Teile ohne Titel 1

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Die Augen sind auf gleicher Höhe wie meine. Sie sind braun und groß, mit langen, schwarzen Wimpern. Sie haben einen schönen, warmen Glanz. Ich fühle mich augenblicklich erleichtert. Und erregt. Die Augenhöhlen sind jung. Mindestens 10, wenn nicht 15 Jahre jünger als meine. Ich fühle Leichtigkeit. Wir nehmen es hier locker. Es ist nur ein Spiel. Ich möchte diesen Moment der unbestimmten Nähe festhalten. Die braunen Augen zucken und die Maske wird abgezogen. Mich erblickt ein warmes, breites Lächeln.

Du bist doch aus der Compliance Abteilung von Sinofa!

Mein Atem stockt. Mein Herz klopft durch die Jacke, bis ins Hirn und in die Zehenspitzen. Ich kann nur noch starren. Meine Maske wird mir abgenommen. Im Betrieb gibts außen keine Maskenpflicht. Da können wir sie hier nun auch auslassen. Was machst Du hier?

Ähm. Du bist doch auch hier.

Ich bin Dir gefolgt.

Hilfe! Was sage ich nun? Ich muss irgendwas reden bis meine Hirnzellen wieder arbeiten. Warum bist Du mir denn gefolgt?

Ich hatte dich in der U-Bahn gleich erkannt und Du hattest mich so fixiert, dass ich glaubte, du würdest mich wohl ansprechen wollen. Als Du dann anzeigtest, ich solle Dir aus der U-Bahn rausfolgen, wurde ich neugierig. Und da ich heute Abend nichts mehr vorhatte, bin ich brav gefolgt. Ich hatte eigentlich nicht erwartet, dass du mich kennst.

Äh, wieso? Natürlich kenne ich dich. Du bist doch Du bist doch aus Na, ich steh grad auf der Leitung. Ich komm grad nicht auf die Bezeichnung deiner Abteilung?

Ich arbeite im Vertragswesen im Rechtsbereich.

Achja! Haha! Jetzt erinnere ich mich wieder. Aber lange arbeitest Du dort noch nicht?

Gerade mal vier Wochen. Ich habe auf der Juniorstelle angefangen. Weil unser Chef länger auf Dienstreisen ist, wurde ich noch nicht rumgeführt und war bisher viel im Home Office. Ich hatte erwartet, dass ich dir noch nicht aufgefallen bin. Das Lächeln wirkt jetzt irgendwie frech.

Mir wird schummrig. Meine Knie sind weich. Ich wollte Abenteuer - ich wollte vor allem Mut üben. Da stehe ich nun mitten im Gebüsch mit zwei wunderschönen, braunen - jungen - Augen vor mir. Und diese sexy Augen wissen also nix von Suzi Ah und ihrem Blog, geschweige denn ihrer Challenge. Diese Augen erwarten nun Erklärungen für mein Verhalten. Oder vielleicht wissen sie von der Lampen Challenge - aber hätten es wohl sicher nicht von mir erwartet - rund 15 Jahre älter und stellvertretende Abteilungsleitung von Compliance. Fliehe ich einfach? Nicht wirklich nachhaltiges Verhalten, wenn man sich im Betrieb noch häufiger begegnen wird.

Aber wieso werde ich hier eigentlich geduzt? Wie kommen diese Junioraugen dazu, Ahnungslosigkeit auszudrücken und mich - Senior - gleichzeitig zu duzen? Ich muss mich erst noch weiter absichern. Ein Geständnis könnte fatale Folgen haben. Es ist einfach zu entblößend. Da kommt mir ein Gedanke. Was sagen meine Geschwister immer zu mir: Bluffen ist des Anwalts Schaffen. Ein bisschen Schummeln geht immer. Endlich kann ich wieder atmen.

Über deine Einstellung habe ich in der Abteilungsleitersitzung vom Rechtsbereich gehört. Dein Chef hatte Deinen CV mit Photo auf dem Tisch liegen gehabt. Warst Du am 1. April auch im Gebäude? Da hatte ich Dich aus der Ferne gesehen.

Hm, ich fand an meinem ersten Tag nur leere Gänge. Aber ich habe Deine Präsentation in der Bereichsversammlung gesehen. Ich hatte meine Kamera die ganze Zeit aus, da ich an der Diskussion noch nicht teilnehmen wollte. Deine Präsentation hatte mich sehr beeindruckt. Ich finde super, wie konkret du die vorhandenen Schnittpunkte zwischen den Abteilungen im Rechtsbereich aufgezeigt hattest. Ich habe viel davon gelernt.

Ah! Das ist ja schön.

Hm, ich könnte die Situation nun mit einem Vortrag über die Niederungen der betriebsinternen Interessenausgleiche auf eine andere Schiene bringen. Ich setze mich einfach ganz langsam in Richtung Rixdorfer Höhe in Bewegung. Dann werden mir diese jungen Augen schon folgen. Wenn ich dabei aushole, welche Interessenburgen sich bei uns verschanzen und wie sie sich in andere Bereiche des Betriebs vernetzt haben, wird bis Ankunft an der Höhe vergessen sein, dass wir aus dem Busch kamen. Dann kann ich es vielleicht zu einem Spaziergang unter Kollegen ausklingen lassen. Ich habe wieder Boden unter den Füßen gewonnen. Also Dein Chef hat ja nie verstanden - oder will es nicht verstehen, was Compliance wirklich bedeutet.

