt er sich. Das hat sich im aktuellen Schuljahr nur verstärkt. Im Unterricht ist er demotiviert und beteiligt sich kaum. Ob ihn etwas bedrückt? Bei dem Vater? Halte ich nicht für ausgeschlossen. Auf Elternabenden gibt sich Julian als der überbehütete Vorzeigevater, aber vielleicht ist er privat ein genauso großer Versager wie beruflich. Er erkennt sein Leiden sicher gar nicht.

Aber Junis ist nicht sein Vater. Ich weiß, man sollte keine Lieblingsschüler haben. Von den Jungs ist er mir dennoch am sympathischsten. Er begeistert sich für Poesie und verfasst selbst wunderschöne, düstere Texte. Dass sie auf ihn herumtrampeln, lasse ich nicht zu. »Pius!«, ermahne ich ihn. Insgeheim denke ich, er hat recht. Julian ist ein Pisser.

»Entschuldigen Sie, Frau Rodriguez. Ich meine natürlich ein Urinsäure absondernder Mensch.« Ich strecke ihm für das Vokabular und die Tatsache, dass er diese Wörter kennt, einen Daumen nach oben. Die anderen lachen.

»Sie sind die beste Lehrerin, Frau Rodriguez. Und wir die bessere Klasse«, verkündete Emily euphorisch und der Rest stimmt in das Jubeln ein. Ich grinse. Genau da, wo ich sie haben will.

»Also zeigen wir es ihm?« Ich befeuere ihren Kampfgeist. Das Öl, das ich vergossen habe, bringt sie für eine kurze Weile zum Brennen, bis ihnen bewusst wird, was das bedeutet: aufpassen, mitmachen und alle Regeln befolgen. Nicht jede Stunde mit meiner Klasse ist herausfordernd, aber es scheint eine halbe Ewigkeit her, dass sie so gespurt haben. Benedikt und Junis liegen zwar weiterhin bedrückt auf dem Tisch, der Rest antwortet tatsächlich auf Fragen.

Fünfzigprozent der Hände erheben sich. Ich schreite durch die Reihen der Schüler, um unauffällig einen Blick durchs Fenster zu werfen. Nehme Liana dran, die Bullshit erzählt, doch meine Miene strahlt, als wäre der Groschen endlich gefallen. Ich hatte selbst keinen Plan, wie ich Deutsch in der Oberschule unterrichten sollte. »Welch außergewöhnliche Sichtweise auf das Gedicht. Die habe ich noch nie gehört. Wie kommst du denn darauf?«

Julian lehnt immer noch am Fenster, doch mittlerweile schaut er zu seiner eigenen Klasse.

»Der Teufel hat doch schwarze Augen, oder?«, fragt sie. Mit jedem ihrer Gedankengänge verwirrt sie mich mehr.

»Ne, das sind Dämonen. War Goethe ein Dämon?« Die Fragen wurden immer besser. Das Bedauerlichste, Diana meint es aller Wahrscheinlichkeit sogar ernst.

NOT this time [ONC]Where stories live. Discover now