A wie Ausgeknockt

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Eine Laugenstange vom Bäcker,

Skyr mit Joghurt und Proteinpulver, ein halber Apfel, eine Handvoll Weintrauben, eine Handvoll Nüsse, ein Stück Proteinschokolade, ein Teelöffel Erdnussbutter, eine Scheibe Quarkbrot.

Es ist halb zehn Uhr morgens und ich starte mit etwa tausend Kalorien in den Tag, an welchem ich zu dieser Uhrzeit unter normalen Umständen etwa 300 gegessen hätte. Ich habe alles in mich hineingestopft,  was ich gefunden habe, und fasste danach kurzerhand den Entschluss, mir den Rest des Tages freinehmen. Ich hatte Mühe, das bisher Gegessene nicht auf der Personaltoilette wieder hochzuwürgen. Nur mit all meiner Willenskraft ist es mir gelungen, mir nicht den Finger in den Hals zu stecken und alles wieder zu erbrechen. So tief bist du noch nicht gesunken, dachte ich. Wir haben schon einige Grenzen überschritten, aber diese hier hebst du dir noch auf.
Nicht, dass ich noch nie erbrochen hatte. Nur bisher hatte ich das noch nie außerhalb meiner eigenen vier Wände getan.

Ich muss jetzt, wo ich auf meinem Balkon sitze, da meine Ausschreitungen so wild geworden sind, dass ich beschlossen habe, sie aufschreiben zu müssen, beinahe lachen, wenn ich an das Wort Willenskraft denke.
Auf dem Nachhauseweg habe ich mir direkt Nachschub geholt. Neun Uhr morgens. Voller Vorfreude habe ich mein Lieblingseis in meine Tasche gepackt, den Wagen gestartet und mich vom beinahe leeren Supermarkt nach Hause aufgemacht. Ich war mir vollkommen im Klaren darüber, dass ich eigentlich gleich die gesamte Packung in die Toilette werfen könnte, weil das Eis ohnehin dort landen würde.
Was also ist passiert, das meinen ohnehin labilen Zustand zum Totaleinsturz brachte?

Es ist jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, 11.42 Uhr und ich habe es in der Zwischenzeit fertiggebracht, Mittagessen zu kochen (Spaghetti mit Gemüse und Gnocchi für den Extra-Carbs-Kick), zwei Portionen davon zu verdrücken und im Anschluss etwa zwei Drittel der 500-ml-Eispackung zu verschlingen, bevor ich alles - oder beinahe alles - wieder erbrochen habe. Ziemlich ekelhaft, aber am schlimmsten finde ich mittlerweile, wie schnell ich mich an dieses Spiel gewohnt habe. Anfangs, als ich die ersten zwei, drei Mal erbrochen habe, habe ich danach geweint, mir selbst im Spiegel fest in die Augen gesehen und geschworen, das nie wieder zu machen. Mittlerweile binde ich mir das Haar zusammen, spüle mir danach den Mund aus und wische verschmierte Mascara weg, als hätte ich nie etwas anderes getan. Hin und wieder weine ich immer noch. Ansonsten habe ich mich erschreckend schnell an meinen neuen Begleiter gewöhnt.

Mein Name ist Marina.
Ich bin 27 Jahre alt und leide an einer Essstörung.

Einleitung, 29-06-2021

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 29, 2021 ⏰

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