11. Kapitel

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11. Kapitel                        

Etwas gehen zu lassen, ist nie einfach. Ob es nun eine Person oder eine Erinnerung ist. Sich von etwas zu trennen ist immer schmerzhaft. Da können weder schöne Worte, noch gute Taten etwas daran ändern. Das Vergessen mag für manche ein guter Weg sein mit Verlust umzugehen, nicht für mich. Ich gehörte zu denen, welche ihre Vergangenheit bewahrten, ganz gleich ob schön oder traurig, sie gehörte zu mir mit allen Einzelheiten. Durch sie war ich wer ich war. Durch sie waren die Menschen um mich herum wer sie waren.

Und doch ließ ich zu, dass ich einiges verdrängte, als sich mir die Möglichkeit dazu bot. Solange es ging, schob ich die Tatsache von mir, dass Leo und ich uns zu nah gestanden hatten. Das unsere Familie ein Scherbenhaufen war, ganz gleich wie gut wir uns auch wieder verstanden. Das er Eleonora und John noch weniger mochte als ich damals.

Ich gab mich der Illusion hin mit dem Glück, welches ich zu diesem Zeitpunkt noch verspüren durfte leben zu dürfen. Das es mir nicht wieder genommen werden würde. Das ich endlich genug getan hatte, um mir ein Leben fernab von der Unendlichkeit an Problemen die unsere Familie mit sich brachte verdient hatte. Wie sehr ich mich täuschte, war bei unserem dritten Treffen seit Leos Rückkehr nicht absehbar gewesen. Hätte ich etwas geahnt, hätte ich mich niemals dazu bereiterklärt ihm zu helfen. Denn letzten Endes, schien es mehr zu schaden als zu helfen. Auch wenn es Anfangs noch ganz und gar nicht danach ausgesehen hatte.

Sobald ich Leo verlassen hatte, fühlte sich für eine ganze Weile alles was ich tat mechanisch an. Kein Gefühl schien mich zu durchdringen, alles was in meinem Inneren war, war Leere. Eine Leere welche betäubend wirkte und mich dazu trieb einen Schritt in eine Richtung zu machen, den ich schon längst hatte tun wollen. Aber wie es so war im Leben, hatte ich es bis dahin nicht hinbekommen auf den Stützpunkt zufahren um weitere Nachforschungen anzustellen. Denn auch wenn ich nicht wusste was es war oder warum, so wurde ich eine kleine, leise Stimme in meinem Kopf nicht los, welche immer wieder auf mich einredete und der Meinung war, dass ich erneut im Dunkeln gelassen wurde. Dass man mir erneut Informationen vorenthielt, welche für meine Familie und mich von Bedeutung waren. Und das war etwas das absolut inakzeptabel war.

So saß ich also da, hielt vor einer roten Ampel und dachte und fühlte tatsächlich rein gar nichts. Meine Finger trommelten leise auf das warme Lenkrad von Leos Wagen. Ich hatte ihm zwar gesagt, dass ich ihm sofort die Schlüssel zurückgeben würde wenn er das wolle, aber er war der Meinung dass er ihn nicht brauchen würde, solange er nicht über eine einzige Erinnerung verfügte wo er damit hinfahren solle.

Die Ampel sprang endlich auf Grün, ich fuhr an und bog anschließend auf das Gelände des Stützpunktes ein. Parken tat ich so nah wie möglich am Hauptgebäude. Mit blinkenden Lichtern verriegelte der Wagen. Gemächlichen Schrittes ging ich zum Eingang, gab meine Schlüssel und mein Handy ab. Nachdem man mich durchsucht hatte, lief ich weiter zu den Aufzügen. Meine Füße schritten den Weg ohne das ich darüber oder sonst irgendetwas nachdenken musst. Schließlich blieb ich stehen, meine Gedanken setzten sich allmählich wieder in Gang und meine Hand ballte sich zu seiner Faust, ehe ich mit den Knöcheln an die Tür klopfte.

„Herein", erklang Major Simeons Stimme.

Ich folgte der Aufforderung, salutierte und blieb steif stehen, bis er sagte:

„Rühren. Lilly, es freut mich dich zu sehen."

Gezwungen lächelnd reichte ich ihm die Hand und setzte mich ihm gegenüber an seinen breiten Schreibtisch.

„Ich nehme an du bist wegen deinem Bruder hier", kam er recht schnell auf den Punkt.

Eine Eigenschaft, welche ich immer an ihm gemocht hatte, doch an diesem Tag hätte ich mir gewünscht mich mit noch ein wenig Plauderei vor diesem Gespräch drücken zu können. Aber letzten Endes war ich es die zu ihm gekommen war.

My Brothers Keeper (TNM-#2)Where stories live. Discover now