Kapitel 11

5K 287 24
                                    

Am nächsten Morgen schlief ich lange und stand mit ziemlich guter Laune auf. Ich freute mich auf den Tag, denn in einigen Stunden trafen Julia und ich uns. Wir wollten Tretboot fahren. Ich war aufgeregt wie ein kleines Kind. Der Versuch, mich zu beruhigen, scheiterte kläglich. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann hatte noch nie ein Mensch so krasse Gefühle in mir ausgelöst. Ich fasste an meinen Brustkorb. Er stieg schnell auf und ab. Ich hatte Herzklopfen. Komischerweise war es ein tolles Gefühl. Ich fühlte endlich wieder etwas. Dass es für Julia war, verdrängte ich.

Ich ging duschen und stöberte in meinem Kleiderschrank. Ich entschied mich wieder für meine weiße lockere Bluse und eine kurze braune Hose. Dann war es endlich so weit. Ich fuhr mit dem Auto zum Teich. Anschließend wollte ich noch zu meinen Eltern fahren, von denen ich gestern eingeladen wurde. Ich bog ab, suchte eine freie Parklücke und dann entdeckte ich sie. Julia stand dort, blickte zu mir herüber und ein breites Grinsen schmückte ihr Gesicht. Sie trug die Haare offen und sah bezaubernd aus. Sie hatte ein schwarzes Top an und ebenfalls eine kurze Hose, die etwas dunkler als meine war. Ich konnte meinen Blick kaum abwenden. Sei vernünftig, warnte mich meine innere Stimme. Lächelnd ging ich auf Julia zu. »Schön, dass es geklappt hat«, meinte sie und gab mir die Hand. Diese kleine Berührung durchzog meinen gesamten Körper. »Ja, ich finde es auch toll«, erwiderte ich. Dann mieteten wir ein Boot und fuhren vom Steg weg. Weit raus auf den Teich, der sehr groß war.

Erst sprachen wir über die Schule. Dann wurde es aber persönlicher. Geschickt fragte sie nach meinen Hobbys und ich stellte ihr die Gegenfrage. Kurz überlegte sie. »Also ich... ich schreibe gern. Und ich liebe lesen. Ich habe zu Hause so viele Bücher und so langsam wird es ganz schön eng. Ich finde das einfach toll. Von diesen E-Book-Readern halte ich überhaupt gar nichts. Ich brauche ein Buch in der Hand und echte Seiten, die ich umschlagen kann. Außerdem liebe ich den Geruch der neuen Seiten.« Sie redete mit Begeisterung und mich nahm es mit. Gespannt hörte ich ihr zu. Ich hätte stundenlang hier sitzen und erzählen können. Mir wäre nicht langweilig geworden. Dann verstummte sie. »Du schreibst?«, fragte ich neugierig. Die Röte schoss ihr ins Gesicht, was ich genau beobachten konnte. »Ja, schon. Natürlich nur für mich. Kurzgeschichten, Gedanken und aktuell schreibe ich an einem kleinen Buch. Aber nichts Besonderes«, lenkte sie ab. »Klingt interessant. Gib mir Bescheid. Ich möchte die erste Person sein, die es liest«, sagte ich lachend und zwinkerte ihr zu.

Der leichte Wind wehte durch ihre Haare und ihr Parfüm erreichte mich. Ich schloss für einen Moment die Augen. Als ich sie wieder öffnete, war Julia mir plötzlich ganz nah. Unsere Gesichter waren wieder einige Zentimeter voneinander entfernt. Ich musste schlucken, wich aber nicht zurück. Ich umarmte sie. »Komm, wir setzen uns hinten hin«, raunte ich ihr zu. Auf dem Boot gab es eine kleine Fläche, auf der wir beide genug Platz hatten. Ich nahm sie in den Arm, was natürlich verrückt war. Aber ich konnte nicht anders. Sie nahm meine Hand. Es war komplett absurd. »Was machst du nur mit mir?«, murmelte ich ihr zu. Julia sagte nichts. Sie drückte nur kurz meine Hand und gab mir damit ein Zeichen, dass sie es gehört hatte. So saßen wir dort auf dem kleinen Boot, ließen uns treiben, Hand in Hand und sagten kaum etwas. Wir genossen es. Ich hatte das Gefühl, dass es sie nicht störte. Ja, dass es ihr sogar gefiel! Immerhin wehrte sie sich nicht und hatte meine Hand genommen. Nach einer langen Zeit löste ich mich von ihr. Ihre Gegenwart tat mir gut. »Wir sollten zurückfahren. Ich fahre heute noch zu meinen Eltern«, erklärte ich ihr. Sie nickte nur. Am Steg seilten wir das Boot an. »Wo wohnst du eigentlich?«, fragte ich sie. »In der Fritz-Reuter-Straße. Ich muss mich jetzt aber auch beeilen, damit ich den nächsten Bus schaffe. Sonst muss ich noch 20 Minuten warten.« Fritz-Reuter-Straße? »Oh, das ist ja ein Zufall. Da wohnen meine Eltern auch. Wenn du willst, kann ich dich mitnehmen.« Sie stimmte zu.

Als wir in die Straße einbogen, fragte ich sie nach der Hausnummer. Es war unglaublich. Sie wohnte direkt neben meinen Eltern. Dort stand seit Jahren ein altes Haus und jetzt stand dort plötzlich ein kleines schönes Häuschen. Sie hatten es abgerissen und ein neues Haus gebaut. Mir fiel mal wieder auf, dass ich schon viel zu lange nicht mehr hier gewesen war. »Moment, hier wohnen Ihre Eltern?«, fragte sie erstaunt. »Deshalb kam mir der Name Melling auch so bekannt vor.« Ich parkte das Auto vor dem Haus. Julias Eltern verließen gerade das Haus und wir stiegen aus. »Liebling, du kommst ja gerade richtig.« Sie begrüßten mich. »Und du bringst ja sogar Verstärkung mit.« Julia und ich sahen uns fragend an. Sie bemerkten unsere Blicke. »Wir sind doch heute eingeladen. Familie Melling grillt. Habe ich dir doch heute früh erzählt«, meinte ihre Mutter. »Oh, das habe ich wohl überhört.« Sie grinste mich an und ich realisierte erst jetzt, was das zu bedeuten hatte. Meine Mutter hatte von Julias Familie gesprochen. Sie waren die neuen Nachbarn. Oh. »Los, dann wollen wir nicht zu spät kommen«, sagte ihr Vater und wir gingen in den Garten meiner Eltern. Dort war alles bereits vorbereitet und ich umarmte meine Eltern. »Ihr kennt euch?«, fragte meine Mutter erstaunt. »Ja, Julia ist meine Schülerin.« Sie riss die Augen auf. »Das ist ja ein Zufall, was?« Sie lachte auf. Und alle stimmten ein.

Die Männer grillten und tranken Bier. Wir Frauen saßen am Tisch, tranken Hugo und unterhielten uns. Immer wieder musste ich zu Julia schauen. Und jedes Mal bemerkte sie es. Sie war schon so erwachsen und reif für ihr Alter. Nachdem wir gegessen hatten und es langsam dunkel wurde, machte mein Vater die Feuerschale an. Meine Mutter besorgte dünne Decken, in denen wir uns einkuschelten. Ich konnte nicht daran glauben, dass es Zufall war. Es war wohl eher Schicksal. Durch die Flammen des Feuers  leuchteten Julias Augen so verdammt schön. Und dann dachte ich einfach nur: »Herzlichen Glückwunsch. Du hast dich in die falsche Person verliebt.«

Sturzflug ins Herz || txsWhere stories live. Discover now