3. „Willst du mir nicht sagen wie du heißt?"

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Louis hatte schon nach einer halben Stunde des Essenausteilens keine Lust mehr. Er ekelte sich vor mindestens über die Hälfte der Kinder und die Jugendlichen waren wohl kaum besser. Einige der Jugendlichen sahen ihn an wie ein Stück Fleisch und dabei fühlte er sich mehr als nur unbehaglich. Außerdem wehte ihm ständig dieser widerliche Geruch der Suppe in die Nase. Wie konnten diese Menschen das bloß essen? Es war Louis ein Rätsel, denn allein der Geruch trug dazu bei, dass er sich am liebsten übergeben wollte. Louis stand hinter einem hohen Tisch und reichte einen Teller nach dem anderen an die Menschen vor ihm. Nach einer Weile verschwammen die Menschen alle nur noch zu einer Masse. Jedes Gesicht sah für ihn gleich aus. Er unterschied nur noch zwischen den jüngeren und den etwas älteren Menschen. Männlich und weiblich bekam er auch noch gerade so mit, aber alles andere blendete er komplett aus. Wahrscheinlich war es auch besser so, denn er war viel zu angewidert, um sich genauer mit irgendjemandem beschäftigen zu wollen.

Während auf Louis' Seite peinliche und angespannte Stille herrschte unterhielt sich Liam mit jedem Einzelnen, während er ihnen Essen reichte. Ein Lächeln nach dem anderen huschte über Liams Lippen, während Louis einen unlesbaren Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte. „Louis, du musst dich ein bisschen mehr mit ihnen unterhalten. Zeig ihnen, dass du dich für sie interessierst", flüsterte Liam rüber, doch Louis konnte sich nicht weniger dafür interessieren. Warum sollte er so tun als würde er sich für diese Heimkinder interessieren, wenn er es nicht tat? Er wusste auch gar nicht was für Fragen er ihnen stellen sollte. Er konnte ja kaum so mit ihnen sprechen wie er es mit seinen Freunden tat. „Louis, das sind nur Menschen. Mach endlich deinen Mund auf", meinte Liam diesmal etwas lauter. Seufzend setzte Louis ein Lächeln auf, das man meilenweit als falsch einstufen konnte. „Hi", begrüßte er das kleine schwarzhaarige Mädchen, das kaum über den Tisch sehen konnte. „Hast du Hunger?", fragte Louis.

Liam stand nur kopfschüttelnd daneben. Zum Glück hatte er jedoch selbst so viel zu tun, dass er nicht genug Zeit hatte, um sich über Louis aufzuregen. Das kleine schwarzhaarige Mädchen vor Louis nickte hastig und damit schob Louis ihr den Teller hinüber. „Guten Appetit", wünschte er der Kleinen halbherzig, bevor diese mit dem Teller zu einem der Tische lief um sich dort hinzusetzen. „Man sagt ‚Danke'", rief Louis ihr hinterher. „Louis", tadelte Liam, während er dem Älteren leicht gegen die Schulter boxte. „Was kann ich dafür, dass sie kein Benehmen hat?", wollte Louis wissen. „Es kommt auch nicht so rüber als hättest du ein besonders gutes Benehmen", konterte Liam, bevor er sich mit einem Jungen unterhielt, der mit großen Augen auf sein Essen wartete. Seufzend strich Louis sich eine Strähne seines aufwendig, unordentlich gestyltem Haar aus dem Gesicht, bevor er eine Stimme vor sich vernahm. „Ähm...hi", murmelte Louis' Gegenüber und brachte den Blauäugigen dazu seinen Blick anzuheben.

Vor Louis stand ein Junge, der auf jeden Fall älter war als die meisten, die vor ihm angestanden hatten. Er hatte grüne Augen und braunes Haar, das gelockt war und sein Gesicht wunderbar umrahmte. Louis' Gegenüber hatte eine blasse Haut und trug einen Pullover, der ihm mindestens zwei Nummern zu groß war und somit an ihm hinunter hing. Die schwarze Skinny Jeans des Lockenkopfes hatte mehrere Löcher, sodass sie wohl kaum noch wärmen konnte und dazu trug der Junge Cuban Heel Boots, die schon so durchgetreten aussahen, dass man annehmen könnte sie würden beim nächsten Schritt auseinander fallen. Die viel zu langen Ärmel seines Pullovers hatte der Lockenkopf über seine Hände gezogen. „Du bist neu hier, nicht wahr?", erkundigte sich Louis' Gegenüber mit einer tieferen Stimme als Louis es erwartet hätte. Die Frage brachte Louis jedoch dazu wieder in der Realität zu landen. Der stinkende Geruch der Suppe drang immer noch in seine Nase ein und das laute Gequatsche der Kinder ging ihm immer noch tierisch auf die Nerven.

„Gewönn dich nicht daran. Nach sechs Monaten bin ich wieder weg", antwortete Louis schlagfertig. „Ich bin Harry", sagte der Lockenkopf mit einem leichten Lächeln auf seinen Lippen. Verwirrt legte Louis seine Stirn in Falten und sah Harry an. Der Junge sah auf den Boden und spielte nervös mit seinen Händen, während seine Wangen sich rosa färbten. Louis wusste zwar nicht was mit Harry los war, aber es sollte ihm auch egal sein. „Schön für dich", entgegnete Louis deshalb und nahm einen der Teller mit Suppe, die hinter ihm standen. Er schob Harry den Teller hin, doch dieser machte keine Anstalten zu Gehen. „Willst du mir nicht sagen wie du heißt?", fragte Harry kleinlaut, während er immer noch mit seinen Fingern spielte. „Nicht wirklich", meinte Louis und schob Harry mit Nachdruck den Teller noch ein Stück näher. Enttäuscht griff Harry mit seinen in den Pullover eingehüllten Händen nach dem Teller. „War schön dich kennengelernt zu haben", murmelte er, bevor er sich an einen Tisch setzte an dem bisher noch niemand anderes saß.

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