5. Misery

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Emily:

„Dieser Kuchen ist göttlich!", schmatzt Misery glücklich.
„Probier mal die Erdbeermilch, selbstgemacht schmeckt das Zeug tausendmal besser!", nickt Seth eifrig und stürzt den gefühlt dreißigsten Liter Erdbeermilch runter.
„Emily, du musst ein Engel sein.", seufzt Liane und drückt mir einen Kuss auf die Wange.
Ich lache und stelle die vorbereiteten Rouladen in den Kühlschrank.
„Da du jetzt fertig bist, können wir also shoppen gehen, ja?!", ruft Misery überdreht. „Warum guckst du so komisch?", setzt sie hinterher.
„Ich weiß nicht, mir kommt das alles ein wenig... seltsam vor, verstehst du? Jeder ist grundlos nett und du kennst gerade mal meinen Namen und willst mit mir shoppen gehen? Für mich ist das sehr... ungewohnt.", spreche ich vorsichtig.
„Ach ja? Also, Shoppen ist mein Hobby, deshalb gehe ich bei jeder Gelegenheit.", sagt Misery schulterzuckend und nimmt mich an die Hand. „Zeig mir dein Zimmer, ich will deine Kleidung sehen.", beschließt sie und zieht mich mit sich.
Im Schlepptau hat sie Seth, welcher Liane auf dem Rücken trägt und ich kann jetzt schon sagen, dass die Blicke, welche die beiden austauschen, mir ein flaues Gefühl im Magen machen. In meinem Zimmer bestätigt sich dieses Gefühl. Seth schmeißt Liane auf mein Bett und hält das hysterisch schreiende Mädchen fest.
„Das ist...! Das ist unerhört! Eine Schande für jeden Kleiderschrank! Du, komm sofort mit! Wir gehen jetzt Einkaufen, oder ich reiße euch alle hier und jetzt in Stücke!", kreischt Misery, woraufhin ich nur zurückweiche.
Muffin sieht ein wenig unsicher aus, Twinkels hingegen eher genervt, wahrscheinlich ist sie solche Ausbrüche schon gewohnt.
„Missy, sie kann nicht mit dir mitgehen, wenn du sie umbringst. Beruhig dich.", spricht Seth und zieht das Mädchen an sich.
Er legt seinen Kopf auf ihren und murmelt irgendwelche Worte. Für einen Moment, den Bruchteil einer Sekunde, höchstens, spüre ich ein Stechen in meiner Brust. Ich kann nicht genau sagen, warum, aber der Anblick tut mir weh. Vielleicht, weil die beiden selbst als Freunde ein besseres Verhältnis haben, als ich zu meiner Familie. Ich merke gar nicht, dass Tränen über meine Wangen laufen, als Liane an meinem Arm zieht und sich an mich klammert. Es dauert einen Moment, bis ich realisiere, dass sie mich umarmt. Ungläubig hebe ich sie auf meinen Arm.
„Emily, kann es sein, dass dich nie jemand in den Arm genommen hat?", fragt sie unverblümt, woraufhin ich sie beinahe fallen lasse, von ihrer Akkurarität geschockt.
Die Worte haben auch Seths und Miserys Aufmerksamkeit erweckt.
„Emily? Ist das wahr?", fragte Misery, wie ausgewechselt und stürmt auf mich zu.
Ich schrecke zurück, erstarre jedoch, als sie mich in den Arm nimmt. Ich verstehe nicht, was geschieht. Erst recht nicht, warum Seth so seltsam guckt. Ich hoffe nur, er fühlt sich nicht schuldig oder so. Es kotzt mich ehrlich gesagt an, dass ich dauernd in Tränen ausbreche.
Was heißt hier dauernd? Übertreib es mal nicht direkt
Was mischt sich denn meine innere Stimme jetzt noch ein?! Ehrlich, heute ist ein verrückter Tag.
„Ich warte unten im Auto, okay? Komm bitte nach, ein wenig Bummeln in der Stadt wird dir sicher guttun.", lächelt Misery und drückt mir einen Kuss auf die Wange, als es an der Tür klingelt.
„Das könnte mein Rollstuhl sein! Daddy hat ihn mit Expresslieferung bestellt!", quiekt Liane freudig und wird von Misery auf den Arm genommen, ehe die beiden mein Zimmer verlassen, um die Tür zu öffnen.
Verwirrt fasse ich an meine Wange. Ich hatte nie wirklich Freunde, geschweige denn welche, die so engen Körperkontakt gepflegt haben. Seths Bewegung reißt mich aus meinen Gedanken, als ich sehe, wie der große Junge auf mich zukommt. Er drückt mein Kinn mit seinem Zeigefinger nach oben und zwingt mich, ihn anzusehen.
„Ich kenne deine Vorgeschichte nicht, Emily, aber du hast dich in das Herz meiner Familie katapultiert, in dieser kurzen Zeit. Du gehörst dazu und falls du jemanden zum Reden brauchst, biete ich mich dir gerne an.", lächelt er und zieht mich an seine Brust.
