Kapitel 2

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Ich bin wach. Festgekettet. Was ist das? Ein verdammt stabiles Feldbett. Zum Teufel damit. Ich sehe mich um. Weit und breit keine Menschenseele. Wo sind die denn alle? Der Raum kommt auf mich zu. Ablenkung, sofort.

Die müssen mich an diesen Ort getragen haben. Oder haben sie einen Zauber benutzt? Bin ich noch, wo ich sein wollte? Wie lange habe ich geschlafen? Habe ich überhaupt geschlafen? Ich weiß es nicht. Ich ziehe nochmal an den Fesseln. Sie sind ziemlich fest. Beeindruckend fest. Zu fest für meine schwachen Arme.

Ich seufze. Die bekomme ich nicht auf, dafür bräuchte ich viel mehr Kraft. Hoffentlich haben die mich nicht sonst wo hin verfrachtet. Oder längst wieder ausgeliefert. Ich will nicht zurück. Ist es so schlau, wenn ich nach jemandem rufe? Wahrscheinlich schreie ich mir hier eh erfolglos die Seele aus dem Leib. Vielleicht verhalte ich mich einfach ruhig und versuche mir ein Bild von der Lage zu verschaffen. Wer weiß, wie empfindlich die sind... Und der Feind bin ich sowieso schon. Eine Gefangene. Wahrscheinlich ist warten im Moment die beste Lösung. Sonst verschiffen die mich doch noch ans Ende der Welt oder lassen mich abkratzen, statt mir zu helfen. Ich will nicht gleich wirken, als hätte ich sie nicht mehr alle.

Sofern man wahrscheinlich sowieso nichts anderes von mir denkt. Welche andere weiße Magierin ist bescheuert genug, sich der Festung der Schwarzmagier unbewaffnet zu nähern? Dazu noch völlig friedfertig. Das gibt es nicht. Nicht in dieser Welt. Normalerweise zumindest.

Ich nehme den Raum in mich auf. Atme langsam wieder ruhig. Kämpfe gegen den Schwindel an. Er ist klein. Es gibt drei weitere Feldbetten und die Wände bestehen nur aus Beton. Den Boden kann ich nicht sehen, aber auch die Decke sieht so aus. In der Mitte der Decke brennt eine einzige helle Glühbirne. Naja, hell? Gedimmt, aber immerhin mehr als nichts. Keine Farbe, keine Verzierung. Ich lache leise auf. Hübsch hier. Zumindest haben die mir eine Decke überlassen. Ich lege den Kopf zurück und beginne zu warten.

Die Stahltür zu meiner Linken springt auf. Ich schrecke hoch. Himmel. Ein Junge in meinem Alter tritt ein. Sein Haar ist schwarz und zerzaust, er ist muskulös und gut proportioniert. Seine Augen sind von einem reinen, tiefen dunkelblau und glitzern in dem Licht. Was will der hier? Seine Schritte und Bewegungen sind federnd, energiegeladen. Kontrolliert, aber gleichzeitig fahrig. Unter anderen Umständen...

"Sieh mal einer an. Du bist wach. Mal sehen, ob du wirklich so hirnverbrannt bist, wie du dich letzte Nacht gegeben hast.", sagt er im Näherkommen. Ja, mit hirnverbrannt könnte er tatsächlich ins Schwarze getroffen haben. Sein Blick ist unverwandt und sein Tonfall kühl. Sehr sympathisch. Aber berechtigt. Er ist mit etwa 1.76 Metern ein relativ kleiner Magier. Ein Zwerg. Mir huscht versehentlich ein minimales Grinsen übers Gesicht.

Hinter ihm bauen sich zwei Erwachsene auf. Sie schweigen. Gruselig. Die Autorität kann man ihnen aus dem Gesicht lesen. Der Junge nähert sich mir immer weiter. Was hat er vor? Meine Muskeln spannen sich an und mein Atem geht flacher. Bis er neben mir kniet. Ich weiß, wie das normalerweise ausgeht. Ich habe genug Schauergeschichten gehört.

Mein Herz pocht. Er kann mir die Angst ansehen, ganz bestimmt. Keiner von ihnen war mir je so nah. Selbst aus der Distanz waren mir ihre Blicke gefährlich. Was mache ich jetzt? Ich habe immer gleich zugesehen, dass ich da wegkomme. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Ich wäre nicht einmal ein halbes Prozent dessen, was es zu rächen gilt. Ich wusste, wie riskant das hier wird. Dumm ist es trotzdem nicht, verdammt. Selbst wenn. Die brauchen mich noch. Ich bin abgesichert. Dennoch fürchte ich, was als nächstes passiert.

Die schwarzen Magier sind rachsüchtig wie Tiger. Gute Menschen, aber erbarmungslos. Die angelegten Fesseln hindern mich daran, mich von ihm zu entfernen. Mist. Ich drehe ängstlich den Kopf weg und kneife die Augen zu. Ich höre den Jungen leise auflachen und bereite mich darauf vor, dass er mich schlägt oder schneidet oder mir einen Finger bricht. Jetzt foltern sie mich. Eine Sekunde später spüre ich seine Hände an mir. Ich zucke zusammen.

Sanft legt er mir eine auf die Stirn und umschließt mit der anderen mein linkes Handgelenk. Ich atme leise tief durch, immer noch verängstigt. Beruhig dich, du Feigling. Langsam zwinge ich mich die Augen zu öffnen und blinzle vorsichtig zu ihm hinüber. Er hat die Augen geschlossen.

Er sieht friedlich aus. Ist das gut...? Hoffentlich. Ich spüre, wie ich ruhiger werde. Durchsucht er gerade meine Gedanken? Er ist sicher eine Brücke. Von ihnen gibt es nur sehr wenige. Brücken sind Meister der Telepathie und des Sehens. Sie empfangen Signale aus ihrer Umwelt, die selbst der beste und empfindlichste Magier nicht wahrnehmen würde. Ich merke wie eine sanfte Woge der Entspannung über mich kommt.

Er öffnet die Augen und für einen Moment nimmt mich sein Blick gefangen. Das ist so verdammt intensiv... Ich kann nichts anderes tun als zurückzustarren. Ich blende sogar die scharfen Blicke seiner Begleiter aus. Ich kann euch helfen. Ich will euch helfen. Bitte gebt mir eine Chance... Ich kann mich beweisen... Überraschung blitzt in seinen Augen auf. Dann lässt er mich abrupt los. Wendet sich den beiden Autoritäten zu.

"Wenn sie ein Trojanisches Pferd ist, macht sie ihre Sache gut." Na super. Danke, wirklich hilfreich. Er reicht einem der beiden die Hand. Ich verstehe nicht ganz wie, aber es scheint so, als würde er meine Erinnerungen an die Frau transferieren. "Lasst sie auf unsere Krankenstation verlegen. Wir reden später mit ihr.", sagt die Dame monoton. Was hat sie mit mir vor? Ich kann nicht aus ihren Gesichtszügen lesen. Die zwei Autoritäten verlassen den Raum wieder. Der Junge starrt auf mich herab. "Wenn du hier bist, um uns zu infiltrieren, sorge ich höchstpersönlich für deine lebenslängliche Folter. Und deinen qualvollen Tod.", murmelt er kalt. Dann verschwindet er. Ich bin allein.

Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, bis das nächste Mal jemand zur Tür hereinkommt. Es sind zwei Krankenschwestern und drei Wächter, die mich von dem Feldbett lösen und zu fünft auf ein Krankenbett heben. Na endlich. Ich bin nur für Sekunden losgebunden, aber für einen Angriff meinerseits hätte das locker gereicht.

Die Fünf sehen so aus, als würden sie genau das erwarten. Ich bin nicht wahnsinnig und ich möchte niemandem hier schaden. Vielleicht ärgert mich das erleichterte Aufatmen einer der Schwestern deshalb so ungeheuerlich.

Mit einem leichten Schrecken stelle ich fest, dass ich vergessen habe, die acht Magier zu grüßen, die mich bis jetzt besucht haben. Normalerweise gar nicht meine Art. "Tut mir leid, dass ich Sie nicht gleich beim Reinkommen begrüßt habe.", meine ich leise und fünf Köpfe fliegen erschrocken zu mir herum. "Hallo...", flüstere ich leicht eingeschüchtert und spüre meine Wangen rot anlaufen.

Angespannt sehen alle wieder weg. Das hier ist deren Revier. Sie haben nicht erwartet, dass ich mich so weit vorwage, mich mit ihnen zu unterhalten. Niemand erwidert etwas. Ich schließe beschämt die Augen. Sie denken, ich bin wie alle weißen Magier... hinterlistig, doppelzüngig, auf Opfer und ihre Vernichtung aus.

Ich kann nichts für meine Herkunft. Aber sie haben auch nicht gesehen, was der Junge gesehen hat. Schmerz, Angst, Wut und Einsamkeit. Grelles, kaltes Licht. Keine Liebe. Keine Freundschaft. Keine Familie. Ob er Mitleid hatte? Für einen kurzen Moment? Ich lasse mich von den Fremden in ein Krankenzimmer geleiten.

Dort angekommen wartet ein Mann auf mich. Stattlich, schon älter. Er sieht unheimlich streng aus. Schräg hinter ihm, aus meiner Position kaum zu erkennen, steht wieder der Junge. Was er hier wohl will? Mein Inneres kennt er doch schon, oder etwa nicht...? Welche andere Funktion sollte er dieses Mal haben? Kann er vielleicht etwas, an das ich bisher noch nicht gedacht habe?

Zeit, das zu testen. Ich muss versuchen herauszufinden, in wessen Fänge ich mich wirklich begeben habe. Lernen, was sie nervös macht, damit ich das nach Möglichkeit umgehen kann. "Ich bin der Direktor dieser Akademie. Ich habe Fragen. Du wirst mir jede einzelne beantworten. Wenn nicht... Dazu kommen wir dann. Ich hoffe, du kannst mithalten.", stellt der Mann hinter dem Fußende meines Bettes klar.

Ich schlucke nervös, dann nicke ich tapfer. Selbst diese knappe Bewegung verlangt mir einiges ab. Doch ich bin bereit.

Gloomy AwakeningWhere stories live. Discover now