~4~

17 1 2
                                        

Sommer 1808

Der Wind fuhr durch die Heide und ließ mein Kleid wirbelnd um mich tanzen. Er fuhr mir in die Haare, bauschte sie auf und ließ sie wieder sinken. Und irgendwo zwischen diesen aufbrausenden Phasen fühlt ich mich so schrecklich frei, dass ich dachte, der Wind würde mich mit sich tragen. An einen Ort, an dem wir einfach wir sein konnten. Langsam ließ ich meine Händen an den Grashalme entlang streifen, die sich auch im Wind bogen. Hier oben war es, als hätten wir eine andere Welt betreten. Ich drehte mich um und sah, dass Frederick stehen geblieben war. Sein braunes Haar war zerzaust vom Wind und statt seiner prachtvollen Kleidung, die nur so vor Geld trotzte, trug er nur ein paar dreckige Lumpen am Körper. Er hatte sich mir angepasst. Diese Erkenntnis ließ mein Herz schneller schlagen und mir kam es vor, als wäre die Welt auf diesen Moment zusammengeschrumpft. Alles was es noch gab, alles was noch zählte, waren er und ich. Ich vergaß, wie man ging. Ich stand einfach nur da, ließ den Wind in mein Haar und meine Kleider sausen. Der Geruch von verschiedenen Blumen und Kräutern stieg mir in die Nase, doch das nahm ich nur nebensächlich war. Frederick lächelte und rannte los. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, dass ich ihn noch nie so glücklich gesehen hatte. So frei. Er fühlte sich wie ein Vogel, genauso wie ich. Er rannte auf mich zu, fiel in meine Arme und wir beide landeten im hohen Gras. Unser Lachen musste die Vögel verscheucht haben, da sie mit lautem Gezwitscher in den Himmel flogen. Ich sah ihnen nach in den strahlenden blauen Himmel.

"Vogel müsste man sein, nicht wahr?", sagte Frederick und blickte mir voller Sehnsucht in die Augen. Sein Gesicht war nur ein paar Zentimeter von meinem entfernt. "Sie haben keine Regeln und Sitten.", hauchte ich ihm entgegen und Frederick schüttelte langsam den Kopf. "Ich jetzt aber auch nicht. Sie mich doch mal an. Im Moment bin ich nicht der Duke of York." Und als wäre damit alles gesagt, senkte er seinen Kopf und ich spürte seine Lippen auf meinen. Ab diesem Zeitpunkt war es für mich, als hätte sich das Universum für immer verändert, als hätte ich mich verändert. Für mich war dies der Tag, an dem ich mit ihm eins wurde. Es fühlte sich an, als hätte ich eine lang vermissten Teil meines Körpers wiedergefunden. Kurz um, es war das schönste Gefühl meines Lebens...

2020

Ich wusste, er war hier oder besser gesagt seine Seele. Ich spürte sie so stark, wie an jenem Sommertag in der Heide. Ein stilles Verlangen, eine Leidenschaft, die tiefer ging als Fleisch und Körper. Ich hörte ihn schreien und ich spürten seine Schmerzen. Unsere Schreie vermischten sich und bildeten ein Gespinnst aus alter Liebe und frisch zugefügten Schmerzen. Wenn ich recht überlegte, wusste ich gar nicht mehr, ob ich geschrienen hatte oder nicht. Alles an was ich mir erinnerte, war Dunkelheit und Leere, gepaart mit dem Gefühl in Flammen aufzugehen. Allerdings war dort noch etwas anders. Ich hatte es seit Ewigkeiten nicht mehr gefühlt, das Band zwischen mir und Frederick. Es war mit seinem Tod zerrissen und es hatte sich angefühlt, als hätte man meinen Körper gewaltvoll in zwei geteilt. Doch jetzt war ich seit langem wieder in seiner Nähe. Vereint durch die schrecklichen Qualen, die wir erlitten und unseren gemeinsamen Taten zu Lebzeiten. Jedoch war es schwach, schrecklich schwach. Fast hätte ich es nicht gemerkt. Aber ich klammerte mich daran. Es war die einzige Möglichkeit, nicht den Verstand zu verlieren, nicht zu verschwinden in dieser endlosen und undurchdringlichen Dunkelheit, die aus Bosheit, Hass und Verrat entstanden war. Alles was mich bei Bewusstsein hielt, wenn man es so nennen konnte, war das letzte Stück unserer Liebe, die uns letztendlich ins Verderben geführt. Was für eine Ironie...

Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, ob es Monate, Jahre oder gar Jahrzehnte waren, als ich das ungute Gefühl hatte, aus meinen schwarzen Verlies zu entgleiten. Ich hatte Frieden geschlossen. Mich abgefunden mit meiner Situation und ich wollte leiden, leiden dafür, was ich in meinem Leben verbrochen hatte. Und das Wichtigste war, ich wollte es hier tun, unter dem Feuer zusammen mit Frederick und dem schwachen Band zwischen unseren zerstörten Seelen. Ich empfand nicht die geringste Lust zurück zukehren und unter den Anweisungen des Teufels Menschen in den Tod führen. Darum wehrte ich mich. Ich wollte schreien, wollte Frederick um Hilfe rufen. Er durfte nicht zu lassen, dass wir erneut getrennt wurden. Ich könnte den erneuten Riss des Bandes nicht ertragen. Jedoch hörte ich nur seinen Schmerzensschreie im meinem Ohr wieder hallen. Immer wieder.

Between You and HellWhere stories live. Discover now