Er hält mich in seinen Armen, genauso, wie er auch Misery festgehalten hat. Ich höre ein leises Prusten, als er meine Arme nimmt und sie um seinen Oberkörper legt.
„So eine einseitige Umarmung sieht ziemlich blöd aus, also mach doch bitte mit.", grinste er belustigt und zwinkert mir zu.
Verschämt mache ich was er gesagt hat und vergrabe mein Gesicht unüberlegt in seiner Brust. Er fängt an, schallend zu lachen und ich muss sagen, er hat ein schönes Lachen. Natürlich stelle ich als Reinigungskraft sofort fest, dass er sehr gut riecht und inhaliere seinen Duft instinktiv. Entgegen meiner Erwartung lächelt er nur und drückt mich stumm fester an sich. Seine Hand streicht sanft durch meine Haare, während seine Andere meine komplette Hüfte umfasste. Erst jetzt wird mir bewusst, in was für einer Situation ich mich befinde und natürlich, wie nicht anders zu erwarten, passt mein Kopf sich den reifen Tomaten im Vorgarten an.
„Oh, du bist ziemlich rot, drücke ich dir die Luft ab?", fragt Seth entschuldigend.
Am Liebsten würde ich schreien, aber ich schaue einfach auf den Boden und hoffe, dass ein schwarzes Loch sich auftut und mich verschluckt.
„Mach dich doch mal locker, kleines.", seufzt er und schmeißt mich aufs Bett.
Ehe ich mich versehe, sitzt der Typ auf mir und kitzelt mich unentwegt. Mein schrilles Quieken hallt durch dem Raum, gemischt mit seinem amüsierten Glucksen und Prusten.
„Stopp, bitte!", quietsche ich und hebe ergebend die Hände.
„Geht doch, ein Lächeln steht dir viel besser.", grinst er und streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht.
Er ist über mich gelehnt und so langsam aber sicher schrillen die Alarmglocken in meinem Kopf.
Mach mal halblang, er wird dich schon nicht vergewaltigen!
Das habe ich auch gar nicht gesagt, aber er ist der Sohn des Hauses und würde Anastasia jetzt reinkommen, hinge sie sicher schon mit den Krallen unter der Decke! Sie zeigt es zwar nicht, aber sie ist deutlich dagegen, dass Seth mir so nah kommt. Sie mag mich, sicher, aber trotzdem gibt es eine Linie zwischen Angestellten und Familie.
„Na komm, Missy wartet sicher schon auf dich. Ach ja und entschuldige ihr Verhalten, wenn es um Kleidung geht ist sie immer etwas... sagen wir empfindlich.", seufzt Seth und zieht mich mit sich.
Kurz vor der Treppe hält er an, woraufhin ich natürlich sofort in ihn knalle. Er dreht sich um und drückt mich nochmal an sich, ehe er mir einen Kuss auf die Stirn drückt und meine Hand drückt.
„Viel Glück und gute Nerven mit Missy, du wirst es brauchen.", lächelt er und hüpft die Treppen hinunter, woraufhin auch schon Lianes Rufe aus der Eingangshalle tönen.
Wie angewurzelt bleibe ich stehen, bis Seth außer Sichtweite ist und schlage mir die Hand vor den Mund. Nicht etwa, wegen seiner Art, sondern, weil ein seltsames Gefühl mir zu schaffen macht. Ich hoffe, dass ich nicht krank werde.
„Baust du ihn auf, machst du es?", höre ich Liane quengeln, woraufhin Seth lacht und sie zu jubeln beginnt.
Ich gehe mit langsamen Schritten die Treppe hinab und muss lächeln, als Seth den Karton, welcher laut Abbildung tatsächlich Lianes Rollstuhl enthielt, in Richtung des unteren Wohnzimmers schleift und ihn vor dem Kamin abstellt, ehe Misery Liane auf einem Sessel absetzt und mich hochmotiviert ansieht.
„Na los, lassen wir den Chaoten den Rollstuhl aufbauen und zischen ab.", spricht Misery und winkt den Geschwistern zu.
„O-Okay, bis später! Wenn etwas ist, ruft mich an!", rufe ich noch unsicher, ehe Misery mich komplett aus dem Haus gezerrt hat.
Erst jetzt realisiere ich, dass ich in dem schönsten Auto meines Lebens fahren darf. Ich quietsche begeistert und sehe deswegen Miserys Blick nicht, aber sie scheint sich zu freuen, dass mir ihr Wagen gefällt. Demütig streiche ich einmal über den Lack von Seths Audi, ehe ich in ihren einsteige.

HousemaidWhere stories live. Discover now