Kapitel 3 - ... und Zorn

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Bis zu diesem Tag war ihr Aufenthalt bei den Tallos zwar mysteriös, aber auch schön gewesen. Doch dies sollte sich mit der jähen Ankunft Wilhelm Zorns ändern...

Als sie diesen Abend am Esstisch sassen und Sabrina müde in ihrem Braten stocherte, lachte Samson ihren Bruder gerade für die besagten Pups-Symphonien aus.

»Warum benutzt du dein Youtubs eigentlich nicht, um dir anzuschauen, wie man solche Instrumente spielt?«, neckte ihn der alte Mann gerade und schenkte sich Kaffee nach.

»Hab ich ja, du Boomer«, gab Mile zurück. »Aber das ist halt nicht so einfach!«

Mit einem Mal schwang die Tür des Essaals auf und Aradia Tallo in Rollkragenpullover, formellen Rock und Blazer trat ein. Ihr folgte ein leichtfüssiger, junger Mann. Ein dunkelhaariger Schlipsträger. Schon war die heitere Stimmung verflogen.

»Aradia, mein Schatz«, begrüsste Samson seine Ehefrau und kam den Ankömmlingen in seinem Rollstuhl entgegen. Er gab der Hausherrin einen distanzierten Kuss auf die Hand und drehte sich dann zu dem Fremden um. »Ich höre, du hast Besuch mitgebracht. Wen darf ich in unserem Anwesen willkommen heissen?«

Aradia entzog sich seiner Hand. »Aber ja, Liebling. Ich glaube, ihr seid euch auch schon begegnet. Dies ist mein alter Bekannter und Geschäftskollege-«

»Man nennt mich Wilhelm«, unerbrach sie der junge Mann mit dem dunklen, kinnlangen Haar. Mit einem seltsam langen Blick in Richtung der Geschwister ergänzte er: »Wilhelm Zorn.«

Misstrauisch musterte Sabrina den jungen Mann. Er war schlank, hatte eine leicht gekrümmte Nase und sein linkes Auge schielte. Er steckte in einem Anzug, der aussah, als würde er aus Omas Mottenkiste stammen. Um den Hals trug er sogar ein gerüschtes Halstuch.

Ihr Onkel schien zu stutzen, dann nickte er langsam. »Ich hörte, dass du kommen würdest, Wilhelm. Ich dachte aber, das wäre erst in einem Monat.«

»Lieber früher als zu spät«, erwiderte der Gast und bedachte den Alten mit einem herablassenden Blick.

Samson blieb davon unberührt. »Nun, dann geselle dich doch zu uns.« Geschickt rollte er wieder auf den Tisch zu. »Dies sind meine Nichte Sabrina und mein Neffe Mile. Sie verbringen ihre Ferien bei mir.«

Die Geschwister tauschten einen irritierten und sogleich angeätzten Blick. Es gab nichts Langweiligeres, als mit den Geschäftsfreunden Aradias länger als zwei Minuten in einem Raum zu verbringen. Sie allein war ja schon eine Stimmungsbremse, doch ihre Geschäftsfreunde waren meist noch unsympathischer.

Aradia und Wilhelm setzten sich an die Tafel. Wilhelm gleich gegenüber von Sabrina. Sein gesundes Auge heftete sich auf Mile, während das andere zu ihr schielte. Nervös rutschte Sabrina auf ihrem Stuhl herum.

»Ein interessanter Nachname«, meinte Samson, während er Wilhelm einen sauberen Teller von der Anrichte reichte. »Zorn...«

Der Gast nickte. »Ich hörte, er wirke auf die Menschen einschüchternd. Nicht dass das meine Absicht wäre«, erklärte er und lächelte matt. Seine Stimme klang so aalglatt wie er aussah.

Sabrina rümpfte die Nase. Dieser Fremde war ihr nicht geheuer und sie entschied, möglichst schnell aufzuessen.

Mile stiess sie von der Seite an. »Was ein Wichtigtuer«, zischte er ihr zu und wackelte mit den Augenbrauen.

»Wie alt ist denn der junge Rotschopf?«, fragte Wilhelm da, während er einen sauberen Teller von Aradia annahm.

Die Hausherrin öffnete bereits den faltigen Mund, doch Mile kam ihr zuvor: »Ich bin 18. Ich kann also schon für mich selbst sprechen.« Er klang nicht unfreundlich. Sein Grinsen war jedoch ein wenig provokant.

Twos - Ein Märchen von Sommer und Winter  - Neue Fassung (3)Where stories live. Discover now