52.

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Als ich zu mir kam, war sie bei mir.
Ich war nicht alleine. Ich lebte.
„Es ist vorbei. Es ist alles gut." Ihre Arme schlossen sich um mich und sie grub ihren Kopf in meine Halsbeuge.
„Nicht alle sind gestorben. Sorge dich nicht. Die See ist blutrünstig aber Seelen die leben wollen, leben weiterhin."
„Was?" Mit verwirrtem Blick sah ich sie an.
„Wir wären niemals so viele, wenn nicht suchende Seelen unserem Gesang folge leisten würden und sich der See geben und unsere Schwestern werden."
„Ihr werdet erschaffen..."
Ich lachte heiser.
Es schien mir paradox, nach dem was ich gestern gesehen hatte.
„Armin war einst wie du. Sie sprang in die Fluten um ihre Freundin zu retten. Die Wahrheit ist manchmal grausam, denn das war ich. Ich bin der Grund und ich habe es stets bereut. Sie jedoch niemals. Es war ihre Freiheit und ihre Sehnsucht seit je her gewesen und doch fühle ich mich, als hätte ich ihr dieses Leben aufgezwungen. Ich wusste damals nicht, wie stark eine Seele sein kann. Armin zeigte es mir."
Armin war einst ein Mensch.
Es wäre gelogen wenn ich sagte, dass mich dieses Wissen nicht verwirrte und erschreckte.
Menschen konnten also Sirenen werden.
„Aber es sind nur Frauen, richtig? In der griechischen Mythologie gab es nur weibliche Sirenen."
Pearl nickte und flüsterte mit warmen Augen:„Ich weiß es nicht und ich habe nie etwas anderes gehört."

Mit pochendem Herzen klebte ich an der Scheibe und sah nach draußen. So ging das jetzt seit drei Tagen.
Nicht gehen Zenon. Nicht gehen...
Blut lief aus meiner Nase und klebte an meiner nassen Haut. Meine Haare hingen mir strähnig ins Gesicht. Der Wunsch mich ihnen zu geben war stärker denn je und raubte mir jede Nacht, in der ich schlafen könnte. Aus meiner Nase floss in regelmässigen Abständen Blut Und stoppte erst dann, wenn ich in einen anderen Traum glitt. Mit zitternden Händen versuchte ich das Blut aufzuhalten und bebte förmlich.
„Nein. Nein..."
Mein Brustkorb hob sich in unkontrollierten in bestialisch schnellen Bewegungen, wenn ich nur versuchte normal zu atmen. Es war wie ertrinken.
Irgendwann fand ich mich am Boden liegend wieder. Die Hände auf die Ohren gepresst um den Stimmen Einhalt zu bieten, die mich wutentbrannt zu überzeugen wünschten.
Alle meine Glieder schmerzten von der niemals endenden Kälte, die durch meine Venen kroch.
Der fürchterliche Gesang nahm mich bei der Hand und führte mich langsam in einen der unzähligen, unruhigen Träume. Mit letzter Kraft hievte ich mich auf mein Bett, bevor ich in meinen Gedanken versank.
Ich fiel.
Fiel immer tiefer in bodenlose Schwärze.
Die Schreie endeten und verwandelten sich in lüsterne Angebote und perfekte Lügen.
Kein Licht erfüllte die Tiefe, in der ich jetzt stand. Der Boden war gläsern wie Wasser und ich konnte mich selbst darin sehen.
Und mit einem Mal wurde ich ganz ruhig. Mein Herz beruhigte sich und meine Augen wurden schwer. Ich hoffte nur noch eines: Dass mein Tod schnell sein würde und ich im Hier und Jetzt ohne Wissen von Zeit und Raum ertränke.
In der Ferne konnte ich ein kleines Boot sehen, wie es auf den gläsernen Wellen schaukelte. Dort saß ich. Ein Ich außerhalb meiner Wahrnehmung. Es streckte einer zarten Fee im Wasser die Hand entgegen.
Die Schatten versperrten mir die weitere Sicht.
Langsam atmete ich und spürte etwas warmes an meinem Rücken über meine Schultern gleiten. Hände! Ich schauderte.
Einen Menschen sah ich nicht.
Ich schreckte zurück und lief los.
Woher kamen sie? Wohin wollten sie mich ziehen.
„Zenon..."
Nein...
„Zenon!"
NEIN...
Die Hände bahnten sich einen Weg über meine entblößten Unterarme und hielten meine Handgelenke wie eiserne Fesseln.
Pearl stand mit einem Mal hinter mir und flüsterte:„Sinke. Komm doch mit uns..."
Ihre Lippen fuhren über mein Ohr.
Dann hob sie die Arme und legte ihre Hände über meine Augen.
„Schlaf."
Nein...
„Zenon."
Mein Innerstes rief danach dieser Stimme zu folgen. Ich lächelte sanft, drehte mich zu Pearl und umarmte sie.
Blut floss aus meiner Nase und über ihre Schulter.
„Du bist nicht real. Ich fürchte mich nicht. Du bist nicht sie."
„Bist du dir da sicher?"
Ihre Hände legten sich um meinen Hals und schnürten mir die wenige Luft ab, die ich noch hatte.
„Ja."
„Zenon!"

Sirens___Ein tödlicher KussWhere stories live. Discover now