Warum läufst Du weiter?

Uff! Ich schaue zurück. Keine Chance - das junge Biest lässt mich nicht entkommen. So unschuldig kann es nicht sein. Ich brauche dringend eine Beweislastumkehr. Ich darf mich nicht in die Enge treiben lassen. Ich habe noch eine Karte im Ärmel: Wieso duzt Du mich eigentlich? Hat Dir irgendeiner erzählt, dass in unserem Betrieb ein Junior bei Einstellung alle gleich duzen darf?

Das Lächeln wird weicher. Die Junioraugen verlieren den Schalk. Bingo! Jetzt muss das erstmal geklärt werden - damit komme ich in eine bessere Position.

Wie du mich hierhergeführt hast, fühlt es sich privat - irgendwie vertraut - an.

Welche Anhaltspunkte siehst Du dafür, dass ich hier ein privates Anliegen habe?

Die braunen Augen schauen verwundert und fragend. Hm, jetzt wird meine Argumentation langsam doch was lächerlich. Ich fühle mich im Eiertanz. Letzter möglicher Ansatz: Warum hast du eine Bauhauslampe dabei?

Ich habe sie gerade gekauft. In meinem Kellerverschlag gibt es nur eine kleine Funzel und ich habe noch viele, unausgepackte Kisten im Verschlag stehen, aus denen ich immer mal wieder was brauche.

Ich lasse die Schultern hängen.

Die Juniorschultern strecken sich: Aber ich kenne - auch - Suzi Ah und ihre Lampen Challenge. Die braunen Augen gewinnen wieder an Schalk, aber das Lächeln ist freundlich, einladend.

Wie kann man in so jungem Alter schon solche Größe zeigen? Mit einem kleinen auch können Brücke gebaut werden. Ein solches Vermittlungstalent bräuchten wir für Compliance.

Ich kenne Suzi auch. Und die Challenge! Ich fühle mich erleichtert und fast aufgeheitert. Ich schaue in einen tiefen, braunen Blick mit warmem Lächeln. Auf mein dankbares Schmunzeln hin, beginnt der Blick zärtlich zu werden. Es ist klar, dass ich mit einem Junior nichts anstellen darf. Da hört der Mut auf. Oder vielleicht eher: da ziehe ich meine persönliche Grenze. Aber ich genieße die Tiefen des Blicks und es braucht keine Worte mehr. Vor allem, ich mag keine Worte, die diese Situation noch verkomplizieren.

Der Moment hält an. Mir wird warm ums Herz. Was für eine eigentümliche Begegnung. Wie nah fühle ich mich auf einmal dieser Person, die mir zunächst einen wahren Schrecken eingejagt hat. Na, etwas mehr darf vielleicht gewagt werden. Darf ich Dich kurz umarmen?

Ja. Gerne!

Ich zittere ein wenig. Durch die fast gleiche Körperlänge ist die Umarmung entspannt. Ich lege meine Arme um den Oberkörper und meinen Kopf auf die linke Schulter. Ich lasse das ganze Gewicht meines Kopfes auf die Schulter fallen. Ich drücke den Körper noch etwas näher an mich ran. Die fremde Körperwärme kommt durch die Jacken durch. Der andere Körper schmiegt sich gelassen in meine Arme ohne den Kopf auf meine Schulter zu legen. Ich fühle mich eingeladen und wohlig. Ich möchte mehr. Mehr von dieser besonderen Verbindung.

Ich drehe meinen Kopf um und richte meine Nase auf den Hals. Ein langer, schlanker Hals. Ich sehe, wie sich der Kehlkopf bewegt. Ich schiebe meine Nase leicht an den Hals und atme tief ein - und rieche. Der Kehlkopf bewegt sich in höherer Frequenz. Ich atme weiter tief und spüre, wie der Körperduft bis in die Tiefen meiner Stirnhöhlen eindringt. Irgendwie süß und auch herb, irgendwie wie Rosmarin und Süßholz und einfach sehr warm. Mir wird ganz flau.

Der Körper in meiner Umarmung zuckt. Ich fahre augenblicklich hoch.

Ich schaue in glasige Augen - und ein zärtliches Lächeln. Ich bin immer noch etwas benommen - von diesem Geruch. Ich muss mich aus dieser Umarmung lösen und fühle mich unbeholfen.

Ein flüchtiger Kuss landet auf meiner Wange. Unerwartet und weich. Unsere Blicke finden sich -fragend. Wir brechen beide laut ins Lachen aus.

Ich bin perplex und berauscht von dieser Leichtigkeit.

Ich schreite langsam weiter in Richtung Rixdorfer Höhe und diesmal wird mir auf den Schritt gefolgt. Ich genieße die Ruhe zwischen uns. Eine verbrüderte Stille. Wir respektieren uns gegenseitig. Es wird im Betrieb nicht peinlich werden. Ich werde es genießen, mutig gewesen zu sein. Sobald wir wieder auf normalen Wegen angelangt sind, werde ich beginnen über die Vernetzung der internen Interessenburgen in unserem Betrieb zu lehren. Es wird auch jetzt nicht von dem ablenken, was uns hergeführt hat. Aber es wird lustig - entspannend.

Und den Geruch nehme ich mit nach Hause.

Freitagabend GerücheWhere stories live. Discover now