Uneinigkeiten

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Ich hatte gerade das Ortschild hinter mir gelassen, als mir der Bildschirm meines Autodisplays einen eingehenden Anruf anzeigte. Für einen kurzen Moment traute ich meinen eigenen Augen nicht. Jake rief mich an. Was sollte ich tun? Rangehen? Er würde nur versuchen, es mir auszureden. Andererseits wollte ich unbedingt mit ihm sprechen. Auch wenn es wieder nur dieselbe verzerrte Stimme sein würde, wie bei den letzten Malen, als er mit mir gesprochen hatte. Es könnte schließlich die letzte Gelegenheit sein, wenn ich bei der Hütte wirklich auf den Mann ohne Gesicht traf. Ich nahm den Anruf entgegen und stellte auf Lautsprecher.

"Hi Jake.."

"Tasha, bitte fahr nicht dorthin. Genau damit wird er rechnen und dort auf dich warten. Es ist zu gefährlich"

Schlagartig bekam ich Gänsehaut am ganzen Körper und eine unerwartete Hitze durchfuhr mich. Es war tatsächlich Jake. Ohne Stimmverzerrer. Einfach nur Jake. Ich hatte mit allem gerechnet, aber damit ganz sicher nicht, weswegen ich auch nicht genau wusste, wie ich darauf reagieren sollte..

"Es gibt keine andere Möglichkeit mehr, Jake. Was, wenn sie schon längst tot sind? Dann ist es meine Schuld, weil ich sie alleine gelassen habe."

"Sag das nicht. Du hast getan was du konntest. Wenn sie wirklich nicht mehr am Leben wären, hätte er es dich bereits wissen lassen. Da bin ich mir sicher."

Ich konnte mich kaum auf meine eigenen Gedanken konzentrieren. Seine wahre Stimme zu hören..dass er mir anscheinend so sehr vertraute, dass er ein solch privates Detail über sich mit mir teilte. Und das, obwohl ich mein Versprechen ihm gegenüber brach. Es war so schön zu wissen, wie er sich in Wirklichkeit anhörte. Wir hatten zuvor noch nie auf diese Art miteinander gesprochen..

"Bitte Jake, du musst mich das tun lassen. Ich muss zu dieser Hütte und herausfinden was passiert ist.. Das bin ich ihnen schuldig. Sie würden dasselbe für mich tun."

"Und wenn er dort auf dich wartet? Was wenn er dich tötet?"

Da musste ich tatsächlich erst einmal schlucken. Natürlich lag es im Bereich des Möglichen, aber daran wollte ich einfach nicht denken.

"Dann wirst du ohne mich Hannah finden müssen. Ich weiß, ich bin wahrscheinlich nicht mehr in der Position, dich um etwas zu bitten, aber sollte es soweit kommen Jake.. dann versprich mir, dass du nichts Dummes tust. Du darf dich nicht selbst in Gefahr bringen. Alles was du tust, könnte deine Verfolger zu dir führen. Bitte, lass dich nicht schnappen. Es ist mir egal, was ich tun muss, um ihn zu stoppen. Aber ich muss wissen, dass du in Sicherheit bist."

Tränen stiegen mir in die Augen. Wie gern ich ihn jetzt gerade hier bei mir hätte.. Ich hatte mir schon so oft vorgestellt, wie es wäre, wenn wir uns jemals treffen würden.. Wie kann man jemanden vermissen, dem man noch nie begegnet ist?

"Das sieht dir ähnlich. Du bist in Gefahr, aber machst dir stattdessen Sorgen um mich. Bitte dreh um Tasha. Wir finden eine andere Lösung."

Jetzt klang er verzweifelt, schon beinahe flehend. Solch ein Verhalten war ich von Jake nicht gewöhnt.

"Jake, es tu.."

Ich wollte ihm gerade sagen, dass es mir leid tat und dass alles gut werden würde, dass ich mich bei ihm melden würde, sobald ich konnte, aber mitten im Satz brach die Verbindung ab. Wegen unseres Gespräches war mir gar nicht aufgefallen, dass ich bereits eine ganze Weile durch den Wald gefahren war. Ein Blick auf das Navi verriet mir, dass es noch ungefähr zehn Minuten bis zur Ankunft an dem Haus dauern würde. Es war mittlerweile stockdunkel draußen. Die Uhr im Armaturenbrett zeigte bereits 22:18 Uhr an. Im Dunkeln, alleine im Wald mit einem Verrückten, der möglicherweise auf mich wartete.. Wo war ich hier nur hereingeraten?

A Duskwood Story Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt