Leseprobe

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Das Wasser lief die aalglatten Wände so langsam hinab, als würde es versuchen, der Schwerkraft zu entkommen.

Dunkel. Vermodert. Tödlich. Der Kerker der Institution war ein grausamer Ort. Wer hierhergebracht wurde, sah mit hoher Wahrscheinlichkeit nie wieder das Tageslicht.

Die niedrige Decke gab einem das Gefühl, dass sie jede Sekunde einen Zentimeter weiter nach unten rutschte. In der Mitte des kreisrunden Raumes stand ein hochgewachsener Mann. Er wirkte noch größer durch die mit dunklem Eisen überzogene Decke, die er beinahe mit seinen schwarzen, akribisch kurz geschorenen Haaren berührte. Er hatte die Arme verschränkt und bewegte sich keinen Millimeter. Wenn er nicht ab und zu blinzeln würde, könnte man ihn auch für eine Statue halten.

Die Wassertropfen an den eisernen Wänden erzitterten, als die schwere Tür aufgeschmissen wurde und gegen die Wand krachte. Die farblosen, dunkelgrauen Augen des Präsidenten der Lichtkrieger verengten sich unmerklich, als er dabei zusah, wie zwei Krieger, eskortiert von zwei weiteren, den klobigen Eisenstuhl auf Rollen hereinschoben, auf dem jemand gefesselt worden war. Der Körper auf dem Stuhl war in sich zusammengesunken und der Kopf nach vorne gefallen. Lebte die Person überhaupt noch? Oder war sie tot?

Die Krieger stellten wortlos den Stuhl direkt vor dem Präsidenten ab und nahmen ihre Posten neben der Tür ein. Dort verschmolzen sie in ihrer schwarzen Kleidung beinahe mit der dunklen Wand.

Der ungewöhnlich blasse Präsident mit den südamerikanischen Wurzeln musterte die Gefangene einen Moment. Sein Blick wanderte über ihre weißblonden Haare, ihre schwarze Haut und ihre zerrissenen Klamotten.

„Sag mir, wo sie ist."

Es dauerte eine Sekunde, bis die Frau überhaupt reagierte.

Sie lebte also noch. Gerade noch.

Sie wirkte, als hätte man sie unter Drogen gesetzt. In Zeitlupe drehte sie ihren hängenden Kopf ein paar Zentimeter, als sie die kalte Stimme des Präsidenten wahrnahm. In einem verkrümmten Winkel war ihr Körper auf dem breiten Stuhl befestigt worden, und sie hatte merklich keine Kraft mehr, sich noch aufzurichten. Schwerfällig, als würde er eine Tonne wiegen, hob sie den Kopf. Ihre Augenlider flatterten.

Sie war übel zugerichtet worden. Blut sickerte aus einer aufgeplatzten Wunde an ihrer Stirn, blutige Striemen durchzogen ihre Wangen und ihre Klamotten waren schmutzig und zerfetzt, als hätte man sie schon mehrfach misshandelt und gefoltert.

Im nächsten Moment griff der Präsident nach ihrem Kinn und drückte ihren Kopf grob nach oben. Der eiserne Ring, den er am Mittelfinger trug, brannte sich in die Haut der Hexe.

Plötzlich schoss das Leben zurück in ihren Körper. Sie schrie wie am Spieß. Als hätte ein elektrischer Schlag sie durchzuckt, bäumte ihr Körper sich auf, kam jedoch nicht gegen den harten Griff des Mannes an. Ihr Rücken bog sich unnatürlich durch und ihre Füße kämpften gegen die breiten Fesseln an.

Ohne mit der Wimper zu zucken, starrte der Präsident sie an, während sie sich die Seele aus dem Leib schrie, dann ließ er ihr Gesicht los. Sie verstummte schluchzend und kippte dabei vorne über, da die Wunde in ihrer Wange immer noch brannte. Wären ihre Arme nicht von den Fingerspitzen bis zu ihren Ellbogen an den Armlehnen befestigt, wäre sie kraftlos von dem eisernen Stuhl vor seine Füße gefallen.

„Sag mir, wo sie ist."

Schwankend kippte die Hexe ihren Körper zurück und ließ den Kopf nach vorne sinken, während ihr Rücken gegen die Stuhllehne gedrückt war. Ein riesiges verbranntes, immer noch kokelndes Loch war auf ihrem linken Kiefer unterhalb ihres Mundwinkels entstanden. Die Unterlippe der Hexe zitterte und die spärliche Deckenbeleuchtung flackerte. Sie antwortete nicht.

Er schlug ihr mit der Faust ins Gesicht.

Das Blut tropfte aus ihrer aufgeplatzten Lippe.

Der harte Gesichtsausdruck des Präsidenten der Lichtkrieger änderte sich minimal. Es war Ärger auf seiner Miene zu erkennen. Ärger, der sich jetzt zu einem unbändigen Zorn entwickelte, als die Hexe weiterhin kein Wort von sich gab, selbst nachdem er nochmals nach ihrem Kinn gegriffen und ihr den Ring ins Fleisch gedrückt hatte. Sie starrte ihn an und gab keinen Mucks von sich, auch wenn das Feuer in ihren Augen brannte.

Tränen liefen aus ihren großen Augen, mit denen sie jetzt jeder Bewegung des Präsidenten der Lichtkrieger folgte. Er ging ein paar Schritte auf und ab, drehte den Ring an seinem Finger, dann schlich er sich wieder an sie heran wie eine Raubkatze auf der Pirsch.

Als würde er ein nettes Gespräch über das Wetter mit ihr führen und sich dabei über den verregneten Sommer in New York City auslassen, seufzte er leise und ließ die Hände in die Taschen seiner schwarzen Anzughose sinken.

„Sag mir, wo sie ich sie finden kann."

Als er diesen Befehl aussprach, war seine Stimme nicht mehr als ein Flüstern, aber seine Worte hallten von den eisernen Wänden wider, als hätte er sie angeschrien.

Die Hexe zuckte diesmal zusammen und ein Wimmern entschlüpfte ihren blutenden Lippen. Sie hatte keine Kraft mehr, sich aufzurichten. Nicht einmal richtig denken konnte sie noch. Das Eisen an ihren Armen, ihrem Rücken, überall, hatte sie schon zu sehr geschwächt.

Doch wenn sie eins wusste, dann ...

„Nein."




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