Kapitel 1

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 (20. Juni 1880)

''Evana Fox...'', murmelte Lucy und schlug die Akte auf. Es war eine verstaubte und zerknitterte Akte aus der hintersten Ecke der Schublade gewesen. Lucy hatte sie nur durch Zufall entdeckt. Nachdenklich fuhr sie mit ihrem Finger über das Bild des Mädchens und die darunter stehenden Beschreibung. Evana war ein blondes Mädchen mit eisblauen Augen und dem Bild nach sehr lebensfreudig denn sie schaute mit aufgeweckten Augen in die Kamera.

Doch als Lucy sich an die Notizen zum Fall wenden wollte, war da nichts...nur Leere. Kein einziges Blatt, in dieser Akte befand sich nur ein Bild zu der damals 12 jährigen. Langsam stand Lucy vom Boden auf und strich sich über ihr geblümtes Kleid. Entschlossen stapfte sie, mit der Akte in der einen Hand, in Richtung von Mr. Winston's Büro. Energisch klopfte sie an die Tür, als sie ein genervtes Brummen war nahm trat sie ein. ''Was ist ihr Anliegen Lucy?'', fragte er überrascht. ''Der Fall...von Evana Fox'', demonstrativ hielt sie die Akte in die Höhe. ''Was ist damit?'' , ''Na...er wurde weder aufgeklärt noch gibt es dazu eine einzige Notiz, was sehr komisch ist'', erklärte sie. ''Miss Lucy...wahrscheinlich sind sie nur abhanden gekommen, außerdem habe ich besseres zu tun, also wenn das alles wäre-'', ''Ich möchte den Fall selbst in die Hand nehmen!'', platzte es aus Lucy heraus. Man hätte viel erwarten können, aber nicht das Mr. Winston gelacht hätte, aber genau das tat er. ''Ich verstehe nicht ganz Sir...was ist so lustig?'', fragte Lucy verwirrt. ''Bei allem Respekt, aber sie sind nur eine Sekretärhilfe'', brummte er. Empört öffnete Lucy den Mund, ''Ich bitte sie, sie müssen mich nicht zum Polizeichef ernennen, lassen sie mich nur auf die Suche nach diesem Mädchen gehen'', bat Lucy den Herren vor sich. ''Nun gut...unter einer Bedingung, sie gehen nicht allein!'' , ''Wenn es nur das ist'', murmelte Lucy erleichtert. ''Sie werden von Mr. Carter begleitet'', beendete Mr. Winston seinen Satz. Etwas genervt nickte Lucy und verließ das Büro. Als sich die Tür hinter ihr schloss fluchte sie leise...Wirklich?! Dandelion Carter?...der tollpatschigste Mensch aller Zeiten und über den Vogel wollen wir ja mal gar nicht reden. Kaum hatte sie einen weiteren Schritt durch den Flur gemacht, knallte Dandelion gegen sie. ''Lucy...es-...tschuldigung...ich wollte nicht-'', murmelte er mit gesenkten Kopf, was ihn noch kleiner machte als er schon war, dabei war er immerhin 2 Jahre älter als Lucy. ''Schon in Ordnung'', knurrte sie und knirschte mit den Zähnen. ''Wo ist Albert?'', fragte sie grundlos in die Stille hinein, ''Oh der...der darf nicht mehr mitkommen er hat Claudias ganze Unterlagen zerfetzt'', sagte Dandelion schulterzuckend. Man könnte meinen dieser Vogel wäre eine Raubkatze und kein 60cm großer Trottel von Rabe. ''Achso'', murmelte Lucy und betrachtete Dandelions zerstrubbelte Haare, denn das war das einzige was sie von seinem Kopf zu sehen bekam. ''Wir übernehmen zusammen einen Fall Dandelion'', sagte sie und räusperte sich. Verwirrt hob Dandelion seinen Kop, ''Achja? Tun wir das?'', fragte er mit einer plötzlich viel tieferen Stimme. ''Ja, Evana Fox...'',erklärte Lucy.

''Das Mädchen das vor 5 Jahren verschwunden ist?''

''Ja...keine einzigen Notizen zu diesem Fall, als hätte man nie wirklich nach ihr gesucht!'', sagte sie.

Misstrauisch starrte Dandelion sie an.

''Glaub nicht, ich würde es nicht ohne dich machen, aber es ist nun mal die einzige Bedingung'', regte Lucy sich auf.

''Gut''.

''Gut?'', ''Ja, gut, machen wirs, suchen wir nach dieser Evana Schmidt'', sagte Dandelion. ''Fox! Evana Fox!'', knurrte Lucy genervt. ''Sag ich ja''.

(21. Juni 1880)

Direkt am Abend hatte Lucy angefangen die wichtigsten Dinge einzupacken und nun stand sie hier im morgendlichen Nebel und wartete auf Dandelion und die Kutsche. Genervt griff sie nach der Taschenuhr, 6.30uhr , dieser Trottel hätte schon vor einer halben Stunde hier sein müssen. Doch dann ertönten endlich die Klappergeräusche der Kutschenräder auf dem Asphalt. ''Guten Morgen'', trällerte Dandelion und der Rabe auf seiner Schulter krähte zustimmend. ''Guten Morgen? Ich hab mir hier einen abgefroren!'', brummte Lucy, kletterte auf die Kutsche und verstaute ihr Handgepäck. ''Guten Morgen Dandelion und Albert, schön dass ihr mich begleitet'', sagte Dandelion sarkastisch und gab den Pferden ein Zeichen. Auf der ganzen Fahrt von Swingford bis Talshire sagte niemand ein Wort. ''Stop!'', rief Lucy plötzlich, Dandelion zuckte durch diese Unterbrechung der Stille zusammen, ''Was?! Hab ich was überfahren? Bitte nicht...''. ''Was? Nein! Hier ist das Anwesen du Trottel!'', sagte Lucy und sprang von der Kutsche. ''Oh das wusste ich...natürlich wusste ich das'', sagte Dandelion leise und streichelte Alberts Kopf. ''Kommst du nun oder was?'', rief Lucy und stieg die Treppen zum Anwesen hinauf. Vorsichtig klopfte Lucy mit dem Türklopfer an die riesige Holztür. Es war ein Kupferring der sich im Maul eines Löwen befand. Alles hier fühlte sich komisch an, es war als wäre die Luft kühler geworden obwohl es Ende Juni war und hätte dieser Vogel auf Dandelions Schulter noch angefangen zu reden, wäre Lucy wahrscheinlich um ihr Leben gerannt, doch das hätte sie nicht übers Herz gebracht, denn sie wollte dieses Mädchen finden. ''Warum macht denn da keiner auf?'', brummte Dandelion und griff nach dem Türklopfer. ''Vielleicht sind sie nicht daheim...wir-'', Lucy wurde von einem ohrenbetäubenden Knall unterbrochen. Plötzlich gab Albert grässliche Geräusche von sich, ''Was hat dein Vogel?'', fragte Lucy und hielt sich die Ohren zu. ''Ich denke er sagt, dass wohl doch jemand daheim ist...diesem Krach nach zu urteilen!'', rief Dandelion und deutete seinem Raben den Schnabel zu halten. ''Dann versuchen wir unser Glück eben noch einmal'', murmelte Lucy und klopfte an die Tür. Nur wenige Minuten später öffnete sich dann auch endlich die Türe. ''Wir kaufen nichts'', brummte eine Männerstimme. Bevor sich die Tür schloss, schnellte Dandelions Fuß dazwischen, dankbar nickte Lucy ihm zu und wendete sich wieder an den Mann. ''Wir verkaufen nichts Sir, wir kommen von der Dienststelle in Swingford. Ist ihr Name Sebastian Fox?'', fragte Lucy. Der Mann hob den Blick und sein grimmiger Ausdruck verschwand, ''Sebastian Fox? Nein nein, ich bin einer der Bediensteten der Familie Fox, sie haben Evana gefunden?'', fragte der Mann zum Ende hin. ''Tut mir leid für die Enttäuschung, aber nein wir haben Evana nicht gefunden, wir wollen die Ermittlungen in diesem Fall auffrischen und dafür müssen wir mit einem Familienmitglied sprechen'', erklärte Dandelion und wenn man sich nicht täuschte dann nickte sein gefiederter Freund zustimmend. ''Treten sie ein'', sagte der Mann und trat mit einladender Geste zur Seite.

Lucy löste ihren Blick von dem Vogel und trat über die Türschwelle. Dieses Haus war riesig, eine Wendeltreppe aus dunklem Holz und kleinen Verschnörklungen führte ins Obergeschoss , imposante Blumensträuße in hüfthohen Vasen schmückten die Eingangshalle und wertvolle Kommoden standen an den Wänden. ''Zum Wohnzimmer der Herrschaften geht es hier entlang'', sagte der Mann und lief die Treppe nach oben. Sich immer umsehend lief Lucy auch die Treppe nach oben, wie gesagt Dandelion war sehr tollpatschig und dieses Haus wahrscheinlich teurer als er denken konnte. ''Hier ist es'', sagte der Mann und öffnete eine große Flügeltür. ''Besuch meine Herrschaften, ehm...'', setzte er an. ''Dandelion, Albert und Lucy von der Dienststelle in Swingford. Sehr erfreut'', setzte Lucy schnell fort. Das Wohnzimmer des Hauses war dunkel , genauso wie die Treppe waren die Möbel hier in einem dunklem Holz gehalten , ein Mann und eine Frau saßen auf einem dunkelrotem Samtsofa und tranken Tee. ''Genau...'', murmelte der Mann und stellte sich an eine Wand. ''Setzten sie sich doch'',sagte der Mann der wohl Sebastian Fox war und deutete auf zwei ebenfalls dunkelrote Samtsessel. ''Wie können wir ihnen denn behilflich sein?'', fragte Mr. Fox als die beiden sich gesetzt hatten. ''Es geht um den Fall ihrer Tochter...wir möchten die Suche nach ihr neu ansetzen.'', erklärte Dandelion. Während er redete schielte Lucy leicht zu Mrs. Fox die noch nicht mal eine Begrüßung erwidert hatte und wie versteinert da saß. Verwirrt drehte Lucy sich wieder weg. ''Nun, die Sache ist die Sir...es gibt in der Akte keine einzige Notiz zu diesem Fall, deshalb würden wir uns gerne noch einmal ihre beider Aussagen anhören'', sagte Lucy und schielte bei dem Wort ''beider'' wieder zu Mrs. Fox. ''Aber natürlich'', sagte Mr. Fox und lächelte scheinheilig. ''Gut, wann verschwand ihre Tochter?'', ''Am Morgen vom 21. Juni 1875 merkte eine Bedienstete dass sie nicht auf ihrem Zimmer war, aber verschunden musste sie schon am Abend vom 20. Juni gewesen sein''. 20. Juni vor 5Jahren, was ein Zufall. ''Sie glauben also sie sei abgehauen?'', fragte Lucy. ''Ja natürlich, das dachte die Polizei damals auch''.

''Hatte sie irgendwelche Gründe abzuhauen?'', fragte Dandelion wobei Albert seinen Kopf schief legte. ''Pff...Spukhaus! Sie hat immer gesagt hier spukst!'', sagte Mr. Fox kopfschüttelnd. Zu aller Überraschung meldete sich nun auch seine Ehefrau zu Wort, ''Hier spukt es ja auch!'', sagte sie mit rauer und sehr leiser Stimme, so leise dass Lucy dachte sie hätte sich das nur eingebildet. ''Ich bitte dich Martha, erzähl keinen Schwachsinn'', brummte Mr. Fox, doch darauf erwiderte die Frau wieder nichts. Lucy und Dandelion warfen sich nur verwirrte Blicke zu.  

The case of: Evana FoxWhere stories live. Discover now