Kapitel 2 - Frühlingsrollen

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In ihrem Zimmer angekommen, musterte Mary das Zimmer. Es war ländlich, aber reichte aus. Das Bett war für zwei Personen hergerichtet. Neben dem Schreibtisch hing ein Flachbildfernseher. Immerhin, dachte Mary. Bei dem rustikalem Chic hätte sie mit einer Röhre gerechnet. Daneben war ein Verbindungstür zum Nebenraum. Das Zimmer hier war anscheinend ein Familienzimmer. Geschafft warf sie sich Kopfüber auf das Bett. Sie hatte einen großen Schritt gemacht und endlich einen ihrer Freunde persönlich kennengelernt. Und es war sogar einfacher, als sie dachte.

Im Badezimmer sprang sie schnell unter die Dusche und ließ das heiße Wasser lange über ihre Haut laufen. Es war eine wahre Wohltat nach der langen Anreise. Genau das, was sie gebraucht hatte um etwas Ablenkung zu finden. Doch schneller als gedacht prasselten all die Fragen wieder auf sie ein, die sie Lilly gleich stellen wollen würde. Wo sollte sie nur anfangen? Plötzlich ging ihre Fantasie mit ihr durch und sie dachte an Jake, wie er hier mit ihr unter der Dusche stehen würde. Wie er sie küssen würde. Wie und wo er sie berühren würde. So sehr wünschte sie sich, dass diese Fantasie wahr werden würde. Dass er nun bei ihr wäre. Dabei glitten ihre Hände selbst über ihren Körper. Das Vibrieren ihres Handys neben ihr auf dem Waschbecken holte sie in die Gegenwart zurück. Verunsichert drehte sie das Wasser aus. Dann nahm sie vorsichtig ihr Telefon.

Dan: Ey Leute, was seid ihr denn für ein langweiliger Haufen geworden. Morgen Grillfeier 18 Uhr bei mir. Für die, die meine neue Adresse noch nicht kennen: Blumenweg 23. Wehe ihr kommt nich.

Mary musste lachen. Dan zu treffen wollte sie sich unter keinen Umständen entgehen lassen. Aber nun wollte sie mit Lilly Essen gehen. Während sie sich ihre langen welligen braunen Haare kämmte, hörte sie im Hausflur laute Schritte und kurz danach die Nebentür zuschlagen. Da scheint jemand wohl schlechte Laune zu haben, dachte sie unbekümmert.

Unten angekommen, wartete Lilly schon auf sie.

„Oh, hast du dich für mich schick gemacht, Mary?", fragte Lilly amüsiert über das Outfit.

„Ich ziehe mich nun mal gern schick an. Und wenn ich schon mit dir essen gehe, dann bestimmt nicht in Jogginghose und Schlabbershirt."

„Haha", lachte Lilly laut. Mary stimmte mit ein.

„Wo geht es hin?", hakte Mary hungrig nach.

„Ach da auf der anderen Straßenseite gibt es einen echt guten Chinesen. Der macht die beste Ente kross und super leckere Frühlingsrollen." Genau in diesem Moment fiel Mary ein entscheidender Fakt ein. Jake sagte ihr einst, dass er in einem Motel untergekommen wäre. Er wollte zwar nicht sagen, wo er war, doch fragte er sie eines Tages unvermittelt, ob sie chinesisches Essen mochte. Als sie das bejahte, erklärte er ihr, dass ihm gegenüber ein passendes Restaurant wäre und er sie unter keinen Umständen zu ihrem ersten Date in ein Lokal einladen wollen würde, wo ihr das Essen nicht schmecken würde. Im Umkehrschluss hieße das aber, dass Jake genau hier war. Genau in diesem Motel. Ihr stockte der Atem. Er war hier. Er war in Duskwood, als alles passierte.

„Alles ok?", fragte Lilly aufmerksam.

„Ja, alles ok", log Mary. Dieses wichtige Detail wollte sie noch nicht mit ihr teilen.

Während des Essens schaute sich Mary die ganze Zeit besorgt um. Immer wenn die Tür aufsprang, dachte sie, dass einer ihrer Freunde reinkäme. Insgeheim wünschte sie sich jedoch, dass es Jake wäre. Doch nichts davon traf auf die eintreffenden Gäste zu.

„Gehst du heute zur Grillparty zu Dan", versuchte Mary von ihren Gedanken abzulenken. Lilly bedachte sie mit einem skeptischen Blick. Mal schien sie besser über Marys Gefühle Bescheid zu wissen, als sie selbst.

„Ich kann leider nicht. Muss arbeiten. Miss Walter hat heute Abend frei. Aber ich dachte, du willst noch nicht, dass die anderen wissen, dass du hier bist."

„Dann werden sie nachher sicherlich große Augen machen", lachte Mary.

„Dan wird sich in jedem Fall freuen. Habe ihn erst letzte Woche beim Einkaufen getroffen. Er hat von dir gesprochen."

„Was hat er denn erzählt?" Nun wurde Mary hellhörig.

„Er meinte, dass er es wirklich vermissen würde, dass du dich so in die Gruppe eingebracht hast. Dann begann er davon zu erzählen, dass du mit ihm einen Horrorfilm schauen wolltest."

„Ach herrje. Ja, da hat er wohl recht. Dann werde ich ihn wohl doch nachher besuchen gehen." Beide lachten herzlich. Sie beide verstanden sich ausgesprochen gut. Tatsächlich hatten sie einen sehr ähnlichen Sinn für Humor. Doch nach der zweiten Frühlingsrolle kippte die Stimmung zusehends.

„Wie geht es deiner Schwester?", fragte Mary ruhig. Sie wusste, dass es ein sehr schwieriges Thema war.

„Es geht ihr..." Lilly versuchte die richtigen Worte zu finden. Dabei stocherte sie in ihren Glasnudeln herum. „Nicht gut, um ehrlich zu sein. Sie ist noch in der Einrichtung. Die Staatsanwaltschaft bereit aber schon den Fall vor. Ihr Anwalt ist wenig optimistisch. Thomas hat sich zurückgezogen. Er konnte mit dem ganzen Thema doch schlechter umgehen, als er es selbst eingestehen wollte. Sie beide haben sich getrennt, weißt du."

„Das tut mir wirklich leid für Hannah." Mary hielt noch nie viel von Thomas. Aber das er Hannah in dieser schwierigen Zeit im Stich ließ, setzte dem Ganzen noch die Krone auf.

„Sie möchte dich gern kennenlernen. Vielleicht schaffst du es ja mal in deiner Zeit hier, sie besuchen zu fahren?"

„Das klingt nach einem guten Plan. Ich gehe sie sehr gern besuchen", stimmte Mary dem Vorschlag zu. Nach allem, was Mary wegen Hannah erlebt hatte, wollte sie nun endlich ihr mal gegenübertreten. Aber wirklich wohl, war ihr trotzdessen nicht dabei.

„Wunderbar. Ich sage ihr morgen Bescheid, wenn ich hingehe. Dann schauen wir mal, wann es für euch beide am besten passt." Schweigend aßen sie weiter. In Marys Kopf waren aber noch sehr viele Fragen.

„Gibt es sonst noch was, was ich wissen sollte?", fragte Mary neugierig.

„Dan und Jessy haben was miteinander", erzählte Lilly grinsend.

„Bitte was? Nicht dein Ernst!"

„Doch. Kurz nach den Ereignissen hat sie sich von ihm wohl trösten lassen. Dann führte wohl eines schnell zum anderen. Cleo erzählte mir, dass Miss Sully die beiden in der Innenstadt hat knutschen sehen."

„Wow, damit habe ich nicht gerechnet, aber schön für die beiden."

„Wenn wir schon dabei sind: Was ist mit dir und Jake?" Diese Frage ließ Mary den Appetit vergehen. Sie schaute zur Seite, damit Lilly nicht sehen konnte, wie sehr sie unter der Ungewissheit litt.

„Er hat sich seit dem Vorfall an der Mine nicht mehr bei mir gemeldet. Ich weiß nichts."

„Er fehlt dir, oder?"

„Und wie!" Nun brachen alle Dämme und Mary weinte bitterlich. Lilly streichelte ihr tröstend über den Rücken.

„Tut mir leid, dass ich diese Wunde aufgerissen habe. Hannah und mir fehlt er auch. Als ich ihr sagte, dass Jake unser Bruder ist, ist sie fast umgekippt."

„Sie wusste das ja noch nicht. Stimmt ja", sagte Mary noch immer schluchzend.

„Es war ein Schock für sie. Er brach damals nur einfach den Kontakt ab. Sie wusste nicht warum. Damals war sie ja selbst verliebt in ihn. Nachdem er sich dann distanzierte, hatte sie ganz schön Liebeskummer." Lilly war in Gedanken versunken. „Ich habe Hannah mein Handy gegeben, weißt du? Ich habe sie alles nachlesen lassen, was seit ihrem Verschwinden passiert war. Das hat ziemlich viel in ihr ausgelöst."

„Das glaube ich gern. In der kurzen Zeit ist wirklich sehr viel passiert."

„Du weißt selbst, dass wir nicht den besten Start hatten und ich weiß, dass ich falsch reagiert habe, aber ich bin wirklich froh, dass du endlich hier bist. Willkommen in Duskwood, Mary!"

Dass Mary schon seit ihrer Ankunft die ganze Zeit beobachtet wurde, ahnte sie nicht. Selbst in diesem Moment, als sie dachte, dass sie hier nun sicher sein würde. Das Spiel war noch nicht zu Ende.

Duskwood - Hinter der MaskeDonde viven las historias. Descúbrelo ahora