F O R T Y O N E

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Bitte versprich mir, immer auf dich acht zu geben... Ich brauche dich hier.

So schnell kann man ein Versprechen also brechen, dachte ich, während ich die Treppen zum Studio hoch lief. Niemand wusste, dass ich hier war. Natürlich nicht, und ich fühlte mich schlecht deshalb. Eigentlich sollte ich keinen Sport machen, nicht tanzen und so weiter und sofort, aber ich hielt es einfach nicht mehr aus. So blöd es vielleicht auch klang, das war im Moment das einzige, was mir wirklich helfen konnte mit meinem Leben umzugehen. Der Streit gestern Abend in der Bar wollte mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Die Art wie wir gestern auseinander gegangen waren, sein Gesicht als ich ging, jeder Gedanke daran schmerzte. Ich hatte das Gefühl mich ablenken zu müssen, irgendwas zu tun nur um nicht daran zu denken. Und so komisch das auch wirkt, zu wissen, dass ich hiermit das Versprechen breche, welches ich Lewis gegeben habe, befriedigte mich irgendwie. Es war ein wenig wie eine Genugtuung dafür, dass er immer wieder den selben Streit anfängt. Denn es zerfrisst mich von innen, immer wieder die gleichen Diskussionen zu führen. Langsam, qualvoll, bis nichts mehr von mir übrig ist. Aber das konnte ich nicht zulassen. Ich durfte nicht verschwinden, nicht mich selber verlieren. Und deshalb tat ich das, obwohl es nicht richtig sondern gefährlich war.

Ein wärmendes Gefühl umschloss mich, als ich das Studio betrat. Der Raum war hell ausgeleuchtet, der Boden glänzte und die Spiegel waren blitzblank. Wie sehr ich das vermisst hatte... Meine Tasche rutschte von meinen Schultern, für einen Augenblick stand ich einfach nur da. Ich blickte auf die Erinnerungen, die sich wie ein Film vor meinem Auge abspielten. Und als ich mich dann umdrehte, sah ich Lewis im Türrahmen stehen. Die Erinnerung kam mir so echt, so lebhaft vor, dass ich für einen Moment darin verweilte - und Revue passieren ließ, was damals hier passiert ist. Sein plötzliches Auftauchen, der Stromausfall, der erste tiefe Blick in seine Augen, der dunkle Kellerraum und alles was danach geschehen ist. Kaum zu glauben, wie die Zeit vergeht...

Dann wendete ich mich wieder ab und bückte mich, um meine Schuhe auszuziehen. Anschließen startete ich die Musik, kurz überlegte ich doch einfach wieder zu gehen. Niemand würde wissen, dass ich je hier war, und niemand würde je ein Wort darüber verlieren. Ich könnte einfach gehen. Aber nein, ich musste das jetzt durchziehen. Zu wissen, dass das hier gefährlich war, gab mir den Kick. Es ist genau das selbe Gefühl, wie wenn man auf dem Dach eines Hochhauses steht und runterschaut. Das verlangen einfach loszulassen, sich in die Tiefe zu stürzen, obwohl man eigentlich weiß, dass man dann stirbt. Es ist genau das gleiche. Und ich brauchte diesen Kick, mehr als alles andere. Ich wollte endlich wieder spüren, wie die Energie durch meine Adern schießt, dieses Gefühl davon haben, einfach frei zu sein. Mehr nicht.

Aber ich hielt es anders einfach nicht mehr aus. Ich fühlte mich gefangen in meinem eigenen Leben. Gefangen in den Gedanken, Sorgen und Ängsten, die mich überkamen, wenn ich am wenigsten damit rechne. Wenn es also so etwas wie Schicksal gibt, dann fordere ich es heraus und werde allen beweisen, dass ich stärker bin...

Du bist stärker, Liv. Du kannst es schaffen, du bist das einzige, was dich hält. Lass los! Die Stimme in meinem Kopf wurde immer lauter. Komm schon, streng dich an! Ich bekam immer weniger von meiner Außenwelt mit. Alles verlor an Genauigkeit und ich hörte nur noch sie. Die Stimme, die mir sagte, ich solle weiter machen. Los, du kannst es. Mach weiter. Ich machte weiter, immer weiter, obwohl ich schon längst hätte aufhören sollen. Lass los! Und dann ließ ich los. Nur für einen ganz kurzen Moment, doch es war schon zu spät.

Ich spürte wie ich zum stehen kam. Der kalte Schweiß brach mir aus und mein Herz raste. Mit der Hand versuchte ich mich an der Tanzstange festzuhalten, doch es nützte nichts und ich fiel. Mein Körper war taub, trotzdem spürte ich den kalten Boden unter mir. Dann nichts mehr. Pechschwarze Stille. Für einen kurzen Moment, bevor ich die Augen öffnete und versuchte mich zu orientieren.

Du warst zu schwach, Liv. „Oh Gott, bitte halt endlich die Klappe!" Ich versuchte mich hinzusetzen, rieb mir die Schläfen und hoffte die Stimme in meinem Kopf würde verstummen. Und das tat sie auch, zum Glück. Aber der Schmerz ließ nicht nach. Er saß direkt unter meinen linken Rippen und pulsierte mit jedem Herzschlag durch meinen ganzen Körper. Lieber Gott - bitte lass das hier ganz schnell enden! Ich wusste, dass mir beten wahrscheinlich nichts brachte, und es vollkommen absurd war, trotzdem tat ich es. Das einzige was ich tun konnte, war warten. Warten, bis der Schmerz nachlässt und ich aufstehen kann.

Oh Gott, Liv. Was hast du nur getan? Die selbe Frage stellte ich mir auch. Was hatte ich getan? Ich hatte es übertrieben, und ich bereute es noch nicht einmal. Ganz im Gegenteil sogar. Eigentlich war das doch ganz genau das, was ich erreichen wollte. Ich wollte weiter machen, bis mein Körper sagt, dass ich genug habe. Und genau das hat er, er hat aufgehört zu funktionieren, einfach so. Ach, das war doch absolut jämmerlich...

Je mehr ich darüber nachdachte, desto blöder kam ich mir vor. Ich holte mir diesen Adrenalin Kick, und spielte dabei mit meinem Leben, wortwörtlich. Ich wusste schließlich, dass es gefährlich war und mich umbringen könnte, natürlich tat ich das. Aber das war eben ich, ich spiele mit meinem Leben, treibe mich selber an die Grenzen bis es nicht mehr geht und versuche dabei nicht zu sterben. Genauso war es mit den Drogen auf dieser Party. Sie haben mir den Schmerz genommen, als mir Lewis das Herz gebrochen hat. Und das Tanzen nimmt mir die Lasten die ich jetzt habe. Der Preis den ich dafür zahle ist mir egal, Hauptsache ich spüre das Leben wieder...

Toxic Love - the beginning of the end (Band 2) | Lewis Hamilton FFWhere stories live. Discover now