Der Spaziergänger

Er geht jeden Tag spazieren. Es soll den Kreislauf stärken, bei Verspannungen helfen, Knochen und Gelenken gut tun. Die Konzentration steigern. Das Immunsystem unterstützen. Das Leben verlängern und sogar gegen Schokoladen-Heißhunger helfen. 

Aber vor allem hilft es ihm, aus seinen vier Wänden herauszukommen. Mehr zu sehen, als nur sein Wohnzimmer, die Küche, das Schlafzimmer, das Badezimmer und den Keller. Und zu sehen gibt es so einiges. 

Jeden Tag verlässt er sein Haus, schaut vorbildlich links - rechts - links und geht über die Straße. Läuft den Fußweg entlang, vorbei an den Reihenhäusern, mit den furchtbar laut kläffenden Zwergpudeln. Vorbei an dem kleinen Holzhaus mit dem genauso kleinen Elektroauto. 

Irgendwann überquert er wieder die Straße, und findet sich plötzlich im Neubaugebiet wieder. Die meisten Häuser sehen sich hier zum Verwechseln ähnlich, schneeweiße Fassade, umweltfreundlich gedämmt, dunkle Ziegel. Vorbildlich angelegte Gärten mit kleinen Spielgeräten. Einige haben sogar eine Swimmingpool. 

Folgt er den engen Straßen des Neubaugebietes, kommt er öfter ins Staunen. Neben den sich so ähnelnden Einfamilienhäusern mit den sich so ähnelnden Autos davor gibt es sogar richtige Villen hier. In modernen Formen, mit viel Glas, natürlich einem Pool und deutlich teureren Autos. 

Wenn er das Baugebiet erst einmal hinter sich gelassen hat, steht er auf einem mit Schlaglöchern übersäten Betonweg, der über die Felder und Wiesen führt, bis hin zu einem Wald. 

Wenn er besonders gut drauf ist, folgt er diesem Betonweg quer durch die Natur. Hier trifft er nur manchmal einen Jogger. Oder Hundebesitzer, die ihre Tiere nicht unter Kontrolle haben. Oder Familien mit quengelnden Kindern, die lieber vor dem Fernseher sitzen als hier herumlaufen wollen. 

Irgendwann dreht er wieder um. Läuft über den Feldweg zurück ins Neubaugebiet, zurück in seine Straße. 

Er sieht viel. Häuser, Gärten, Autos. 

Aber vor allem sind es die Menschen, die ihm zu denken geben.