KAPITEL 3 - Spieglein, Spieglein an der Wand

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»Wow, so pünktlich warst du ja noch nie.« Brigitte lehnt sich in ihrem Bürostuhl zurück und verschränkt die Arme.

»Ich hatte keine Lust zu lernen, da dachte ich, ich komme etwas früher.« Ich lasse meine Tasche auf den Boden gleiten und setze mich meiner Chefin gegenüber. Dass ihr Stuhl deutlich höher ist, ist sicher kein Zufall. Schon wieder fühle ich mich klein, so wie heute Morgen. Brigitte mag es, auf ihre Mitarbeiter herabzusehen. Was aber nicht heißen soll, dass sie uns nicht gut behandelt, auch wenn Don das gerne behauptet.

»Ich habe Diel's Delicious Dishes heute unsere Ergebnisse präsentiert und den Geschäftsführern deinen Bericht freigegeben.« Brigitte schlägt elegant ihre Beine übereinander und fährt sich durch die schulterlangen, glatten Haare, die sie immer etwas streng wirken lassen. »Sie waren sehr zufrieden, meinten, dass der Bericht wirklich sehr aufschlussreich war, und möchten direkt einige unserer Verbesserungsvorschläge umsetzen.«

Ich nicke lächelnd und hoffe, dass sie ebenso wenig Lust hat, über gestern zu sprechen wie ich. Für einen kurzen Moment sieht es so aus, als läge ihr irgendetwas auf der Zunge. Etwas, das einen vergiftet, wenn man es nicht sofort ausspricht. Sie sieht mich an, als wäre ich ein ungezogenes Mädchen. Als wolle sie mich in eine Ecke schicken, in der ich über meine Fehler nachdenken soll. Meine Handflächen beginnen zu schwitzen.

Geht es um gestern? Glaubt sie mir nicht?

Doch dann wendet sie sich ab und widmet sich wieder ihrem Laptop. Ich atme langsam aus.

»Kommen wir zu deinem heutigen Auftrag«, fährt sie fort und sucht dabei irgendeine Datei. »Du testest die Bar in vino veritas. Deine Persona heißt Susanna, du bist das nette Mädchen von nebenan, neu in der Stadt und noch total überfordert von den vielen Eindrücken. Außerdem triffst du nur sehr schwer Entscheidungen, weshalb du auf Bestätigung und Unterstützung angewiesen bist. Du liebst Wein, aber die große Auswahl an Cocktails in der Bar überfordert dich total. Deshalb hoffst du auf eine gute Gesprächsführung der Mitarbeiter und klare Empfehlungen. Bitte agiere absolut briefing-konform, keine Alleingänge. Klar soweit?« Sie spitzt die Lippen.

»Klar soweit.«

»Gut. Das genaue Briefing schicke ich dir gleich noch durch. Eines vorweg: Das Besitzerehepaar Nowak hat schon länger den Verdacht, dass einer der vier Mitarbeiter immer wieder Geld einsteckt. Sie haben Angst vor einem Steuerbetrugsverfahren. Da sie aber ein gutes Verhältnis zu ihren Angestellten haben, möchten sie niemanden beschuldigen. Anscheinend arbeiten die alle schon etwas länger dort und sind ja sooo nett.« Sie verdreht genervt die Augen. »Wenn du mich fragst, sind die beiden einfach nur naiv. Die sollten ihre Angestellten bei so einem Verdacht einfach viel besser überwachen. Aber na ja, so springt für uns wenigstens noch ein Bonus dabei raus, solltest du den Dieb entlarven. Achte also bitte darauf, ob du irgendetwas Auffälliges siehst. Du kannst dich schon mal umziehen, dein Outfit hängt bereits im Ankleidezimmer. Ach, und Luna ... «

Ich bleibe stehen und drehe mich wieder zu ihr um.

»Keine Flirts, weder mit den Angestellten noch mit anderen Gästen. Du bist dort zum Arbeiten und nicht zum Vergnügen!«

»Geht klar, Girlboss.« Ich zwinkere ihr zu. Sie kann ein Grinsen nicht unterdrücken, wie immer, wenn ich sie so nenne.

»Gut. Sonst geht in Zukunft nur noch jeder dritte Auftrag an dich und alle anderen an Jürgen.« Sie setzt ihre Lesebrille auf. »Und ich glaube, das kannst du dir im Moment echt nicht leisten.«

Ich presse meine Lippen aufeinander, nicke und verlasse dann das Büro. Auf dem Weg zum Ankleidezimmer öffne ich Brigittes Briefing auf meinem Handy. Dann schließe ich die Tür hinter mir und sperre ab.

LügenmärchenWhere stories live. Discover now