"Damian!", schreit Toni und lenkt so meine Aufmerksamkeit wieder auf sie. Damian hat bereits sein Auto gestartet und rückwärts ausgeparkt und in dem Moment sehe ich, wie Toni auf das fahrende Auto frontal zuläuft.

"Toni!", rufe ich, während ich schon losgelaufen bin, aber sie reagiert gar nicht und stolpert weiter auf das Auto zu. Alles passiert so schnell, aber irgendwie auch in Zeitlupe. Kurz bevor das Auto sie erfasst, springe ich mit dem Hintern auf die Motorhaube und ziehe sie zu mir hoch. Sie schreit vor Schock laut los und durch meinen Schwung rutschen wir nur einmal quer über die Motorhaube und landen dann auf den Boden. Ihrem Bruder scheint das überhaupt nicht zu jucken, da er einfach weiterfährt, ohne nochmal anzuhalten.

"Was ist er denn für'n Kunde?", rufe ich sauer aus und ziehe Toni zu mir.

"Lass mich los!", schreit sie und befreit sich hysterisch aus meinem Griff, um dann rückwärts von mir wegzukrabbeln. Ich schaue sie nur perplex an und verstehe überhaupt nichts mehr.
"Als ob mich mein eigener Bruder überfahren hätte!", brüllt sie weiter, als sie genügend Abstand zwischen uns gebracht hat.

"Naja umsonst bin ich wohl kaum auf die scheiß Motorhaube gesprungen!", entgegne ich sichtlich bemüht nicht auch lauter zu werden.

"Fuck.", murmelt sie in einer Tour, während sie ihren Körper vor und zurück wippt und ich glaube fast sie hat einen psychischen Schock.

Ich stehe vorsichtig auf und lege ihr sanft meine Hand auf die Schulter, doch da zuckt sie so heftig zusammen, dass ich sie direkt wieder wegziehe. Sie sieht mich wie ein scheues Tier an und murmelt dann etwas, was ich nicht verstehen kann, weshalb ich in die Hocke gehe.

"Nicht anfassen.", sagt sie, genauso wie vorher, immer monoton in einem Rhythmus, ohne jegliche Emotion.
"Ich fass dich nicht an.", sage ich und hebe meine Hände, damit sie diese sehen kann.

"Toni.", sagt hinter mir nun Leo und hockt sich dann schließlich neben mich.
"Rede mit mir.", sagt Leo sanft, aber Toni starrt weiterhin nur ausdruckslos auf den Boden und wippt vor und zurück.

"Toni, er wird dir verzeihen, er ist schließlich dein Bruder.", redet Leo weiter auf sie ein, aber irgendwie scheint es mir, als würde dies alles nur schlimmer machen.

"Ich hab ihn wieder verloren.", sagt Toni und wiederholt dies ebenfalls zig Mal monoton.

"Leo, was sollen wir mit ihr machen? Sie ist geistig überhaupt nicht da.", sage ich verzweifelt und würde Toni am liebsten in meine Arme schließen. Sie so zu sehen und nur daneben zu hocken, ohne etwas tun zu können, zerreißt mir mein Herz.

Ich strecke meine Hand vorsichtig aus, in der Hoffnung es beruhigt sie irgendwie zu wissen, dass ich da bin, doch lasse sie direkt sinken, als von ihr nur ein erstickter Schrei kommt, der mir bis ins Mark geht.

"Kannst du mich sonst kurz mit ihr alleine lassen?", fragt mich Leo, aber bevor ich antworten kann, kommt von Toni nur ein lautes nein.

"Du kannst mich nicht auch verlassen.", sagt sie, während sie anfängt zu zittern und zu weinen und anscheinend ihre Emotionen wiedergefunden hat.

"Ich verlass dich nicht. Ich bleib bei dir.", sage ich in einem besänftigen Ton. Sie dabei nicht zu berühren, verlangt von mir einiges an Beherrschung, aber alles was ich jetzt möchte, ist meine glückliche und unbeschwerte Toni zurück und dafür würde ich mittlerweile über Leichen gehen.

Dann, wie aus den Nichts, erhebt Toni sich hektisch und steuert ziellos in eine Richtung, während sie wieder vor sich her murmelt.
"D. Ich muss zu Damian."

Sie läuft total orientierungslos davon und verschwindet bald zwischen den Bäumen im den Wald hinein. Ich folge ihr und ihre Schritte werden immer schneller, bis sie schließlich förmlich rennt.

"Toni!", rufe ich voller Erwartung, sie würde stehen bleiben, aber stattdessen wird sie noch schneller.

Wie bekomme ich sie bloß wieder in die Realität zurück?

Toni stolpert mal wieder und fällt auf den harten Waldboden. Sie kauert sich dort zusammen und ich bin hin und hergerissen, was ich nun tun soll. Ich ignorier meine Innere Stimme, welche mir immer wieder sagt, dass ich sie nicht wieder verschrecken soll und hebe sie dann einfach auf, obwohl sie mich gebeten hat, sie nicht anzufassen. Dieses Mal lässt sie es aber zum Glück zu und windet sich nicht aus meinen Armen, stattdessen gräbt sie ihren Kopf in meinen Pullover und schreit all ihren Frust gedämpft da hinein. Ihr kleiner Körper zittert heftig an meinem und in mir zieht sich alles zusammen sie so leiden zu sehen.

Ich laufe mit ihr zurück zu dem Sandparkplatz und gehe direkt zu meinem Auto, um sie dann auf den Beifahrersitz zu setzen. Mittlerweile sind kaum noch Autos hier und anscheinend ist die Party sowieso zu Ende. Leo kommt nochmal zu mir und fragt, ob es ihr schon besser geht, worauf ich nur mit den Kopf schüttel.

"Ich bring sie erstmal nach Hause. Ich hoffe sie beruhigt sich dort ein wenig.", sage ich bedrückt.

"Wir fahren auch jetzt. Falls etwas sein sollte, kommst du zu mir.", sagt sie streng und ich steige dann in mein Auto, nachdem ich ihr versichert habe, Bescheid zu sagen, falls etwas ist.

"Elian?", fragt Toni dann neben mir mit zittriger Stimme.
"Ja?"

"Mir ist so kalt.", sagt sie und ich höre ihr Zähnegeklappere bis hierher. Ich ziehe mir daraufhin meinen Pullover aus und lege diesen über ihren kleinen, kalten Körper. Sie schmiegt ihr Gesicht an den warmen Stoff und schließt ihre Augen. Ich starte den Motor und mach die Heizung an, allerdings lasse ich dieses Mal die Sitzheizung aus, nicht das sie wieder das Gefühl hat eingepinkelt zu haben.

"Elian?", fragt sie dann wieder und ich genieße es jedes Mal wenn sie meinen Namen ausspricht. Irgendwie verleiht sie ihn so viel Wärme, dass er sich gar nicht mehr so schlimm anhört.
"Wie bekomme ich die Wärme in mein Inneres zu meinem Herzen?, fragt sie dann traurig und wenn ich nur könnte, würde ich ihr all ihren seelischen Schmerz nehmen.

"Ich weiß n... keine Ahnung.", stottere ich niedergeschlagen.

"Darf ich meine Beine auf deine legen?", fragt sie mich dann und öffnet ihre Augen in dem Moment, wo ich zu ihr rübersehe.

"Ja natürlich.", sage ich und hebe meinen Arm. Sie legt ihre Beine in meinen Schoß und ich umschließe diese mit einem Arm, während ich die andere Hand am Lenkrad habe.

Dann wird es ruhig, während ich das Auto fahre und Toni sich anscheinend immer weiter beruhigt, da ihr Atem ruhiger wird und ihre Muskeln sich entspannen.

Ich frage mich, wie dieser Abend nur so aus den Fugen geraten konnte! Ich denke für mich wird es endlich Zeit etwas grundlegendes zu verändern, um dann endlich nach vorne schauen zu können und vielleicht auch glücklich zu werden.

Denn so kann es nicht mehr weitergehen!

Elian - lies, doubt and other damnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt