Kapitel 4

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Diana

Ich klopfe an der Tür und werde mit einem Lächeln und einer Umarmung begrüßt. „Kizim, komm rein. Wie gehts dir? Wie war die Schule?", fragt Tante Asya mich, gibt mir einen Kuss auf die Wange und lässt mich rein. Ich wohne hier nicht, fühle mich hier aber wirklich zuhause, bin nicht ansatzweise mit Tante Asya verwandt, liebe sie aber mehr als alles und jeden und auch wenn es hart klingt, liebe ich sie mehr als meine eigene Mutter. „Mir gehts gut und die Schule war auch gut. Hast du deine Tabletten genommen?", will ich wissen während ich ihre schwarzen Haare nach hinten streiche. Sie ist ein ganzen Kopf kleiner als ich und das macht sie noch niedlicher als sie ohnehin schon ist. „Ja mein Herz, mach dir keine Sorgen mir geht es gut.", erwiderte sie und zieht mich mit in die Küche. Ihr Blick fällt auf meine Hand, auf meinen Ring. „Da fängt der erste Schultag an und schon trägt sie mir einen Ring am Finger.", witzelt sie und ich schüttel meinen Kopf und erzähle, dass Elif ihn mir aus Spanien mitgebracht hat. In ihrer Kultur ist es ähnlich wie bei uns, was Beziehungen zwischen Jungs und Mädchen angeht, vor allem hinter dem Rücken der Eltern und in diesem Alter, aber sie ist für ihr Alter eine sehr offene und moderne Person. Ich erzähle dieser Frau alles und mit alles mein ich auch alles. All meine Fehler, Sachen für die ich mich schäme und die ich nichteinmal meinen Freunden erzählen kann. Auch das mit ihm habe ich ihr direkt erzählt und sie war immer für mich da und hat mich kein einziges Mal verurteilt. Man kann zwar sagen, warum sollte sie du bist ja nicht ihre Tochter?, aber das stimmt nicht. Ich weiß schon lange, dass sie mich längst in ihr Herz geschlossen hat und es für sie keinen Unterschied macht. Kinder hat sie nicht und in ihren Augen bin ich ihre Tochter, die sie nie gebärt hat. Nach dem Essen steht sie auf und rennt schon fast ins Schlafzimmer. „Ich hätte es fast vergessen. Hier." sie überreicht mir einen Brief und ich verkrampfe mich und fange an zu zittern. Seit Monaten offne ich diese Briefe und kein einziges Mal stand was gutes drin. Angst breitet sich in mir aus und ich werde panisch. Gott ich weiß ich sündige oft aber bitte lass es nicht schlimmer geworden sein. Ich reiße den Brief auf und sehe nur Tabellen und Testergebnisse von unterschiedlichen Untersuchungen, die ich nicht entschlüsseln kann. Medizinische Fachbegriffe die kein Mensch versteht springen mir entgegen und blättere ungeduldig rum bis ich die Erläuterung der Ergebnisse finde. Sie hält meine zitternde Hand fest und ich fange an zu lesen, bis ich ungläubig auf ein bestimmtes Wort starre. Meine Schultern falle, ich fange wieder an zu atmen und meine Augen füllen sich sofort mit Tränen. Monatelange unterdrückte Sorge löst sich in Luft. Krebsfrei. Sie ist Krebsfrei! Sie hat es geschafft! Ich schluchze auf und schließe sie in meine Arme. Als ich von der Krankheit erfahren habe ist für mich eine Welt zusammengebrochen, bin mit ihr zu diversen Arztterminen gerannt, habe meine meiste Zeit mit ihr verbracht aus Angst ihr würde es schlagartig schlechter gehen und es ist endlich vorbei. Ich verliere sie nicht. Sie verlässt mich nicht. „Es ist endlich vorbei", schluchze ich in ihr Haar und merke wie sie nickt. Ich war in meinem Leben noch nie so glücklich wie in diesem Moment. Danke Gott, danke. Wir lösen uns voneinander und schauen uns beide heulend aber lächelnd an. „Ich liebe dich so sehr.", sage ich „ Ich dich mehr, Canim".Ich bleibe noch kurz, fange mitten im Gespräch immer wieder an zu weinen, weil ich es nicht realisieren kann und mach mich dann auf den Weg, aber nicht nachhause. Dafür bin ich gerade zu glücklich und meine Mutter kann ich mir im Moment nicht geben. In der Nähe gibt es einen einen Park zu dem ich gehe, wenn ich alleine sein will. Ich habe nie verstanden warum hier so selten Menschen herkommen, er ist echt schön und friedlich, besser für mich, dann hab ich den Platz für mich alleine. Krebsfrei. Ich fange wieder unkontrolliert an