Kapitel 3: Panic at the Disco

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„Hast du mir ein wenig Spritgeld mitgebracht?" Charles streckte ihm, wie so üblich, die offene Hand entgegen. Wenn Charles von Sprit sprach, meinte er seinen Lieblingswodka der Marke Green Wolf. Irgendwann musste es der einstige Bankkaufmann aufgeschnappt haben, dass die Menschen von früher ihre Fahrzeuge mit flüssigen Kraftstoffen betrieben haben. Umgangssprachlich betitelte man sie heute noch als Sprit, wobei die Zeit der fossilen Brennstoffe lange schon vorbei war. Öl stellte man heute rein chemisch her, außerdem wurden sämtliche Fahrzeuge mit Elektromotoren betrieben.

„Nur wenn du von dem Geld auch was für Dreckspatz besorgst."

Charles setzte ein müdes Lächeln auf. Er schielte ein wenig und sein struppiger Schnurrbart wuchs ihm bereits über den zahnlosen Mund. Charles' Schicksal zeigte Vincent, dass es in dieser Stadt wirklich jeden treffen konnte. Einst hatte er ihm erzählt, wie viel Geld er bei der Magister Group gemacht hatte, als er für die reichsten Banken der Stadt als Bankkaufmann arbeiten durfte. Vincent wusste, dass ein Bankkaufmann bei weitem nicht die Spitze des Finanzwesens war. Und dennoch, für Vincent war dies ein lukrativer und vor allem sicherer Job, zumindest dachte er dies, bis Charles ihn eines Besseren belehrt hatte.

„Hier." Vincent überreichte dem obdachlosen Mann und seinem bellenden Begleiter zehn Cypher. „Für eine neue Decke und etwas anständiges zu Essen für dich und Dreckspatz. Hast du mich verstanden?"

„Ja ja." Charles nahm den Geldschein gierig entgegen. Zu Gründungszeiten war es eigentlich nicht der Plan gewesen, wieder Bargeld zu drucken. Doch der Umstand von damals, nämlich das Fehlen einer Energiequelle, bevor man den Kern im Untergrund fand, sorgte dafür, dass man bis heute mit Bargeld bezahlen konnte, auch wenn die Banken planten, in den nächsten Jahren Bargeld komplett abzuschaffen. Dann würden noch viel düstere Zeiten für alle armen und kriminellen Menschen der Stadt hereinbrechen.

Mit gemischten Gefühlen ließ er Charles und seinen Dreckspatz hinter sich. Keine fünf Meter weiter traf er auf Jody und Dan, ein Geschwisterpaar, das ebenfalls auf der Straße lebte. Auch ihnen drückte der wohlwollende junge Mann ein paar Cypher in die Hand. Die beiden Zwillinge bedankten sich flüchtig und widmeten sich wieder ihrem Obdachlosendasein zu. Vincent wurde wütend, als er sie mit mehreren Kurzen anstoßen sah, die sie sich zum Spottpreis im nächsten Supermarkt ergattert hatten. Doch wie konnte er ihnen Vorwürfe machen? Er war ja selbst einst in einer ähnlichen Situation gewesen. Noch dazu kam, dass Menschen die auf der Straße lebten, schlicht und ergreifend nichts zu tun hatten. Überleben stand im Vordergrund, doch wenn der Tag sich dem Ende neigte und die kärglichen Tageseinkäufe erledigt waren, was blieb einem auf der Straße lebenden Menschen noch anderes übrig, als zu trinken, um die Sorgen zumindest ein wenig zu betäuben?

Vincent schlenderte locker über den Gehweg hin zum Eingang der Diskothek, wo ihm bereits drei gut betrunkene Frauen entgegenwankten. Als sie an ihm vorbeizogen, blickten sie ihm kichernd nach. Vincent bemerkte dies und warf ihnen ein Augenzwinkern hinterher. Er war jung und gutaussehend und seit einiger Zeit voller Selbstbewusstsein, etwas, was ihm früher noch gefehlt hatte. Seine dunkle Haut war frei von Pickeln und Pusteln, die Zähne strahlten weiß wie sein Haar und sogar Sport wollte er treiben, jedenfalls hatte er dies vor. Vielleicht Übermorgen. Vincent war sich seiner Ausstrahlung bewusst und übertrug diese, wann immer er konnte, auf andere. So war es gut, das wusste er. Doch es gab auch Einige, denen er mit seiner guten Laune gerne mal auf die Füße trat.

Einer von ihnen lehnte gegen die graue Hauswand des Hinterhofes, wo sich der Eingang zum Siceroys befand. Der Club war nicht für Jedermann zugänglich, und so war er auch aufgebaut. Kein großer, blinkender Haupteingang mit Taxispur und jeder Menge Türsteher. Die kleine Eingangstür konnte man leicht übersehen, selbst wenn man die dunkle Gasse direkt entlangging. Lediglich Boris' Anwesenheit, oder wie Vincent ihn nannte Kürbiskopf, wies darauf hin, dass hinter der Wand etwas Interessantes lag. Er und die Musik, der Bass, die Besoffenen, die ein- und austockelten, und der Geruch von Tabakrauch und alkoholhaltigem Erbrochenem.

METROPOLA - Band 1 - Der JahrhundertsturmWhere stories live. Discover now