Vanillewolken

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„Kozume... Kozume! Kozume, hörst Du mir zu?!"

„Mhm...? Oh, tut mir leid, ich-"

„-Du warst wohl gerade in Gedanken versunken, nicht wahr?"

Natsuko schmunzelte und schüttelte den Kopf. Kozume Kenma, einer der neuen Angestellten, schien seinen Kopf überall zu haben, nur nicht im Café bei den Aufschäumern, wo er eigentlich hingehörte. So floss der Milchschaum aus dem hohen Glas, in dem Kenma gerade einen Latte Macchiato zubereitete, ungehindert auf den hellen Holztisch und von dort aus auf den Fußboden.

„Oh hups, tut mir leid, ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte..."

Schuldbewusst stellte der kleine Japaner die Metallkanne beiseite und schnappte sich einen Lappen aus dem Spülbecken, um das Malheur aufzuwischen.

„Du weißt schon, dass Du Dich als aufmerksam und geschickt beschrieben hast, als Du Dich bei uns beworben hast?", bemerkte Natsuko verschmitzt und beseitigte die Schaumflecken auf dem Tisch.

„Och, das schreibt doch bestimmt eh jeder in seine Bewerbung...", murmelte Kenma in seinen Mundschutz hinein und streute stirnrunzelnd etwas Kakaopulver auf den Latte Macchiato.

Bisher hatte Natsuko ihn noch nicht ohne die Gesichtsmaske gesehen. Aufgrund der anhaltenden Pandemie musste auch in den Innenräumen und am Arbeitsplatz ein Mundnasenschutz getragen werden. Wenn Kenma nachmittags für seine Schicht auftauchte, trug er ihn bereits. Nur seine schmalen, honiggelben Augen schimmerten ihr über den Rand des schwarzen Stoffes entgegen. Als sie ihn das erste Mal sah, hatte ihn der Aprilwind mit einigen Kirschblütenblättern in den Eingangsbereich hineingeweht. Er stand auf einmal dort wie ein unerwarteter Frühlingsschauer und fragte nach einer Stelle als Aushilfe. Sogleich hatte Natsuko das Gefühl beschlichen, dass diesem jungen Mann kaum etwas entging. Er bewegte sich vorsichtig und bedacht wie eine Katze, die in unbekanntem Terrain herumschleicht.

Mitte Mai hatte die Chefin ihn eingestellt und er fiel besonders durch seine Unauffälligkeit auf. Schnell merkte er sich die Abläufe, um die einzelnen Getränke herzustellen, und an welchem Tag welches Sonderangebot für die Kundschaft anzupreisen war. Anfangs hatte Natsuko noch gezweifelt, ob sich jemand, der so zurückhaltend und unnahbar war wie Kenma, für die Gastronomie eignete. Aber er bewies ein Talent dafür, auch in stressigen Momenten die Ruhe zu behalten und wurde nie unfreundlich einem Gast gegenüber. Er behandelte alle Leute gleich, die in dem kleinen Café in der Innenstadt von Tokio etwas bestellen wollten, und wurde nur nervös, wenn Kundinnen mit ihm flirten wollten. Von daher sah Natsuko ihm nach, dass er gerade die Milch verschüttet hatte. Es war einer seiner ersten Fehler überhaupt.

„Keine Sorge, von mir erfährt die Chefin nichts", beteuerte Natsuko und zwinkerte Kenma über ihren Mundschutz hinweg zu.

„Vielen Dank, Sawada-senpai", bedankte Kenma sich und deutete eine Verbeugung vor Natsuko an, die laut zu prusten begann.

„Na na na, senpai musst Du mich ja nun nicht nennen! Ich bin schließlich nur ein paar Monate älter als Du..."

Sie beide waren Studenten, wenn auch von unterschiedlichen Universitäten. In der eingeengten Innenstadt Tokios lagen beide Einrichtungen in der Nähe des Cafés, sodass sie ihren Arbeitsplatz gut erreichen konnten. Sie wusste nicht, was genau Kenma studierte, aber er interessierte sich für Aktien und war auf einem guten Weg, einer der besten Pro-Gamer Japans zu werden. Das erklärte wohl die leichten Schatten, die die meiste Zeit unter seinen schmalen Augen schimmerten. Wenn er tagsüber zur Uni ging und ab und an im Café arbeitete, nutzte er anscheinend vor allem den Abend und die Nacht, um zu zocken. Auch in den Arbeitspausen hing er gebeugt über seinem Smartphone und blendete seine Umwelt dabei weitgehend aus.

Vanillewolken / Kozume Kenma x OCWhere stories live. Discover now