Ein Schluchzen entweicht meinen Lippen, das ich sofort zu unterdrücken versuche. Irgendwann musste es aufhören. Irgendwann musste der Schmerz in meinem Herzen doch aufhören.

Eines Tages musste ich aufhören ihn zu vermissen. Eines Tages, aber nicht heute, weil ich Jay immer noch vermisse. Mit jedem einzelnen gebrochenen Schlag meines Herzens. Vor allem nachts, wenn alles ruhig war und die Stille mich daran erinnerte, dass ich nicht neben ihm schlief.

Ich schließe meine Augen und drifte in Gedanken an ihn ab. Zu seinem dunklen, zerzausten Haar, seinen fast messerscharfen Wangenknochen und seinen vollen Lippen, die einen Geschmack hinterließen, den mein Herz nicht vergessen konnte. Den mein Herz immer noch nicht vergessen kann.

Er war der Traum, den ich nicht loslassen konnte, so sehr ich auch wollte. Er verfolgte mich am Tag und fast jede Nacht in meinen Träumen, ließ mich weinend aufwachen und mich selbst berühren, weil mein Körper sich nach seiner Wärme und der Berührung seiner starken Hände auf meiner Haut sehnte. Fast so, als würde ein Heroinsüchtiger nach dem nächsten Schuss lechzen.

Eine tiefe Sehnsucht schlingt ihre Faust um mein Herz und drückt es zusammen. Schmerzhaft langsam, bis ich sicher bin, dass mein Herz hier und jetzt in Fetzen zerspringen würde. Mir war nicht klar, wie einsam ich die ganze Zeit ohne ihn gelebt hatte.

Eine einzelne Träne läuft über mein Gesicht. Ich wische sie mit dem Handrücken weg, im selben Moment klingelt mein Handy. Ein zittriger Atem entweicht meinen Lippen, als ich einen Blick auf das Display werfe. Ich habe seine Anrufe in den letzten zwei Wochen gemieden, weil es einfach zu viel war. Er erinnerte mich zu sehr an ihn. Ich atme tief durch bis ich endlich den Anruf mit zittriger Hand entgegennehme.

„Rocket?", seine Stimme klingt unheimlich sanft am anderen Ende des Hörers. Augenblicklich entweicht ein Schluchzen meinen Lippen, als ich seine vertraute, warme Stimme höre.

„Was ist los?", fragt er sofort alarmiert, als er nun mein Schluchzen registriert. „Ist mein Bruder...?", seine Stimme bricht am anderen Ende des Telefons und ich höre, wie sich sein Atem leicht beschleunigt.

Ich beiße mir auf die Lippe und versuche, mein Schluchzen zu unterdrücken. „Oh mein Gott, Blakey, nein!", keuche ich aus und schüttele dabei mit meinem Kopf, obwohl er mich am anderen Ende nicht sehen kann.

„J...deinem Bruder geht es gut.", ich schlucke, bevor ich weiterspreche. „ Es wird ihm gutgehen.", füge ich schließlich besänftigend zu meiner Antwort hinzu. Besänftigung für ihn und für mich. Besänftigung, dass es seinem Bruder gut gehen würde, obwohl er nicht mehr an meiner Seite war. Es musste ihm gutgehen.

„Was meinst du mit, es wird ihm gutgehen, Rocket? Was ist passiert?", Blakes ängstlich klingende Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.

Ich muss hart schlucken, als ich die Angst in Blakes Stimme höre. Bilder der Schießerei blitzen vor meinen inneren Augen auf. Sie zucken durch meinen gefühllosen Verstand wie Blitze, die durch die dunkle Nacht schießen und durchschütteln jeden Knochen meines Körpers.

„Dein Bruder wurde angeschossen.", bringe ich schließlich mit rauer, kratziger Stimme hervor, in der Hoffnung, dass meine Worte niemand im Bus hören würde.

Es folgt Schweigen am anderen Ende des Hörers. Mein Handy zittert in meiner Hand, als ich nun meine Augen schließe. Alles, was ich sehe, ist Jays blutverschmierter Körper vor meinen Augen. Seinen gefallenen, blutüberströmten Körper, gefolgt von seinem zusammengeflickten Körper im Krankenhauszimmer.

Ich kann nicht mit dir zusammen sein, wenn ich nicht frei bin. Seine tiefe, erdige Stimme hallt in meinem Kopf wider, als wäre er hier. Hier neben mir, mich in seinen Armen haltend, während seine Lippen sanft über meine Haut strichen. Er würde mich einfach nur halten, ohne etwas zu sagen, denn wir brauchten nicht viele Worte. Unsere Liebe brauchte keine Worte, um sie auszudrücken, denn wir verstanden uns allein durch die Art, wie wir uns berührten. Die Art, wie er mein Gesicht mit seinen Händen umrahmte und ich mich an ihn lehnte. Wie seine Fingerknöchel meine Wange streiften und mein Atem stockte, als ich in seine eisblauen Augen sah. All die Momente, in denen er über mir schwebte. Schwitzende Körper, die sich verhedderten, Lippen, die aufeinanderprallten. Seelen die sich verbanden. Tiefe, zufriedene Stöhnen, die unseren Lippen entrangen und sich wie ein Wiegenlied der Lust und Leidenschaft in die Seelen des anderen einritzten. Immer und immer wieder.

The one who splits my soulWhere stories live. Discover now