zu weinen. Scheinbar hat es mich mehr mitgenommen als ich gedacht habe und ich kann nicht aufhören. „Hey, alles gut?", fragt mich eine unbekannte Stimme. Ich nehme meine Hände vom Gesicht schaue auf . Ein großer breiter Junge in meinem Alter, vielleicht maximal ein Jahr älter mit braunen Haaren, grünen Augen und blasser Haut blickt zu mir runter und ich nicke. Eine Narbe zieht sich durch seine Augenbrauen und mir gefällt sie irgendwie. „Sieht aber nicht so aus, süße Heulsuse.", sagt er und ich muss lächeln, fange aber wieder an zu weinen. Wie ich meine Emotionalität hasse „Darf ich?", fragt er mich unsicher und zeigt auf die Bank. Ich nicke und er setzt sich hin. Wir schweigen lange, bis er die Stile zwischen uns unterbricht.„Wir kennen uns nicht, sprich ich bin dir fremd und kann dich weder verurteilen noch irgendwas ,also komm erzähl mit was los ist. Vielleicht geht es dir danach besser.", redet er mir ein. Nicht wirklich einreden, aber er hat mich überzeugt. Diana seit wann bist du so? Du weinst nicht aus Trauer, deswegen. Stimmt. Dummkopf. „Ich hab vor ein paar Stunden erfahren, dass eine Frau, die ich als meine Mutter sehe nach Monaten endlich Krebsfrei ist und es hatte mich monatelang mitgenommen. Und jetzt kann ich nicht aufhören zu weinen.", antworte ich, spüre eine Träne meine Wange runterfließen und realisiere dann, dass ich gerade ernsthaft hier sitze und seit mindestens einer Stunde aus Freude weine. Ich schaue wieder in seine grünen Augen und er mustert meine Augen, als würde er irgendwas daraus lesen wollen. Okay? Er hebt langsam und zögernd die Hand und wischt mir die Tränen weg. „Eine Frau, die du als Mutter siehst.", wiederholt er meine Worte. Ich weiß, dass er mehr wissen will und was mit meiner echten Mutter ist aber ich nicke nur. Was soll ich sonst tun, ihm erzählen dass meine Mutter mich für alles schlechte in ihrem Leben verantwortlich macht und mich herzlos behandelt. Früher war sie nicht so. Ich war in ihren Augen das wertvollste Geschenk im Leben und dann fing sie an ganz langsam und über die Jahre an immer kälter zu werden und mich in die Hölle zu schicken.Ich merke wie die Freude in mir schwindet und die Trauer Besitz von mir ergreift. „Das freut mich. Also dass sie nicht mehr krank ist.", bricht er die stille. Er schaut in meine Augen, sein Blick verändert sich als könnte er die plötzliche Trauer sehen und schaut mich mitfühlend an. Er kann hinter deine Fassade sehen. Wie kann das sein? „Du hast mir bewusst den Grund für deine Freude genannt aber nicht für deine Trauer. Ich nehme mal an du möchtest nicht darüber reden, wenn doch höre ich dir gerne zu.", sagt er vorsichtig. Er hat komplett ins Schwarze getroffen. Ein dahergelaufener Junge, ein Fremder hat es geschafft in ein paar Minuten, mein Verhalten zu analysieren und zu deuten. Bin ich schwächer geworden? Sieht man mir das ganze wirklich an? „Wie-", er unterbricht mich. „Ich bin genauso. Ich heule vielleicht nicht rum, Heulsuse, aber jeder geht anders damit um. Du kannst jemandem der selbst ständig eine Fassade aufsetzt nichts vorspielen. Ich spiele doch das selbe Spiel und weiß wie es funktioniert.", erklärt er mir. „Wieso sehe ich's dann bei dir nicht?", frage ich ihn. „Weil es mir zur Zeit gut geht und außerdem,auch wenn nicht, ich wäre überrascht, wenn du es mit deinen verweinten Augen und aufgewühlten Gefühlen bemerkt hättest .", witzelt er und ich lache. Wir unterhalten uns über alles mögliche und ich erfahre, dass er Yusef heißt, 19 Jahre alt ist und aus dem Irak kommt und gerade nach dem Abi ein Jahr Pause macht. Er tippt mir seine Nummer ins Handy und reicht es mir wieder in die Hand, meine gebe ich ihm nicht. „Ruf mich an wenn du was brauchst.", befiehlt er mir und steht auf. „Es war echt schön dich kennenzulernen, Diana. Pass auf dich auf." Ich lächle ihn an. „Hat mich auch gefreut und mach ich. Pass auch auf dich auf. Er nickt nur, dreht sich im und will gerade gehen. „Yusef", er dreht sich um „Dankeschön". „Nichts zu danken, Heulsuse"

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