prologo

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Fliegen war noch nie mein Ding gewesen. Nicht, weil ich Angst vor einem Absturz hatte oder weil ich in diesen engen Sitzen Platzangst bekam, ich hasste es einfach, nicht die Kontrolle über dieses Fortbewegungsmittel zu haben. Ich hasste es insgesamt keine Kontrolle zu haben und deswegen war dieser Flug mit einer der schlimmsten, den ich mir vorstellen konnte. Gleich zwei Kontrollverluste. Zuerst der Flug und dann die Kontrolle über meine Emotionen.

 Das letzte Mal, dass ich geflogen bin, war als ich nach dem Tod meines Vaters zu meiner Großmutter nach Amerika ziehen musste. Dort hatte ich die letzten drei Jahre gelebt. Miami war vom Klima kaum anders als Rom und genauso überfüllt von Touristen, aber in Miami hatte ich mich nie so wohl gefühlt wie in Rom. Und trotzdem verdrehte es bei dem Gedanken ab heute wieder dort zu leben meinen Magen. Meine Familie lebte schon seit Generationen in Rom, deshalb war es auch ein Stück weit meine Pflicht dorthin zurückzukehren. Außerdem wollte ich dort studieren, denn um Literatur und Kunstgeschichte zu studieren, war Rom der perfekte Ort.

Mittlerweile saß ich schon fast neun Stunden in diesem Flugzeug, was bedeutete, dass wir bald landen mussten. Und tatsächlich stand ich keine Stunde später mit meinem Koffer und einem Becher Kaffee vor dem Flughafengebäude. Es war drückend heiß hier in Rom und obwohl ich die Hitze aus Florida gewohnt war, war mir nach dem langen Flug in dem klimatisierten Flugzeug wirklich warm, weshalb ich beschloss, schnell nach Hause zu gehen. Für die nächsten vier Jahre sollte ich wieder bei meiner Nonna wohnen, die in einem kleinen Palazzo in einer Seitenstraße recht zentral in Rom lebte. Und weil ich als Kind recht viel Zeit dort verbracht hatte, war ich knapp 30 Minuten später schon dort und konnte mein Gepäck abstellen.

 Meine Nonna begrüßte mich überschwänglich und erzählte, dass sie Essen gemacht hatte. Natürlich, was auch sonst. Also versprach ich ihr auszupacken, zu duschen, mich umzuziehen und dann mit ihr zu essen. Und genau das tat ich auch. Ich packte meinen Koffer aus und legte alles dorthin, wo ich es gewohnt war. Ich hatte bei meiner Nonna schon immer ein eigenes Zimmer gehabt und dort würde ich nun wieder einziehen. Nachdem alles aufgeräumt war genehmigte ich mir eine lange, kalte Dusche und schlüpfte danach in frische Kleidung. Da es recht warm war, entschied ich mich für ein beiges Sommerkleid, schwarze, geschnürte High-Heels und etwas Schmuck. Nachdem ich noch etwas MakeUp aufgelegt hatte ging ich mit noch nassen Haaren zurück nach unten zu meiner Nonna um zu essen und erst als ich den Geruch ihrer selbst gemachten Pasta wahrnahm merkte ich, wie viel Hunger ich eigentlich hatte. Wärend dem gemeinsamen Essen unterhielten wir uns über alles mögliche. Nachdem ich ihr noch aufräumen geholfen hatte, beschloss ich etwas nach draußen zu gehen um einige Sachen für die Uni zu kaufen und noch etwas zu Essen zu kaufen. Gesagt, getan. 

Da ich mich in Rom unheimlich gut auskannte war auch all das recht schnell besorgt und ich stand schon bald an der Kasse des Supermarktes und räumte meine Einkäufe aufs Band. Während ich wartete bis ich an der Reihe war spürte ich, wie eine große, mit vielen Ringen versehene Hand an mir vorbeigriff und nach einem Warentrenner angelte. Ich nahm kurzerhand einen und reichte ihn weiter. „Grazie.", ertönte eine recht raue und eindeutig männliche Stimme hinter mir, die wohl zu der Hand gehörte. „Kein Problem.", antwortete ich auf Italienisch bevor ich mich an die Kassiererin wandte um zu bezahlen. Während der Zahlvorgang lief, räumte ich meine Einkäufe in eine Tüte und konnte dabei einen kurzen Blick auf den Mann hinter mir erhaschen. Er sah gut aus, ohne Frage. Erstaunlich gut. Bevor mein Blick jedoch zu einem Starren werden konnte drückte mir die Kassiererin den Kassenbon und meine Karte in die Hand und verabschiedete sich mit einem „Arrivederci" von mir. Ich nickte ihr nur kurz zu, bevor ich aus dem Laden in die nicht wirklich kühlere Luft außerhalb trat. Ich atmete einmal tief durch und wollte gerade in Richtung zuhause losgehen, als sich die elektrische Tür hinter mir erneut öffnet und der junge Mann von vorhin aus dem Laden tritt. 

Dank meiner Sonnenbrille, die aus meinen Haaren auf meine Nase gewandert war, konnte ich ihn etwas länger mustern, als zuvor. Er war nur etwas größer als ich und hatte längere dunkelbraune Haare. Seine Augen waren, wie meine, von einer Sonnenbrille bedeckt und, das musste man ihm lassen, er hatte Style. Und soweit ich das erkennen konnte, war seine Kleidung teuer gewesen. Außerdem sah man direkt auf den ersten Blick, dass er von hier war. Wie er sich bewegte ohne sich groß umzusehen zeigte, dass er täglich hier war.

Mein Blick war wohl durch das Abschweifen meiner Gedanken doch zu einem Starren gworden, denn ich hörte die Stimme von vorher zu mir sprechen. „Stai fissando caro.", sagte der junge Mann und machte mich damit auf mein Starren aufmerksam. Nur mein starker Wille hielt mich davon ab zu erröten, stattdessen hob ich eine Augenbraue. „Wenn du das bemerkt hast, wirst du mich wohl auch angestarrt haben.", antwortete ich auf Italienisch und sah, wie sich sofort ein Schmunzeln auf seine Lippen legte. „Dann wird es wohl so gewesen sein.", sprach er und nun musste ich schmunzeln. Und schon wieder musste ich feststellen, dass ich ihn etwas zu lange ansah. Ich wandte rasch meinen Blick ab und riss mich zusammen. Sonst war ich nicht so. Natürlich sah ich immer wieder Männer an, aber normalerweise blieb es bei einem kurzen Blick und die Männer sahen mir hinterher, nicht ich ihnen. Aber irgendwas an ihm faszinierte mich. Wahrscheinlich war es das ganz offensichtliche Selbstvertrauen, dass er hatte. Er strahlte einfach eine gewisse Art Selbstbewusstsein aus, die ich selten gesehen hatte. Ich war einst so gewesen, bevor alles passiert war. „Ich muss dann mal weiter.", riss ich mich selbst aus meinen Gedanken und nickte ihm kurz zu, „Schön dich kennengelernt zu haben." Er lächelte kurz und ich erwiderte das Lächeln bevor ich zurück nach Hause verschwand. 

RomaWhere stories live. Discover now