„Da vorn", sagte Vincent vom Beifahrersitz aus und zeigte auf die Schutzmauer, die den Regierungs-Sektor vom Trans-Atlantik-Sektor trennte.

Von außen wirkte das Gebilde wie eine Gefängnismauer. Grau und farblos stand sie da, mit Stacheldraht auf dem obersten Ende und einigen wenigen Eingängen, deren Tore geschlossen waren und vor denen Menschen in Wachuniformen Spalier standen. Als ob sie nicht zu uns niederen Menschen gehören. Anschläge, Schutz von Politikern und anderen Menschen von öffentlichem Interesse waren die Erklärung der Verantwortlichen zur Abschottung ihresgleichen. Das entsprach zum Teil tatsächlich der Wahrheit. Verschiedene Terroristengruppen wie Phoenix und Die Schwarzhelme hatten in der Vergangenheit Anschläge, nicht nur auf den Regierungs-Sektor, verübt. Die Mauer war über die Jahre gewachsen, um die Bewohner des reichsten Sektors vor den Angriffen jener gewalttätiger Rebellen- und Terroristengruppen zu schützen.

„Wir sollten an dieser kleinen Ruine parken", meinte Gale und steuerte darauf zu. Einst musste hier ein ganzes Gebäude gestanden haben. Nun waren nur noch einzelne Bruchstücke des einstigen Mauerwerks zu erkennen. Gale steuerte den Van hinter die brüchige Wand. Anschließend stellte er den Motor ab und schaltete die Scheinwerfer aus.

Der Regen prasselte unerbittlich auf die Scheiben und das Dach des Fahrzeugs, sodass Cassys Worte, die sie alle durch ihre Headsets hören konnten, teilweise schwer zu verstehen waren. „Ich brauche noch einige Minuten", sagte sie aus sicherer Entfernung zu ihnen. „Bereitet euch schon einmal darauf vor."

„Ihr habt's gehört", verkündete Gale und drehte sich zu den anderen um. „Der Plan steht wie besprochen. Ich werde mich hier bedeckt halten und eure Schritte beobachten. Sobald Cassy den Strom abgeschaltet hat, steigt ihr hinauf und kappt den Stacheldraht. Sobald das erledigt ist, habt ihr drei freie Bahn. Ich werde währenddessen hier die Stellung halten und die Lage sondieren. Sollte irgendetwas schief gehen oder ich eine Gefahr erkennen, gebe ich euch sofort Bescheid."

Allesamt steckten in dunklen Klamotten. Vincent bedeckte seine auffälligen grauen Haare mit einer schwarzen Sturmmaske, die er noch nicht über das Gesicht gezogen hatte. Seine Backen glänzten vom Schweiß, doch das wunderte Gale kein Stück. Er ist zurecht nervös, auch wenn er sich cool gibt. Hinzu kam die unerträgliche Schwüle, resultierend aus der Hitze, die die Stadt noch am Tag getankt hatte, und des Regens, die zusammen für hohe Luftfeuchtigkeit sorgten. Sarika hatte sich die Haare fest zu einem Zopf gebunden. In ihren behandschuhten Händen hielt sie ihre Maske. Kash, der die Ablenkung spielen sollte, falls es nötig werden würde, hatte sich für einen langen schwarzen Regelmantel entschieden, der eher wie ein Duschvorhang wirkte als ein anständiges Kleidungsstück. Während Vincent und Sarika ein gesundes Maß an Aufregung ins Gesicht geschrieben war, konnte man im Gesicht des Käfigkämpfers wie immer keinerlei Gefühlsregung erkennen. Er steckte sich zwischenzeitlich einen Finger ins Ohr und begutachtete das, was er dort ausgegraben hatte.

„Haben wir alles?", erkundigte sich Sarika noch einmal bei dem Anführer der Straßenratten, auch wenn jener Name bei keinem einzigen außer Vincent bisher Anklang fand.

„Enterhaken und Seile", murmelte er, während er in den beiden Rucksäcken zwischen seinen Beinen kramte. „Check. Fernglas, Check. Chloroform, Check. Bolzenschneider, Check. Brecheisen, Check. Handschellen ..."

Wenn du noch einmal Check sagst", schallte es aus den Headsetkopfhörern, „ich schwöre, bei allem was mir lieb ist ..."

„Chloroform ..." Sarika klang unsicher. „Wir jagen dem Mädchen doch bereits genug Angst ein, wenn wir durch ihr Fenster brechen, da müssen wir sie nicht noch betäuben."

„Wir werden sie so schonend behandeln, wie es uns möglich ist", versprach Vincent ihr aufrichtig. „Selbst unser Auftraggeber legt Wert darauf, dass ihr kein Leid geschieht. Dieses Zeug ist nur für den Fall der Fälle. Ein alter Freund von mir meinte einst, dass es immer von Vorteil ist, ein wenig Chloroform dabei zu haben, auch wenn ich mir nicht sicher bin, was er mit den ganzen Frauen angestellt hat." Er blickte in ungläubige Gesichter. „Das war ein Scherz. Lacht doch mal. Also im Ernst, wir werden der Kleinen kein Haar krümmen."

METROPOLA - Band 1 - Der JahrhundertsturmDonde viven las historias. Descúbrelo ahora