Leseprobe

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„Jetzt schau nicht so!"

Julien hatte das Kinn in die Handfläche gestützt und sich mit seinen Gedanken forttragen lassen, doch nun sah er überrascht auf und begegnete dem genervten Blick der dunkelbraunen Augen auf der anderen Seite der Bar.

„Wie schaue ich denn?", erkundigte er sich gespielt verwundert, dabei wusste er genau, was Frankie meinte. Er hatte einfach kein Pokerface, immer konnte man ihm seine Emotionen vom Gesicht ablesen, als hätte er sie mit einem Edding auf seine Stirn geschrieben. Und diesmal war ihm wohl anzusehen, dass er am liebsten das Weite suchen und die Stadt, ach was, den Planeten verlassen würde.

„Als würdest du all die Last der Welt auf deinen Schultern tragen", erklärte Frankie ihm und stellte ein Glas mit einer klaren, beunruhigend grünen Flüssigkeit, die von innen heraus zu leuchten schien, vor ihm ab.

Misstrauisch beäugte Julien das Glas. Einzelne Partikel, deren Konsistenz er nicht nennen konnte, wanderten das Glas hinauf und hinab, und ab und zu blubberte die Flüssigkeit. Ein wenig angeekelt lehnte er sich weg von dem Glas, das eindeutig einen Zaubertrank beinhaltete.

„Schau nicht so!", wiederholte Frankie ihren Satz und verdrehte die schwarz geschminkten Augen. Dann warf sie ihre langen, knallrot gefärbten Haare – oder zumindest das, was nach der Rasur des linken Drittels ihres Kopfes noch davon übrig war – kokett über die Schulter. Mit dem Geschirrtuch, mit dem sie gerade ein paar Gläser poliert hatte, deutete sie über den schwarzen Tresen hinweg diabolisch grinsend auf ihren besten Freund.

„Pass auf, sonst rufe ich Veronica an und sage ihr, dass du hier bist und ein wenig Aufmunterung vertragen könntest."

„Machst du eh nicht", brummte Julien und rührte mit dem metallenen Strohhalm in dem grünen Drink herum.

„Ist das eine Herausforderung?", hakte Frankie mit einer hochgezogenen Augenbraue, die übrigens auch hellrot gefärbt war, nach. Ihre dunkelrot geschminkten Lippen hatte sie zu einem bedeutungsschwangeren Grinsen verzogen.

„Nein, nein, nein!", gab Julien schnell zurück. Frankie war die geborene Draufgängerin. Sagte man ihr, sie solle etwas nicht tun, tat sie es erst recht.

Sie hatte schon ihr Handy aus der hinteren Hosentasche ihrer engen schwarzen Jeans gezogen, was wahre Panik in Julien auslöste. Für eine Sekunde starrte er sie an, dann schüttelte er leicht den Kopf.

„Franćesca, ich warne dich", seufzte er und stützte das Kinn wieder in die Handfläche, ohne dem mysteriösen Zaubertrank weiter Aufmerksamkeit zu schenken.

Das fehlte ihm gerade noch, dass Veronica hier auftauchte. Er war froh, endlich mal seine Ruhe vor ihr und ihrem ständigen Geschnatter zu haben. Sie war nett, das wollte er ihr gar nicht unterstellen, aber absolut anstrengend. Und am allermeisten war sie hartnäckig. Jetzt war er seit drei Jahren aus der High School draußen, und trotzdem ließ Veronica, mit der er dort (ungewollt) beinahe jeden Kurs gemeinsam besucht hatte, ihn nicht in Ruhe. Sie arbeitete inzwischen in einer Social Media-Agentur und lebte in einer Wohnung in Brooklyn mit ihrer besten Freundin Heidi, ebenfalls eine ehemalige High School-Mitschülerin, und trotzdem war ihr der Weg niemals zu weit nach Manhattan, um Julien ständig wieder aufzulauern – zu Frankies Belustigung, versteht sich. Mindestens einmal pro Woche tauchte sie hier in Frankies Bar oder bei Julien in der Bibliothek, wo er arbeitete, auf. Dass Julien ihr vor lauter Verzweiflung irgendwann unverblümt klargemacht hatte, dass er nicht an ihr interessiert war, juckte sie nicht die Bohne. Inzwischen war Julien mit seinem Latein am Ende und hatte resigniert eingesehen, dass er seine ehemalige Mitschülerin wohl niemals loswerden würde. Frankie hatte schon spaßeshalber vorgeschlagen, er sollte die Situation einfach so lösen, indem er sie – Frankie – heiratete und damit hatte sich der Fall. Doch Julien war sich ziemlich sicher, dass auch das Veronica nicht von ihm abbringen würde. Schließlich hatte seine Beziehung mit Ashlyn sie auch nicht erschüttert, und außerdem wusste Veronica, dass Frankie auf Frauen stand, da ihre besagte beste Freundin Heidi Frankies Exfreundin aus High School-Zeiten war. Es war also eine absolut aussichtslose Situation für ihn.

„Ach, wenn du dich nicht mal richtig aufregst, dass ich ihr schreiben und sie hierherlocken könnte, macht das ja gar keinen Spaß", stellte Frankie schmollend fest und widmete sich den beiden Typen, die gerade hereingekommen waren und nun ungeduldig am anderen Ende der Bar standen, um zu bestellen.

Gedankenverloren ließ Julien den Blick durch die Bar wandern. Sie war geräumig, das konnte man nicht über viele Bars im Süden Manhattans sagen. Zumindest nicht über die, die einigermaßen bezahlbare Getränke hatten. Frankie hatte den Job hier vor ein paar Monaten ergattert, kurz nachdem sie 21 geworden war. Nichts hatte sie lieber hinter sich gelassen als ihren vorherigen Job in der heruntergekommenen Bowlingbahn in Queens. Hier war sie richtig aufgehoben, Frankie, die Verrückte, die immer aus der Masse herausstach und zu Recht verdammt stolz darauf war.

„Was ist das?", fragte Julien sie nun doch endlich und hob den Strohhalm aus dem grünen Getränk, als die beiden Typen ihr Bier an ihrem Stehtisch neben der kleinen Bühne, auf der ab und an verschiedene Underground-Künstler spielten, empfangen hatten.

Frankie blieb neben ihm stehen und raunte ihm ins Ohr: „Keine Ahnung ehrlich gesagt, da musst du Pippa fragen."

Dann schwang sie sich schwungvoll und grazil um das Ende des Tresens herum und grinste Julien ein wenig teuflisch an. Doch der war nicht annähernd so begeistert wie sie.

„Ernsthaft, Frankie?" Er schob den grünen Zaubertrank erneut von sich. „Ich werde das sicher nicht probieren."

Nachdem Frankie ihren Namen erwähnt hatte, sah er sich verstohlen in der schummrigen Dunkelheit um. Die Hexe war hier? Er hatte sie unter all den Gästen in der Bar bisher noch nicht ausfindig machen können. Wenn er ehrlich war, hatte er aber auch nicht zu viel Energie darauf verschwendet, seine Umgebung nach bekannten Gesichtern abzuchecken, er war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt gewesen.



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Die Legende der Goldenen Schwestern [LESEPROBE]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt