20. Kapitel📚

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Vorsichtig öffnet er die schwere Pforte. Aus dem Innern der Gruft schlägt uns kalte Luft und ein modriger Geruch entgegen.

„Komm!", ermuntert Eliya mich und steigt hinab. Die Treppe ist nicht sehr lang und schon nachdem wir wenige Stufen heruntergestiegen sind, erkenne ich zwei Särge in der Mitte der Gruft. Links und rechts davon sind steinerne Bänke an den Wänden entlang aufgestellt.

Eliya ist schon unten angekommen. Er tritt an den ersten Sarg und klopft leicht darauf, als wolle er den Toten darin wieder zum Leben erwecken.

„Das hier", sagt er, „ist die letzte Ruhestätte von Yvan von Vulpari, dem großen Anführer der Revolutionäre."

Er geht um den ersten Sarg herum und tritt an den Zweiten heran. Behutsam fährt er mit der Hand darüber. Dann erzählt er mit festem Blick auf mich gerichtet: „Und in diesem hier liegt euer werter König Achytos I., großer Held und Vorfahre der Satari."

Gespannt lausche ich seinen Worten, nähere mich den Särgen aber nicht. Eliya sieht mich forschend an. „Ist es nicht einmalig, am Grab der zwei Urväter unserer Clans zu stehen, ich, ein Vulpari und du, eine Satari? Und wir springen uns nicht gegenseitig an die Gurgel! Zumindest bis jetzt noch nicht." Er lacht jungenhaft.

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es ist mir unangenehm, dass er mich auf die Vergangenheit unserer Völker anspricht, wo ich doch vor Kurzem erst herausgefunden habe, dass ich mit den Grundsätzen meines Clans nicht mehr einverstanden bin. Es erfüllt mich sogar eher mit Ehrfurcht, vor dem Grab von Yvan von Vulpari zu stehen, einem Vampir, der für seine Überzeugung gekämpft hat, als an dem meines sogenannten Vorfahrens, König Achytos I..

„Na du siehst ja nicht gerade aus, als würdest du vor Stolz platzen, die sterblichen Überreste deines ehrwürdigen Königs vor dir zu wissen", meint Eliya etwas enttäuscht.

„Für so ehrwürdig halte ich ihn nicht", rutscht es mir heraus. Eliya sieht mich mit einem völlig verblüfften Gesichtsausdruck an.

„Was willst du damit sagen?"

Jetzt, da ich schon davon angefangen habe, kann ich genau so gut weitermachen, denke ich mir. Zögernd beginne ich: „Nachdem wir uns das erste Mal getroffen haben, fing ich an, ein wenig über die geschichtlichen Hintergründe unserer Clans nachzuforschen. Ich bin ein sehr junger Vampir, musst du wissen, und ich hatte bis anhin keine Ahnung davon. Es hat mich, ehrlich gesagt, auch gar nicht interessiert."

Eliya mustert mich eingehend. Die Erinnerung daran, was ich über die Vergangenheit der Vampirclans herausgefunden habe, lässt in mir wieder die Frage aufkeimen, ob ich wirklich auf der richtigen Seite bin. Voller Überzeugung spreche ich weiter: „Was ich da gelesen habe, hat mich total aufgewühlt. Was Yvan von Vulpari und die Revolutionäre damals gemacht haben, finde ich äußerst mutig. Auch wenn ich es fast nicht sagen darf, aber als ich so gelesen habe, was bei der großen Spaltung genau passiert ist, war ich die ganze Zeit mit dem Herzen aufseiten der Vulpari. Das Verhalten von König Achytos I. und den Satari hingegen fand ich ziemlich feige und selbstsüchtig. Das ist der Grund, warum ich an seinem Grab nicht vor Ehrfurcht verzücke."

Eliya starrt mich mit offenem Mund an.

„Ayla, ist dir klar, was du da sagst?" Er klingt schockiert und erfreut zugleich.

„Natürlich ist mir das klar. Ich weiß, dass es mir als Satari nicht erlaubt ist, die bestehende Hierarchie zu hinterfragen, aber genau das stört mich ja so sehr."

Eliya tritt zu mir hin und sieht mich mit leuchtenden Augen an. Dann flüstert er leise: „Du bist wirklich etwas Besonderes, mein kleines Satarimädchen."

Ich spüre einen wohligen Schauer, der mir über meinen Rücken jagt und bin mir wieder einmal mehr sicher, dass ich mit menschlichem Blut in den Adern jetzt knallrot angelaufen wäre. Plötzlich beschleicht mich ein ungutes Gefühl.

„Wie lange sind wir, seitdem wir uns im Wald begegnet sind, schon unterwegs?", frage ich Eliya nervös. Er denkt angestrengt nach. „Schwer zu sagen. Ich schätze seit zwei oder drei Stunden. Ich hab ein wenig das Zeitgefühl verloren. Warum?"

Hastig löse ich mich aus meiner Haltung und renne die Treppen der Gruft hinauf. Eliya folgt mir.

„Ayla, was ist denn?", versucht er heraus zu finden, während er mir hinterher läuft.

Ich drehe mich eilig um und erwidere: „Als wir auf die Jagd gingen, habe ich meinem Bruder versprochen, spätestens nach sechs Stunden wieder oben auf der Burg zu sein. Ich muss sofort los, sonst krieg ich wahnsinnigen Ärger."

Unglücklich blicke ich ihn an. „Hoffentlich schaffe ich es noch rechtzeitig zurück. Ich muss leider wirklich gehen. Aber danke, Eliya, dass du mir diesen Ort gezeigt hast."

Eliya fährt sich unsicher mit der Hand über den Nacken.

„Nun, ich hatte eigentlich gehofft, dass du mich hier auf neutralem Boden vielleicht freiwillig wiedersehen würdest, ohne dass ich vorher stundenlang nach dir suchen muss. Kommst du morgen wieder hierher?"

Mein Herz macht einen Sprung.

„Ich werde kommen."

„Versprochen?" Eliya lächelt.

„Versprochen." Ich lächle zurück, drehe mich um und laufe los.

„Erzähl mir morgen, ob das Essen im Speisesaal immer noch so grässlich ist!", ruft Eliya mir nach.

Verblüfft bleibe ich stehen und drehe mich noch einmal um. „Woher willst du wissen ...?"

Eliya lacht. „Ich bin ein wenig älter, als du wahrscheinlich denkst."

Und dann rennt er wie immer davon, bevor ich noch irgendetwas darauf erwidern kann.

Und dann rennt er wie immer davon, bevor ich noch irgendetwas darauf erwidern kann

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Ayla - Unsterbliche Liebe |abgeschlossen 📓 (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt