Sieben: Die Nacht der fallenden Sterne

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"WAS DANN?", ich musste inzwischen selbst im nächsten Dorf zu hören sein, doch dieser Mann machte mich wahnsinnig. Wie konnte man nur so dermaßen unverschämt sein und sich dann nicht einmal erklären können? Ich war Ablehnung gewohnt, doch eine Erklärung hatte ich bisher immer einfordern können. Auf die eine oder andere Weise.

Schnell stand ich auf und machte ein paar Schritte auf Chion zu. Dieser wich augenblicklich zurück, bis er mit dem Rücken gegen einen Baum stieß. Triumphierend blickte ich ihn an. Dann riss ich meinen zerfetzten Handschuh herunter und griff nach seinem Arm. Als meine blutige Hand nackte Haut berührte, erstarrte Chion. Doch nichts passierte. Bis auf ein angenehmes Kribbeln, dass langsam meinen Arm hinaufwanderte, verspürte ich absolut gar nichts. Hastig ließ ich ihn los und brachte wieder etwas Abstand zwischen uns. Chions Blick klebte immer noch an mir, in seinen Augen spiegelte sich Entsetzen und etwas, das ich nicht ganz deuten konnte. Erst jetzt wurde mir bewusst, welche Grenze ich gerade überschritten hatte.

"Es.. es tut mir Leid.", murmelte ich. Innerlich wand ich mich vor Scham. Egal, welche Gefühle ein Mensch bei mir auslöste, ich hätte nicht so die Fassung verlieren dürfen. Ohne Chion anzusehen, deutete ich zum Schloss.

"Wollen wir?"

Anstatt einer Antwort nickte der junge Mann bloß. Eilig zog ich die wesentlich kürzeren Handschuhe Chions über meine ramponierten Handflächen; dann machten wir uns auf den Weg zum Ball.







KÖNIGREICH NOVARIS, BALLSAAL DES SCHLOSSES

NEVA

Es war erstaunlich leicht gewesen, die Wachen am Tor davon zu überzeugen, uns hineinzulassen. Chion hatte sich als verarmter Graf einer kleinen Burg ausgegeben und mich als seine Ehefrau. So hatten wir schon bald den Ballsaal betreten, der seinem Namen alle Ehre machte. Die Leute in diesem Land nannten diesen Abend auch die Nacht der tanzenden Sterne, einen Begriff, den ich schon immer geliebt hatte. Tatsächlich war ich bereits einige Male in Novaris gewesen; die Aufgabe heute sollte sich demnach als nicht sehr schwierig gestalten.

Staunend sah Chion sich um. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Bei meinem ersten Mal hier war es mir ebenso ergangen. Der Saal aus elfenbeinfarbenen Marmor war von unzähligen Kerzenleuchtern und magischen Lichtkugeln geschmückt, die in unregelmäßigen Abständen von der Decke hingen. Die hellen Vorhänge der deckenhohen Fenster hatte man in kunstvollen Bahnen an den Seiten gerafft, sodass sich die zahlreichen Gäste in dem polierten Glas spiegelten. Später am Abend würde man alle Lichter löschen und die Terrassentüren öffnen, sodass die Anwesenden das Schauspiel am Himmel bestaunen könnten. Einmal im Jahr gab es in Novaris eine Nacht, in der es Sterne regnete. Eine meiner Vorgängerinnen hatte es in ihrer Niederschrift als Sternschnuppen bezeichnet-mir gefiel der Name. Die Königsfamilie hatte diesen Ball genau wegen dieses Ereignisses auf den heutigen Tag gelegt- dadurch stellten sie sicher, dass auch eine jede Geladene potenzielle Braut des Prinzen um jeden Preis erscheinen wollte. Wenn schon nicht für den künftigen König, dann zumindest für das Naturspektakel.

In meine Gedanken versunken hatte ich nicht bemerkt, dass Chion inzwischen nicht mehr an meiner Seite war. Suchend sah ich mich um. Man konnte diesen Mann wirklich keine Sekunde aus den Augen lassen. Bei seinem Glück hatte er sich bereits heillos im Schloss verirrt und ich durfte die ganze Sache nun alleine bewerkstelligen. Meine Augen blieben an einer großen Traube junger Damen hängen, die sich um eine Person versammelt hatten. Das musste der Prinz sein. Wer sonst sollte so viel Aufmerksamkeit bekommen?

Neugierig bahnte ich mir einen Weg durch die Menge. Wie alle anderen Nachfahren ohne charakteristische Merkmale, die das Weltenbuch ihm zugeschrieben hatte, sah auch der Prinz in jeder Generation etwas anders aus. Um die Geschichte also wieder in Ordnung zu bringen, sollte ich ihn zumindest erkennen können.

The Fairytale Of A WitchWhere stories live. Discover now