Vor Schmerzen kann man nicht fliehen

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Hope, Hope, nun wach doch endlich mal auf.

Wie als wäre dieses Kreischen ein Teil meines Traumes, hallte es in meinem Kopf wieder. Nur anders, als in Träumen hallte dieses auch in meinen Ohren. Die Realität also. Meine Schwester Grace, wer denn sonst. Blitzschnell weiteten sich meine Augen, wie als wartete ich auf etwas überraschendes, war vielleicht doch alles nur ein Traum? Dieser Gedanke schwirrte in meinem Kopf herum, bis ich mich in meinen leeren vier Wänden umsah. Ebenfalls Realität, verdammt! Ich richtete mich auf und sah meine Schwester an, sie hatte sich eben abgesetzt auf meinem Bett und war dabei ihre Beine auf dieses zu werfen. Eine unangenehme Stille füllte den Raum, keiner getraute sich den Mund zu öffnen und auch nur ein Wort hinaus zu kriegen. Nicht zu unserer Überraschung, vor Schmerzen kann man nun mal nicht fliehen, je nach Lust und Laune. Nicht jetzt, nicht morgen, nicht in Jahren werden wir das können.

Den Sinn hinter diesem Umzug hatte ich derzeit noch nicht verstanden, so wie wir gehen, so gehen auch alle unsere Erinnerungen mit uns und sie werden uns begleiten bis in unser Grab.

,,Denkst Du, Mom wacht von oben auf uns? Oder denkst Du sie verkraftet das nicht? Hope, ich vermisse sie.'', Grace's Stimme wagte zu zittern und war energielos, sie war schon fast am Flüstern. Ihre Augen ähnelten einem funkelnden grünen Smaragd, den man eben aus dem Wasser zog. Eine Träne lief ihren geröteten Wangen entlang. Ich weitete meine Arme und schloss sie in eine Umarmung. Das war das erste Mal, dass wir bezüglich unserer Mutter zu Wort kamen. ,,Natürlich wacht unsere Mutter von oben auf uns'', meine Stimme, ganz gleich wie die von Grace, hatte keinerlei Energie und Kraft in ihr, ,,Wir waren ihre zwei kleinen Töchter und wohlmöglich die wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Sie lebt in uns beiden weiter, Grace, und natürlich vermisse ich sie auch. Sie war die tollste Frau, die ich hätte kennenlernen können in meinem Leben.'' Ich löste mich aus der Umarmung und blickte ihr in die Augen. Ich las aus ihnen heraus, dass ihr das ganz genau so schwer fiel, wie mir.

Eingehende Stille füllte diesen Raum nun wieder, aber anders als die vorherige, war diese nicht unangenehm.

,,Was war der Grund, weshalb du mich aus meinem Schlaf gerissen hast? Du hast mir einen Schrecken eingejagt!'', sagte ich in der Versuchung etwas gute Stimmung hinein zu bekommen.

Ein Schmunzeln formte sich auf ihren neutral geschminkten Lippen, die sie sonst nie geschminkt hatte.

Ganz plötzlich, wie als hätte sie es gerade aussprechen wollen, habe ich nun endlich bemerkt, was wir für heute geplant hatten. Wir wollten die Stadt besichtigen, von der ich mittlerweile immer noch den Namen nicht weiß.

Hastig sprang ich auf, rannte in mein Ankleidezimmer und suchte mir schleunigst etwas zum anziehen. Laut der Wettervorhersage, sollte es heute den ganzen Tag tierisch warm sein. Ich denke eine beige Stoff Shorts in Kombination mit einem weißen spitzen Top würde sich diesem Wetter perfekt anpassen. Ich suchte mir noch eine passende Jacke heraus.

Nach einer ewig langen Suche nach einer Jacke fand ich endlich eine. Anschließend machte ich mich mit der Kleidung in meiner Hand auf den Weg in mein Badezimmer, um mich zu duschen. An meinem Bett vorbei, blickte ich Grace, die sich kein Stück bewegt hatte ins Gesicht und formte ein lächeln mit meinen Lippen. Ich schaltete Musik an und schloss die Türe ab. Meine Kleidung ließ ich vor der Dusche auf den Fußboden fallen und stellte die Dusche an.

Nach nicht mal zehn Minuten stellte ich das Wasser ab, griff nach einem Handtuch und wickelte dieses um mich herum. danach putzte ich meine Zähne und cremte mein Gesicht und mein Dekolletee ein. Ich griff nach meiner Kleidung und begann mich anzuziehen, die Jacke band ich mir erstmals nur um die Schultern. Später würde ich diese dann anziehen können und einen lästigen Platz hätte diese dann zudem auch nicht.

