Kapitel 1

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Es ist eine kalte, bedrohliche und tiefschwarze Nacht, die mich erbarmungslos in sich einhüllt. Kalter Regen peitscht mir ins Gesicht und läuft gepaart mit meinem Schweiß zu meinen Lippen hinab. Der Geschmack von salzig kalter Angst liegt auf meiner Zunge.

Stechende Kälte schmerzt in meinen Beinen, doch ich renne immer weiter und weiter. Meine Schuhe versinken knöcheltief im matschigen Laubboden. Mit jedem Schritt schwinden meine Kräfte mehr und mehr. Doch ich muss weiter laufen!

Mein Herz hämmert wie eine Dampframme in meiner Brust. Keuchend ringe ich nach Luft. Das Blut, das aus der brennenden Wunde nahe meiner Halsschlagader fließt, ergießt sich heiß über meine kalte Haut und durchtränkt mein Oberteil.

Hinter mir spüre ich den heißen, fauligen Atem meines Verfolgers. Panik erfasst mich. Meine Nackenhaare stellen sich auf. Ich werfe einen Blick zurück, als ich plötzlich den Boden unter den Füßen verliere und einen steilen Abhang hinabstürze. Mein Schrei ist laut, wird jedoch von einem heftigen Ruck erstickt, als ein harter Körper mich an sich drückt. Wir fallen und landen letztendlich sanft auf dem Boden.

Ein Motorrad kommt heulend angerast mit der Silhouette eines Mannes darauf. Die Reifen quietschen laut auf, bis das Motorrad zum stehen kommt. Das Licht des Scheinwerfers blendet mich.

»Lena, lauf weg!«, schreit der Fahrer aufgebracht. Ich sehe mit großem Schrecken in die Augen meines Retters neben mir, dessen Blick auf meinen blutenden Hals fixiert ist. Ehe ich etwas tun kann, zieht er mich ruckartig an sich und labt sich unsanft an meinem Blut.

* * *

Ich schrecke aus dem Schlaf hoch. Mein Herz rast und meine Augen sind weit aufgerissen. Der Schweiß läuft mir die Schläfen hinab. Meine Hände umklammern so krampfhaft die Armlehnen meines Sitzes, dass meine Knöchel weiß hervortreten.

»Darf es hier noch etwas Zutrinken sein?« Die Frage der Stewardess lässt mich zusammenzucken. Sie streicht sich eine dunkelbraune Strähne hinters Ohr, die aus ihrer Hochsteckfrisur gefallen ist, und mustert mich mit einem besorgten Ausdruck - jedoch nicht, ohne das aufgesetzte Lächeln auf ihren Lippen zu verlieren. Wortlos nicke ich ihr zu, während ich mit meiner panischen Schnappatmung kämpfe und hoffe, dass ich nicht allzu schrecklich aussehe. Als die Stewardess mir ein Wasser reicht und ich es entgegennehmen will, zittert meine Hand so sehr, dass ein paar Wassertropfen über den Rand des Glases schwappen und sich als dunkle Flecken über meine Hose ergießen. Ich bedanke mich leise, was sie mit einem weiteren, falschen Lächeln quittiert. Ich nehme einen vorsichtigen Schluck. Das Wasser ist kühl und angenehm. Eine Wohltat für meinen trockenen Hals.

Seufzend sehe ich aus dem Fenster. Durch einen weißlichen Wolkenschleier kann ich erkennen, dass das endlose blaue Meer von einer Landschaft abgelöst wurde. Es wird bestimmt nicht mehr all zulange dauern, bis wir da sind.

Ich sehe mich um. Mein Sitznachbar scheint von meinem Albtraum nichts mitbekommen zu haben, denn er schläft tief und fest unter seiner abgenutzten Cap. Ein leises Schnarchen dringt aus seinem leicht geöffnetem Mund. Erleichterung macht sich in mir breit, da ich, allem Anschein nach, nicht das ganze Flugzeug zusammengeschrien habe, wie ich es Zuhause üblicherweise tue. Da wäre Luna sicher angerannt gekommen und hätte mich wachgerüttelt. Denn ich habe oft Albträume in letzter Zeit.

Ich erinnere mich, dass ich sie seit dem Tage habe, an dem ich mich dazu entschlossen hatte Au-pair Mädchen zu werden. An dem Tag, wo ich euphorisch meine Bestätigung - sowohl für die Universität, als auch die der Familie, bei der ich wohnen werde, in Händen hielt. Sicher liegt das an meiner Aufregung.

Aus meiner Tasche ziehe ich das Foto meiner neuen Unterkunft. Es ist ein großes, weiß verputztes Herrenhaus mit dunkelblauem Dach, das sich inmitten eines riesigen Parkareals erhebt. Ebenso einem Irrgarten, welcher hinter dem Haus hervorlugt. Eine edle Marmortreppe führt zur Eingangstür hinauf. Der weiße Brunnen, der auf dem Hof thront, ist majestätisch. Ich schwelge in traumhaft schönen und luxuriösen Vorstellungen.

Forever - Die UnsterblichenWhere stories live. Discover now