Mamas Klon

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"Danke, dass du mich gefahren hast. Bye, Mama!" Jeanette grinste ihre Mutter an und zeigte dabei ihre pinkfarbene Zahnspange. Die nächste Woche würde sie durch eine lockere Spange ersetzt werden.

Schwungvoll warf sie ihre blonde Lockenpracht über die Schulter und öffnete die Tür des Cabrios. Froschgrün. Die Lieblingsfarbe ihrer Mutter.


Auf dem Schulhof tummelte sich die ein oder andere Schulgruppe. Jeanette beachtete sie nicht. Wichtig war nur eine Clique.

Ihre Clique. Alessa, Lisa und Viktoria. Die Spanierin, die Coole und die Modebewusste.

Sie standen auf dem Bürgersteig vor der Schule, der gerade noch so zum Schulgelände gehörte.

In den Pausen durfte man dort trotzdem nicht sein. Dies waren die beliebtesten Leute der Schule- und sie war eine von ihnen.

Obwohl sie erst seit Mitte des letzten Schuljahres hier war. Schon an ihrem fünften Tag hatte man sie gefragt. "Hey, willst du zu uns kommen?" Lisa hatte sie mit wenigen Worten in der Cafeteria hergebeten und Jeanette hatte gleich zugestimmt. Wenn doch alles so einfach ginge. Nur "einen auf reich" machen und du bist drin. Ob es jetzt das Auto ihrer Mutter, die Gucci- Tasche (geerbt von ihrer Oma) oder sonst etwas war.

Es war ihr schlichtweg egal. Oberflächlichkeit war alles.


War sie doch in der letzten Schule das graue Mäuslein mit dem Pferdetick gewesen. Und Bücher mochte sie auch noch. Der soziale Untergang. Deswegen durfte das hier auch keiner erfahren. Nun war alles anders. Ihr Aussehen hatte sie komplett geändert. Eigentlich ändern lassen. Blondine durch gefärbte Haare, lackierte Fingernägel, perfekt geschminkt und eingekleidet in der neuesten Mode. Wer Internet hat, braucht ja eigentlich kaum noch einen Schönheitsberater. Das Mädchen hatte trotzdem beides. Nicht dank des Geldes ihrer Eltern. Sondern dank ihres Vaters. Er war der Schönheitsberater.



"Viel Spaß, Mädels!", rief Sonja aus dem Auto mit heruntergelassener Fensterscheibe zu. Die "Mädels" winkten aufgesetzt Jeanettes Mutter zu. Silvia war äußerlich der Zwilling ihrer Tochter. Auch wenn es bei anderen so rüberkommen mag, als ob sie Jeanette imitierte, um jünger zu wirken, war es diesem Fall ganz anders. Als Jeanette von der alten Schule abging, wollte sie ein neues Leben anfangen und schlüpfte so in die des Klons ihrer Mutter. Das Mädchen warf ihrer Mutter einen Handkuss zu und tänzelte dann elegant auf ihre Freundinnen zu, während hinter ihr die Reifen beim Abfahren quietschten.Während sie sich den anderen näherte, genoss sie die Blicke der Jungs, die sie zu spüren glaubte. Bei dem Aufwand hätte diese auch auf jeden Fall verdient.


Direkt vor Viktoria blieb sie dann letzendlich stehen. Auch sie war bei fast allen Mädchen der Schule beliebt. Warscheinlich nicht zuletzt aufgrund ihres Aussehens. Nicht, dass sie eine besondere Schönheit wäre. Aber sie wusste einfach, wie man sich zu schminken und zu stylen hatte, um Eindruck zu schinden. Heute trug sie ein pflaumenfarbenes Oberteil über einer schwarzen Leggins. "Smokey eyes" und schwarze "High heels" mit Riemchen rundeten das Outfit ab. Wenn Jeanette oder ihre Freundinnen einen Rat in Sachen Mode suchten, war Viktoria ihre erste Anlaufstelle.

"Hey, Viky! Na, wie seh' ich aus?" Jeanette drehte sich vor ihrer Freundin. Weißes Shirt mit "Batman- Ärmeln" auf einfacher Leggins und pinken Chucks. Letztere konnte Viky ihr beim gestrigen skypen nicht ausreden.

"Wow! Siehst klasse aus!" Ein Pfeifen von rechts unterstrich ihre Worte.


Als Jeanette aufsah, fielen ihr fast die Augen aus dem Kopf. Dort stand Alessa. Die spanische Schönheit der Clique. Doch was hatte sie denn an? Ein feuerrotes Kleid mit Tüll! Hatte die sie denn noch alle? Es war so anstrengend sich schick anzuziehen, ohne Ärger von einem Lehrer zu riskieren, weil man "overdressed" sei. Und Alessa war das wohl egal. Frechheit! Jeanette schnappte nach Luft. Bevor sie dem lebendigen Feuerball irgendwelche Gemeinheiten an den Kopf werfen konnte, wurde sie von Lisa daran gehindert.

Lisa, der Letzten im Bunde, war Aussehen egal. Eine Brünette mit Bob, die sich gerne mit brauner Kordhose und weißem Oberteil zeigte. So auch heute. Dieses Mal war das T-shirt mit einem blauen Schmetterling verziert. Durch ihre scharfe Zunge hatte sie sich ihren Platz eindeutig verdient. Jeden Versuch von Viktoria, ihr Aussehen zu verändern, wehrte sie entschieden ab. Dafür wurde sie heimlich von allen in der Gruppe bewundert.

"Na? Wie waren die Ferien? Entweder, du warst fleißig in einem Sonnenstudio, oder du bist in einen Farbtopf gefallen. Dritte Option wären Medikamente. Aber die schließ' ich jetzt mal aus.", fing Lisa die Unterhaltung an. Jeanette hatte nie gehört, dass man durch Medikamente zu Bräune kommen könnte. Sie versuchte, sich zu merken, dass sie daheim im Internet nachforschen sollte. "Es war fantastisch! Malediven und Kreta! Ihr hättet dabei sein sollen!" Dass es nur der eigene Balkon war, musste ja keiner wissen. "Echt? Kreta? Da waren wir auch! Wo wart ihr denn?", fragte Viky aufgeregt. Toll, Fettnäpfchen. Wo könnte sie denn gewesen sein? Ihr fiel nichts ein. "Ach, weiß ich nicht mehr, wie das Kaff hieß. Irgend so ein seltsamer Name. Vielleicht frag' ich heute Abend mal meine Eltern. Mal sehen." "Schade, dass wir nicht am gleichem Urlaubsort waren. Oder vielleicht waren wir das sogar. Nur in einem anderen Hotel! Wäre doch witzig!" "Ja, witzig." Jeanette biss sich auf die Zunge.



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