Im Nachhinein begab ich mich an meinen Schminktisch, zog die Schublade auf und nahm meinen Kamm, so wie ein Pflegeöl hinaus. Ich entnahm meine Haare aus dem Handtuch und bürstete diese sorgfältig aus. Ich hatte die Augen von Grace in meinem Rücken. Ich sah im Spiegel, wie sie jede Bewegung die ich wagte zu machen musterte. Sie hatte es sich in dieser Zeit scheinbar sehr gemütlich gemacht auf meinem Bett. Ich ließ meine lockigen Haare von der Luft trocknen.

Schließlich begann ich mich wettergemäß zu schminken, Grace hatte mir erzählt, dass die Wärme hier unerträglich sei. Ganz nach dem, wie sie sich fertig gemacht hatte, könnte man meinen sie wollte in eine Bar gehen und Männer aufreißen. Wie dem auch sei, ich strich mir etwas Concealer unter die Augen und verblendete das. Meine Augenbrauen kämmte ich an ihren Platz und meine Wimpern tuschte ich ganz leicht. Meine Lippen umrandete ich mit einem neutralen Ton und trug anschließend etwas Gloss auf diese auf.

Meine Sommersprossen gaben meinem Gesicht schon genug Farbe, sodass ich nichts anderes gebrauchen könnte.

Ich versorgte alles an seinem dafür vorgesehenen Platz, stand auf und schob meinen Stuhl an den Tisch. Mein Blick wanderte zu meiner Schwester, die völlig vertieft in ihr Handy war und wie wild darauf herumklickte. Wohlmöglich schreibt sie wieder mit einem ihrer vielen Verehrer. Die Männer waren scharf auf meine große Schwester. Sie verdrehte ihnen scheinbar total die Köpfe. Ich warf mich auf das Bett neben sie und versuchte auf ihr Handy zu blicken, nur leider hatte meine Schwester eine so gute Reaktionszeit, sodass das nicht möglich war, denn sie schaltete es direkt aus. ,,Ach Grace, ich bin doch deine kleine Schwester, weißt du noch damals, wir hatten uns versprochen wir würden uns nichts verheimlichen.''

Unsere Namen hallten durch das Haus, unser Vater rief uns. Die Rettung von Grace!

Wir schnappten unsere Taschen und liefen zeitgleich die Treppen hinunter.

Überall standen noch Kartons herum, wir kamen noch nicht dazu sie auszuräumen und so wirklich wollte dies keiner von uns tun. Die letzten Tage verbrachten wir alle noch in unseren Zimmern und eingeräumt sowie dekoriert hatten wir nur das Wichtigste. Wir waren zwar sehr zufrieden mit dem Haus, allerdings fehlte jede Menge hier; Ihr Gesang, ihre Freude, ihre Stimme, ihr Leuchten, Sie. Sie war das, was hier in diesem riesigen Haus fehlte.

Überall hingen Bilder von unserer Familie, wohlmöglich war dieses Haus für Auszeiten, Ferien, Urlaub, oder wie in unserem Fall für einen Umzug gemeint. Ein Bild ganz alleine hing an der Wand am Ende der schmalen Treppe. Ein Bild von meiner Mutter. Ihr Lächeln brachte auch eines in mein Gesicht, sobald ich auf dieses blickte. Nicht lange blieb mein Blick daran haften, ich wollte jegliche Trauer wegstecken, das war ich Grace und meinem Vater schuldig!

Unsere Schuhe sammelten sich zerstreut in dem Eingangsbereich. Ich griff nach meinen Sneaker und schlupfte in diese hinein. Die Schnürsenkel steckte ich seitlich in die Schuhe hinein. Die Schuhe gaben meinem Outfit nochmal eine ganz andere Richtung.

,,So meine zwei wunderschönen Mädchen, habt ihr alles? Sind alle Lichter oben ausgescha..?'', kaum beendete er seinen Satz, rannten wir die Treppen hoch, man könnte meinen wir rannten bei einem Marathon mit.

Wir liefen gemeinsam wieder die Treppenstufen hinunter, traten aus der Haustüre und schritten zu unserem Vater. Eine stickige Welle von Wärme kam uns entgegen und brachte uns zum Dösen. Wir schlossen die Haustüre ab und betrachteten das Haus einmal rundherum. Von Innen war es wesentlich schöner als von Außen, es sah schon total ranzig aus und das Weiß neigte schon an einem hellen Grau. ,,Renovieren, das hat uns gerade noch gefehlt!'', brachte mein Vater hervor, woraufhin wir alle in Gelächter ausbrachen.

Wie, als ich noch ein kleines Kind war, liefen wir gemeinsam die Straßen entlang. Aber nichts war mehr wie früher, so sehr wie wir es auch wollten, nichts war mehr beim Selben.

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⏰ Last updated: Dec 30, 2021 ⏰

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